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„Ich habe mit meinen Ängsten gearbeitet“

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Von: Boris Halva

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Rahel Welsens Bild-Paar trägt den Titel… Rahel Welsen
Rahel Welsens Bild-Paar trägt den Titel… Rahel Welsen © Rahel Welsen

Ein Gespräch mit der Fotografin Rahel Welsen über die aktuelle „Unwort“-Schau in Darmstadt.

Frau Welsen, die sogenannte „Letzte Generation“, auf die das diesjährige Unwort „Klimaterroristen“ ja vor allem abzielt, arbeitet mit bildmächtigen Aktionen – war es schwer für Sie, ein eigenes Motiv zu finden, das nicht schon hundertfach durch die Medien gegangen ist?

Das trifft tatsächlich den Kern des Problems, das ich dieses Jahr mit dem Unwort hatte. Ich verstehe die Ängste, die hinter diesen Aktionen stehen und die die Leute antreiben, das sind ja auch überwiegend meine Ängste. Aber die Aktionen selbst finde ich nicht gut. Ich bin seit vielen Jahren Mitglied bei Greenpeace und finde, der Protest gegen Umweltzerstörung und die Ausbeutung von Ressourcen ist da in guten Händen. Aber das war auch unter uns neun Fotografinnen und Fotografen total spannend zu sehen, wie unterschiedlich wir zum diesjährigen Unwort stehen.

Sieht man diese Differenzen auch in den Motiven?

Nein, nicht wirklich. Aber gedanklich waren wir in der Bewertung des Unwortes, also: wie wir zu den Aktionen stehen, auf die es sich bezieht, ziemlich weit auseinander. Da gibt es die, die sagen: Das ist gut und richtig, was die Letzte Generation tut. Und es gibt die, die das nicht nachvollziehen können. Deswegen habe ich mich in meinen Bildern auch nicht mit dem Unwort selbst befasst, sondern mit der Frage: Was ist der gemeinsame Nenner von dem, was die Aktivisten wollen, und dem, was mich an dem Thema bewegt?

Und so kamen Sie auf den Wald?

Ja, denn für mich geht es bei der Frage, wie sieht der Wald in zwanzig oder dreißig Jahren aus, eben auch um die Frage, was dann für die Menschen normal sein wird? Und wenn wir irgendwann in der Zukunft den Waldspaziergang nur noch mit Atemschutzmasken machen können, weil die Luft zu schlecht zum Atmen ist, dann mag mir das aus heutiger Sicht nicht normal erscheinen – aber wir Menschen sind ja ziemlich gut darin, uns an Veränderungen anzupassen. Es kann also gut sein, dass wir es irgendwann in Kauf nehmen, den Sonntagsspaziergang mit Atemschutzmasken zu machen – ich finde das als Aussicht trotzdem ziemlich beunruhigend.

Die Frage hinter Ihren Bildern ist also: Wollen wir uns so ein Leben wirklich zumuten?

Genau! Und es mag ein bisschen sarkastisch wirken, dass die Familie mit den Atemschutzmasken da so fröhlich entlang spaziert und den toten Wald um sich herum ausblendet, aber meine Hoffnung ist, dass sich bei manchen, die sich unsere Fotos anschauen, etwas regt; dass sie ins Grübeln kommen und sich fragen, was sie selbst tun könnten.

Die Ausstellung

Rahel Welsen, 45, ist eine der neun Darmstädter Fotografinnen und Fotografen, die sich alljährlich künstlerisch mit dem aktuellen Unwort auseinandersetzen. Die diesjährige Schau zum Unwort „Klimaterroristen“ ist die nunmehr 19. Ausstellung des Kollektivs.

Die Eröffnung der Ausstellung ist am Donnerstag, 23. März, um 19 Uhr im Forum der Schader-Stiftung, Goethestraße 2 in Darmstadt. Im Anschluss kann die Ausstellung in der Galerie besichtigt werden. Finissage ist am 6. April um 16 Uhr. boh

Infos zu Führungen und Vorträgen unter www.unwort-bilder.de sowie www.schader-stiftung.de/unwort

Manchmal reichen ja kleine Schritte...

Und viele kleine Schritte bewirken auch was, das ist richtig. Aber im Moment ist mein Eindruck, dass eher wenig passiert, weil manche Menschen vehement etwas einfordern, was andere Menschen genauso vehement ablehnen. Da bringt ein erhobener Zeigefinger auch nichts, man kann Menschen ja nicht zur Selbsterkenntnis drängen.

Sie haben die verhärteten Fronten angesprochen. Einer Ihrer Unwort-Kollegen hat zu seinen Fotos Zitate aus den Kommentarspalten zu Aktionen der Letzten Generation gestellt. Und fragt angesichts der Drohungen und des Hasses, von wem denn eigentlich die Gewalt ausgeht…

Das hat auch mich sehr beunruhigt in der Auseinandersetzung mit dem Thema. Das war auch ein Grund, warum ich dann mit meinen eigenen Ängsten gearbeitet habe. Der Klimawandel ist das eine, aber wir haben eben auch eine Verhärtung in Teilen der Gesellschaft. Es brennt an so vielen Ecken, und die Aktionen der Letzten Generation provozieren vielleicht auch deshalb so sehr, weil es Menschen gibt, die sich provozieren lassen. Eskalation ist ja auf beiden Seiten denkbar, und so sehr ich hoffe, dass es dazu nicht kommt, macht mir diese aufgeheizte Stimmung doch auch Angst.

Das klingt alles sehr düster... Sind Sie während der Arbeit mit dem Unwort auf nichts gestoßen, das Ihnen wenigstens ein bisschen Mut und Zuversicht gibt?

Doch, schon. Vor allem im Kleinen sieht man, dass es überall Menschen gibt, die sich engagieren, sei es für den Umweltschutz oder für den Tierschutz. Menschen, die nicht nur ihrem direkten Nachbarn helfen, sondern auch sehen, was diejenigen brauchen, die ein paar Häuser weiter wohnen. Und ganz gleich, was manche von „Fridays for Future“ halten, so ist es doch gut zu sehen, dass junge Menschen sich zusammentun und versuchen, ein Umdenken zu erreichen.

Interview: Boris Halva

… „Darmstadt 2053“. Rahel Welsen
… „Darmstadt 2053“. Rahel Welsen © Rahel Welsen

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