Klima in Darmstadt: Notstand oder nicht?

Eine neue Darmstädter Bürgerinitiative fordert ein Ausrufen des Klimanotstands, doch der Stadt Darmstadt geht das zu weit.
Lieber ein Haus im Grünen als einen Grünen im Haus.“ Solche Sprüche musste sich Friederike Frenzel als Schülerin anhören. Die heute 33 Jahre alte Musiktherapeutin engagierte sich schon damals für Umweltschutz. Vor gut sechs Wochen hat sie hervorgehend aus der Bewegung Transition Town mit anderen Darmstädtern die Bürgerinitiative (BI) Klimanotstand gegründet. Die Zeiten haben sich geändert, schon zum ersten Treffen kamen 50 Leute, viele davon Akademiker. „Wir rennen mit unseren Forderungen offene Türen ein“, sagt Mitinitiator Andreas Figur. Man betrachte sich als offene Plattform, als Verlängerung der „Fridays for Future“-Bewegung.
Konkret will die BI erreichen, dass die Stadt Darmstadt den Klimanotstand ausruft – so wie es in Hessen bereits Wiesbaden, Rüsselsheim, Brachtal und Marburg getan haben und wie es in anderen Kommunen derzeit gefordert wird. Aktuell gilt in über 25 deutschen Städten der Klimanotstand, auch Frankreich, Großbritannien und Irland haben ihn proklamiert. Doch in der grün-schwarz regierten Wissenschaftsstadt tut man sich mit dem Begriff „Notstand“ schwer.
„Ein Generationenproblem“, sagt Frenzel. Früher hätte man gegen die Notstandsgesetze demonstriert. „Wenn wir diesen Begriff verwenden, bedarf es intensiver Maßnahmen“, sagt CDU-Fraktionschef Roland Desch der Frankfurter Rundschau. Notstand sei etwas, das unter dem jetzigen Zustand in der Stadt nicht gehe – „etwas Einmaliges, das einen zu einer Form des Handelns zwingt.“ Der ehemalige Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz räumt zwar ein, dass er durchaus über die Zukunft seiner Enkel nachdenke und dass der Klimawandel „natürlich intensiver Maßnahmen“ bedürfe, aber eben nicht im Sinne des Notstands.
Alle reden vom Klimaschutz – aber was kann jede und jeder Einzelne tun, um den Planeten zu retten? In einer Serie stellt die Frankfurter Rundschau in den kommenden Wochen Menschen und Initiativen vor, die sich um eine bessere Zukunft verdient machen.
Das sieht die BI anders: „Wir erzeugen gerade den Notstand für morgen, aber wir haben heute die Chance etwas dagegen zu tun“, sagt Figur. Der Begriff habe zudem eine große Signalwirkung, ist Frenzel überzeugt.
Doch nicht nur bei den Begriffen ist man uneins in Darmstadt. Auch der gerade von der grün-schwarzen Koalition vorgelegte Antrag „Höchste Priorität für Klimaschutz“ geht der BI nicht weit genug: Zu weichgespült, zu schwammig, nicht konkret genug. Aus Zeitgründen wurde die Vorlage in der letzten Stadtverordnetensitzung vor den Ferien zurückgezogen. Zudem werde ein bereits vor Jahren verabschiedetes 138-Punkteprogramm zum Klimaschutz derzeit überarbeitet, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzende Nicole Frölich der FR.
Dadurch konnte die BI inzwischen eine Resolution erarbeiten, die sie demnächst Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) öffentlich übergeben will. Gefordert wird unter anderem die Einrichtung eines Klimarats, der an allen politischen Entscheidungen beteiligt ist; die Senkung der Treibhausemissionen auf null bis 2035, nicht bis 2050; städtische Vorhaben sollen künftig mit einem Bewertungsinstrumentarium bezüglich ihrer Klimarelevanz geprüft werden müssen. Auch bereits getroffene Entscheidungen sollen überprüft werden.
Desch, der sich wie andere Politiker bereits mit der BI getroffen hat, erwartet, dass es aus kommunaler Sicht immer Vorbehalte wegen der Finanzierbarkeit und Machbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen geben wird. Als Beispiel nennt er den Umbau des Nordbads, dessen Kosten sich auf 47 Millionen Euro vervielfacht haben. „Mit erneuerbaren Energien könnte das Bad sogar klimaneutral betrieben werden“, so Desch. „Doch fällt das schon unter den Begriff Notstand?“
Klares Ja von den Klimaaktivisten: „Ist uns ein Hallenbad wichtiger als die Zukunft unserer Enkel? Tote können nicht schwimmen.“ Man müsse endlich von dem Gedanken wegkommen, dass Klimaschutz Luxus sei, so Frenzel und Figur. Zudem seien die Kosten für Klimaschutz heute niedriger, als die, die auf die Gesellschaft zukämen, wenn man den Klimawandel nicht stoppe.
Die BI will nicht nur Forderungen stellen, sondern die Stadt auch unterstützen. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich etwa mit der Frage, wie man ein Instrumentarium zur Darstellung von Emissionen erstellen könnte. Die BI hofft, dass ihre Resolution in die Vorlage der Koalition eingeht. Erste Treffen hat es schon gegeben. Die Opposition, bis auf die AfD, hat sich laut BI interessiert bis positiv gezeigt. Frölich sagte, man arbeite in den Ferien weiter. Ziel sei es, das Papier in der nächsten Stadtverordnetenversammlung zu beschließen.
Infos und Kontakt zur Bürgerinitiative: https://klimanotstand-darmstadt.de