Hartmut Hegeler zu Hexenprozessen: „Das Unrecht soll nicht das letzte Wort haben“

Pfarrer Hartmut Hegeler setzt sich bei der katholischen Kirche für die Rehabilitierung der Opfer von Hexenverfolgung ein. Das Thema sei heute so aktuell wie damals.
Herr Hegeler, als evangelischer Pfarrer und Gründer des Arbeitskreises Hexenprozesse setzen Sie sich für die Rehabilitierung der Opfer von Hexenverfolgung ein. Ist eine solche denn möglich?
Eine Rehabilitierung in juristischem Sinne ist nach so langer Zeit fast unmöglich, da die genaue Rechtsnachfolge der damaligen Territorien und Gerichte unklar ist und viele Akten verlorengingen oder (absichtlich) zerstört wurden. Rehabilitierung ist ein symbolischer Akt, damit deutlich wird: Das Unrecht soll nicht das letzte Wort haben. Zwar kann das Unrecht und Leid, das Frauen und Männern damals zugefügt wurde, nicht wiedergutgemacht werden. Aber gegen Unmenschlichkeit gilt es immer neu Stellung zu beziehen.
Sie haben dafür zahlreiche Bistümer angeschrieben. Sind Sie mit der Resonanz der katholischen Kirche zufrieden?
Ich erwarte derzeit kaum, dass sich die Bistümer mit den Hexenprozessen beschäftigen, denn die katholische Kirche tut sich sehr schwer mit der Aufarbeitung der Missbrauchsskandale. Der Glaubwürdigkeit der Kirche würde es sicherlich guttun, wenn sie sich den dunklen Punkten der Kirchengeschichte stellt, vor allem weil Jesus selber unschuldiges Opfer von Gewalt und Willkür wurde.
Das Bistum Mainz, zu dem Dieburg gehört, hat Ihnen 2021 geantwortet, dass für 2023 eine wissenschaftliche Tagung zu den hexenverfolgenden Erzbischöfen stattfinden soll, bei der auch über ein Gedenken an die Opfer entschieden werden soll.
Ich bedauere, dass es nicht schon längst im Bistum Mainz ein Gedenken an die Opfer der Hexenverfolgung gibt. Ein deutliches Zeichen wäre, eine Messe für die unschuldigen Opfer zu halten, die im Namen Gottes hingerichtet wurden. Schließlich hat Papst Franziskus bereits 2016 die kirchliche Mitwirkung an Hexenverfolgungen und Ketzerverbrennungen als Unrecht angeprangert.
Immerhin. Aber sehen Sie schon konkrete Erfolge für eine symbolische Wiedergutmachung?
Zur Person
Hartmut Hegeler, Jahrgang 1946, ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand und Gründer des Arbeitskreises Hexenprozesse.
Er lebt im nordrhein-westfälischen Unna und kämpft für die Rehabilitierung der Opfer der Hexenprozesse.
Seine Internetseite: antonpraetorius.de
Sehr viele Städte und Kirchen in Deutschland und anderen Ländern haben dieses Anliegen aufgegriffen. In etlichen war ich selber beteiligt, besonderes Medienecho fand der Beschluss des Stadtrats in Köln 2012. Und die Bistümer Bamberg und Eichstätt haben sich schon vor Jahren klar zur Mitverantwortung der Kirchen an den Hexenprozessen bekannt.
Wo steht Dieburg im Vergleich zu anderen Orten der Verfolgung?
Im protestantischen Idstein wurden 1676 und 1677 in Hexenprozessen 39 Personen hingerichtet, 31 Frauen und 8 Männer. Idstein hatte damals zirka 400 Einwohner. Die Opfer wurden 2014 durch das Stadtparlament einstimmig moralisch-sozialethisch rehabilitiert. Ein Gedenkstein erinnert an ihr Schicksal. In Dieburg mit 200 Opfern innerhalb von 34 Jahren hat immerhin die Marienschule 2009 ein Plakat zum Gedenken an die Opfer gemalt.
Was sollte Dieburg Ihrer Meinung nach tun?
Es wäre wichtig, dass die Stadt dem Beispiel der Schüler folgt, eine Rehabilitierung dieser unschuldig hingerichteten Frauen und Männer beschließt und eine Gedenktafel zur Erinnerung aufstellt, denn die Hexenprozesse wurden damals von der Obrigkeit durchgeführt, während die Kirche zur Verfolgung der angeblichen Anhänger Satans aufrief.
Aber hat denn die Hexenverfolgung überhaupt noch einen Bezug zu unserer Zeit?
Das Geschehen der Hexenprozesse ist nicht so weit vom Alltag entfernt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Bis heute erleben wir im Alltag, wie Menschen ausgegrenzt, fertiggemacht, gemobbt werden. Täglich berichtet Amnesty International davon, in welchen Ländern Menschen verfolgt, gefoltert, hingerichtet werden. Heute wie damals werden Menschen fälschlich beschuldigt, für Missstände in der Gesellschaft verantwortlich und schuldig zu sein. Auf der Strecke bleiben damals wie heute Fremde, Arme und Außenseiter.
Interview: Claudia Kabel