Es kann jeden treffen

Die Selbsthilfegruppe „Psycholotsen“ hilft bei seelischen Krisen und freut sich nun auch ein Domizil zu haben. Psychische Krisen seien nichts, was schamhaft versteckt werden sollte. Sie seien vielmehr Teil des Lebens und betreffen mehr Menschen, als gemeinhin angenommen.
Die Hemmschwelle ist niedrig, langatmige Erklärungen sind unnötig: Wer aus der psychischen Balance geraten ist, wer sich in einer Krise befindet oder fürchtet, das dunkle Tal der Depression nicht durchschreiten zu können, findet jetzt kompetente Ratgeber, die aus Erfahrung wissen, worum es geht. „Psycholotsen“ nennt sich die Selbsthilfegruppe von rund einem Dutzend Betroffenen und Angehörigen, flankiert von Therapeuten.
Im Groß-Gerauer Norden haben die ehrenamtlich engagierten Menschen, die seelische Krisen und Krankheit aus eigener Erfahrung kennen oder sie als Angehörige unmittelbar miterleben, jetzt eine unbürokratische Anlaufstelle für Hilfesuchende eröffnet. Glücklich, ein geeignetes, bezahlbares Domizil inmitten eines Wohngebiets gefunden zu haben, präsentierten sie sich den Pressefotografen mit symbolischen Silberschlüssel.
„Dass wir hier, inmitten der Heimstätte und nicht am Rand der Stadt, Räume anmieten konnten, freut uns. Psychische Krisen sind nichts, was schamhaft versteckt werden sollte. Sie sind Teil des Lebens und betreffen mehr Menschen, als man meint“, so Regina Arnold.
Baustein der Enttabuisierung
Die Psychologin der 2012 gegründeten „Stiftung für seelische Gesundheit“, die mit ihren Kollegen auch im kreisweiten Bündnis gegen Depression aktiv ist, setzt große Stücke auf Selbsthilfeprojekte zur Krankheits-und Krisenbewältigung. Bekannt ist das Stiftungsprojekt „Verrückt, na und?“, bei dem Betroffene vor Schülern das Tabu psychischer Krankheit brechen, indem sie darlegen: „Es kann jeden treffen.“
Nun kommen die „Psycholotsen“ als Baustein der Enttabuisierung hinzu. Um in tempo-, lärm- und stressreicher Zeit, in der Flexibilität, Mobilität und Mehrfachbelastung in Beruf und Familie Alltag sind, mitzuhalten, ist die Psyche öfter überfordert, als eingestanden wird: Krankenkassen weisen in ihren Bilanzen rasante Zunahme von Depression aus.
„Umso wichtiger ist, dass wir ermuntern, sich frühzeitig Hilfe zu holen“, so Arnold. Und zwar ohne Angst vor verworrener Bürokratie und ohne Angst vor Stigmatisierung. Die Psycholotsen bieten in den privat angemieteten, gemeinsam entrümpelten und freundlich renovierten Räumen montagnachmittags Sprechstunden an.
Ein Erstgespräch am Telefon oder eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, auf die schnellstens ein Rückruf erfolgt, ermöglicht es den Psycholotsen, für jedes Anliegen den richtigen Zuhörer und Ratgeber zu bestimmen. Denn die gebündelte Kompetenz der Helfer ist groß – sie reicht von Depression über Psychosen bis hin zu Magersucht: keine seelische Not, die bei ihnen unbekannt wäre. Interne Treffen, Supervision und Fortbildungen begleiten die Hilfestellung, die die Psycholotsen anderen Betroffenen bieten.
Ratgeber, Zuhörer und Unterstützer
Sandy Wolf, eine der jüngsten Psycholotsen, sowie Wiebke Schrauf, eine junge Mutter, oder Bruno Wedel, ein lebenskluger Mann mit Humor, sind drei der Engagierten, die sich auf die Aufgabe als Ratgeber, Zuhörer und Unterstützer beim Gang zu Ämtern und Ärzten freuen. Bruno Wedel sagt: „Wenn du in dunklen Phasen von der Couch nicht mehr hochkommst, keine Motivation hast, denkst du, es wird nie mehr besser. Heute weiß ich, dass keine Krise umsonst ist. Du wächst daran und du kannst es schaffen.“
Zur Einweihung der Räumlichkeiten gab’s viel Besuch beim Büfett im Garten: Dabei waren unter anderen Willi Blodt, Ex-Landrat und Mitglied des Stiftungsbeirats, Bettina Scholz, Vorsitzende des Sozialpsychiatrischen Vereins (SPV), Harald Scherk, Ärztlicher Direktor im Philippshospital, die Paten der Psycholotsen sowie Förderer und Spender des Projekts und nicht zuletzt auch die privaten Vermieter, denen aller Dank gebührt.
„Psycholotsen, die als Selbsthilfegruppe einander stärken, unterstützen nun andere mit Rat und Tat. Wir sind sehr gespannt auf die Resonanz, gespannt auf die Erfahrungen, die wir machen“, so Psychologin Arnold.
Die „Psycholotsen“ sind in Groß-Gerau, Heimstättenstraße 2, zu erreichen unter Telefon 06152/1877736 und auf www.psycholotsen.com. Sprechzeit ist montags von 16 bis 18 Uhr.(lot)