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Machtübernahme der Nazis: Als die Demokratie in Darmstadt starb

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Von: Claudia Kabel

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Auf dem Trittbrett des Autos vor dem Landtagsgebäude in Darmstadt Gauleiter Jakob Sprenger, links neben ihm Staatspräsident Ferdinand Werner. Das Landtagsgebäude exstiert heute nicht mehr.
Auf dem Trittbrett des Autos vor dem Landtagsgebäude in Darmstadt Gauleiter Jakob Sprenger, links neben ihm Staatspräsident Ferdinand Werner. Das Landtagsgebäude exstiert heute nicht mehr. © Stadtarchiv Darmstadt

Am 6. März 1933 übernahm die NSDAP den Landtag des Volksstaats Hessen in Darmstadt. Festnahmen, Misshandlungen und Gleichschaltung folgten.

Adolf Hitler wurde zwar am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt – was gemeinhin als Datum der Machtübernahme gilt. Doch in den Ländern war die Situation teilweise eine andere und die Nationalsozialisten hatten noch nicht vollständig das Ruder übernommen. Im Volksstaat Hessen, Sitz des Landtags war in Darmstadt am Luisenplatz – wo sich heute die Sparkasse befindet –, regierte noch bis zur Reichstagswahl am 5. März 1933 ein Bündnis aus SPD, DDP und Zentrum unter Leitung von Staatspräsident Bernhard Adelung (SPD).

„Die eigentliche Machtergreifung in Darmstadt hat in der Nacht vom 6. auf den 7. März 1933 stattgefunden“, sagt Heinrich Pingel. Der Historiker und Archivpädagoge im Ruhestand hat im Rahmen seines Examens an der Technischen Universität Darmstadt (damals TH) zum Thema Machtergreifung in Darmstadt geforscht. Zum 90. Jahrestag trug er am Donnerstagabend seine Ergebnisse im Haus der Geschichte vor. Stadtrat Michael Kolmer (Grüne) bezeichnete es als „wichtiges Zeichen für die Demokratie“, dass die anwesenden Gäste so zahlreich erschienen seien. Eingeladen hatten Stadt- und Staatsarchiv, Darmstädter Geschichtswerkstatt, Verein Gegen Vergessen – für Demokratie und die Volkshochschule.

Machtübernahme in Darmstadt: Polizei wartete auf Befehle

„Es war ein Montagabend. Es gab ein Telegramm, das besagte, der Reichstagsabgeordnete Müller-Alsfeld übernimmt die Polizeigewalt“, berichtet Pingel. Die Polizei, die noch offiziell unter Leitung von Innenminister Wilhelm Leuschner (SPD) gestanden habe, sei im Kollegiengebäude – dem heutigen Sitz des Regierungspräsidiums – angetreten und habe auf Befehle gewartet.

„Ab dieser Nacht fing der eigentliche Terror und die Verfolgung in Darmstadt an“, so Pingel. Hausdurchsuchungen, Misshandlungen in den Katakomben unter dem Biergarten in der Dieburger Straße, Sofortentlassungen von Ministerialräten, die den Demokraten nahestanden – eine regelrechte Gleichschaltung. Auch die Stadtregierung mit Oberbürgermeister Rudolph Mueller (Deutsche Demokratische Partei) wurde gestürzt. Wenige Tage später begannen „wilde Aktionen“ gegen Jüdinnen und Juden, so Pingel. Das „Darmstädter Tagblatt“ schrieb am Morgen des 7. März: „(…) um 23.45 Uhr besetzten die Nationalsozialisten das hessische Innenministerium in Darmstadt – Gauleiter Sprenger in Begleitung des Kommissars der Reichsregierung Dr. Müller-Alsfeld erschien in Begleitung einiger Sachwalter der NSDAP sowie Offizieren der Standarte 115 im Gebäude des Innenministeriums. Die Polizeigewalt wurde übernommen. Polizeibeamte, welche zahlreich und stark bewaffnet mit Karabinern und Maschinen-Pistolen waren, übergaben die Waffen und Standartenführung der SA.“

Machtübernahme: NSDAP bekam in Darmstadt 50 Prozent der Stimmen

Unmittelbar danach seien Gewerkschaftshaus, Gebäude der sozialdemokratischen Presse und die Wohnungen von Staatspräsident Adelung – in der Heidelberger Straße 22 – und Innenminister Wilhelm Leuschner besetzt worden. „Zu Unruhen ist es nicht gekommen“, schreibt das „Darmstädter Tagblatt“.

Gauleiter Sprenger und Staatspräsident Werner nehmen die Parade der SA ab. Im Hintergrund das Kollegiengebäude in Darmstadt, in dem heute das Regierungspräsidium seinen Sitz hat.
Gauleiter Sprenger und Staatspräsident Werner nehmen die Parade der SA ab. Im Hintergrund das Kollegiengebäude in Darmstadt, in dem heute das Regierungspräsidium seinen Sitz hat. © Stadtarchiv Darmstadt

Kein Wunder: Bei der Reichstagswahl hatte die NSDAP in Darmstadt 50 Prozent der Stimmen erlangt, im Volksstaat Hessen waren es rund 44 Prozent. Im Landtag stimmten alle Parteien außer der SPD der Machtübernahme zu, berichtet Pingel.

Noch am 1. März 1933 hatte die SPD im Hessischen Volksfreund zum Widerstand aufgerufen: „Angreifen! Vorstoßen – Die gesamte Partei steht zum Kampf bereit!“ Doch man hatte zu lange gewartet, weil man befürchtet hatte, man würde wie die KPD verboten werden, legt Pingel dar und unterlegt dies mit einer Tonaufnahme des damaligen Darmstädter Gewerkschaftsfunktionärs und SPD-Widerstandskämpfers Albert Mayer von 1976: „Wir hatten keine Vorstellung davon, was daraus werden konnte. Man war bis 1936 der Meinung, wir könnten noch etwas ändern.“ Viele Verhaftete, darunter Carlo Mierendorff, Pressechef des Innenministers, seien ins KZ Osthofen gebracht worden, sagt Pingel. „Dort versuchte man, sie mit perfiden menschenverachtenden Mitteln zu brechen.“

Die Gleichschaltung habe sämtliche Institutionen, Vereine und Organisationen durchzogen. „Es gab keinen Bereich, wo die NSDAP nicht versuchte, sich durchzusetzen“, sagt Pingel.

Diskussion im Haus der Geschichte: Demokratie ist auch heute in Gefahr

In der an den Vortrag anschließenden Diskussion unter dem Titel „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“ hoben die Teilnehmenden hervor, dass auch heute die Demokratie nicht sicher sei. „Die Demokratie hat keinen Ewigkeitswert“, sagte Klaus Müller vom Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie. Bereits jetzt seien laut Studien in den alten Bundesländern 20 Prozent, im Osten sogar bis zu 40 Prozent der Menschen demokratiefeindlich beziehungsweise demokratieskeptisch eingestellt.

Die Ausstellung zur Machtübernahme wurde von Schülerinnen und Schüllern aus Darmstadt und Umgebung gestaltet.Laetitia von der GCLS in Ober-Ramstadt beschäftigte sich mit Schülerzeitungen der Nazi-Zeit.
Die Ausstellung zur Machtübernahme wurde von Schülerinnen und Schülern aus Darmstadt und Umgebung gestaltet. Laetitia von der GCLS in Ober-Ramstadt beschäftigte sich mit Schülerzeitungen der Nazi-Zeit. © Claudia Kabel

Auch Schulen aus Darmstadt und Umgebung setzten sich zum Jahrestag mit der Machtübernahme auseinander und kreierten eine Ausstellung. Laetitia (19) von der GCLS in Ober-Ramstadt beschäftigte sich dabei mit Schülerzeitungen der NS-Zeit. „Man muss ganz genau hinschauen, um zu erkennen, wie subtil der Hass gegenüber Menschen erzeugt wurde“, sagte sie. Mitschüler Paul, der sich mit den Heimtücke-Gesetzen der Nazis befasste, sagte, „es ist schockierend zu sehen, wie sich die Geschichte derzeit in Russland, China und Nordkorea wiederholt“.

Die Ausstellung „Jugendliche Perspektiven auf die Zerstörung einer Demokratie“ ist bis 31. März im Foyer des Haus der Geschichte zu sehen.

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