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Mit allen Mitteln gegen Atomkraft

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Womöglich zum letzten Mal versammelten sich die Aktiven unter dem gelben Pavillion und erinnerten sich an die Anfänge.
Womöglich zum letzten Mal versammelten sich die Aktiven unter dem gelben Pavillion und erinnerten sich an die Anfänge. © Renate Hoyer

Die Antikernenergiebewegung in Darmstadt feiert den Ausstieg aus der Technologie. Fast ein Leben lang haben Georg Dombrowe und seine Mitstreiter:innen gekämpft.

Ab morgen sind wir Zeitzeugen“, freut sich Georg Dombrowe. Fast sein ganzes Leben hat der 68-jährige Darmstädter gegen Atomkraftwerke gekämpft. Am Samstag wurden die letzten drei Anlagen in Deutschland abgestellt. „Heute haben wir Grund zu feiern und das werden wir am Abend auch tun.“ Am Mittag haben er und einige Mitstreiter vorm Weißen Turm noch einmal ihren gelben „Atomkraft? Nein Danke“-Pavillon aufgebaut. Auf großes Interesse scheinen sie dabei nicht zu stoßen. Wer bei ihnen stehen bleibt, gehört zu den alten Weggefährten.

Gemeinsam erinnert man sich an die großen Proteste 1986 gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die Blockaden der Castortransporte in den 1990er-Jahren sowie daran, als nach dem Reaktorunglück in Fukushima 2011 die Bewegung noch einmal Fahrt aufnahm. Und man erinnert sich an die, die das Ende der Atomkraft nicht mehr selbst erleben können. „Einige alte Kollegen sind schon auf dem Waldfriedhof“, sagt Dombrowe.

Wie lange das alles her ist, scheint Monika Herchenröder erst klar zu werden, als sie nach ihrer ersten Demonstration gefragt wird. Zwei Schlaganfälle haben das Gedächtnis der bald 85-Jährigen beeinträchtigt. Bei einem Kaffee beginnt die ehemalige Lehrerin und Inhaberin der längst geschlossenen „Galerie Garten“ zu erzählen. Das genaue Jahr könne sie nicht sagen, aber mit dem Feminismus fing alles an. Es wird wohl 1968 oder in den frühen 1970er-Jahren gewesen sein, als sie mit der verstorbenen Ikone der hiesigen Kinderladenbewegung, Charlotte Richter, vors Amtsgericht zog, um auf eine härtere Strafe für einen „sehr milde“ verurteilten Vergewaltiger zu drängen. „Charlotte ist einfach auf einen Stein gestiegen und hat aus dem Stehgreif eine feministische Rede gehalten“, erinnert sich Herchenröder. Danach ließen die beiden kaum einen linken Protest liegen: Von der Besetzung der Oetinger Villa über den jahrzehntelangen Kampf gegen die schließlich gescheiterte Nordostumgehung bis eben hin zur Antiatomkraftbewegung.

Auf rund vier Demonstrationen pro Jahr, schätzt Herchenröder, dürfte sie lange Zeit gegangen sein. Noch 2011, nach Fukushima, bastelte sie sich ein Kernkraftwerkskostüm: „Das war ein Drahtkäfig mit Tapete außen dran, den ich mir komplett überziehen konnte, so dass nur noch die Schuhe rausschauten.“ Nach mehrfachen Einsatz hätten sie das Reaktormodell schließlich bei einer Demonstration mit einem Vorschlaghammer zertrümmert, berichtet Dombrowe. Der Mitbegründer der Darmstädter Initiative für die Abschaltung aller Atomkraftwerke ist zum ersten Mal mit 16 Jahren auf dem Moped aus dem Odenwälder Garbenheim zu einem Protestcamp nach Biblis gefahren. „Mir kam das nicht geheuer vor und ich wollte mir das mal angucken“, berichtet der pensionierte Biologe. „Seitdem bin ich AKW-Gegner.“

Der große Erfolg der Bewegung liege wohl daran, dass sie sich nie habe spalten lassen, meint Dombrowe. Auf die Frage, ob er eher dem radikalen Flügel zuzurechnen sei, antwortet er ohne zu überlegen mit einem stolzen Ja. Unter Zusammenstößen mit der Polizei „war alles dabei, was Sie sich vorstellen können“. Mittlerweile halte er hauptsächlich Vorträge – zuletzt in Büttelborn, wo der Kampf in die nächste Etappe geht. „Dort soll der freigetestete Schutt aus Biblis einfach auf der Hausmülldeponie landen, obwohl die für radioaktiven Abfall überhaupt nicht geeignet ist.“

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