Erinnerung an grausame Tage in Darmstadt

Vor genau 80 Jahren wurden die letzten Sinti aus Darmstadt deportiert. Am Sonntag, 19. März, sollen deshalb erinnernde und mahnende Worte fallen.
Zum 80. Mal jährt sich in diesen Tagen ein schreckliches Ereignis in Darmstadt: Am 15. März 1943 wurden 69 Sinti brutal aus ihren Wohnungen, von ihrem Arbeitsplatz oder aus der Schule verschleppt und in Güterwaggons ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Am Sonntag, 19. März, soll in einer Gedenkstunde an dieses Verbrechen erinnert werden. Mehmet Daimagüler, Antiziganismusbeauftragter der Bundesregierung, wird dazu aus Berlin anreisen und in einer Rede auf die Verbindungen zwischen dem nationalsozialistischen Völkermord und der heutigen Situation von Angehörigen der nationalen Minderheit in Deutschland eingehen.
Nach dem Befehl von Himmler begann die Deportation von Sinti auch in Darmstadt
Die Deportationen der Sinti vor genau 80 Jahren gehen auf den „Auschwitz-Erlass“ von SS-Reichsführer Heinrich Himmler zurück. Am 16. Dezember 1942 befahl er, dass „alle Zigeuner und Zigeunermischlinge ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad nach Auschwitz deportiert werden sollen“. Ab Januar 1943 wurden daraufhin mehr als 15 000 Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager verschleppt. „Da wussten die Nazis schon, wo sich in Darmstadt Sinti aufhalten und hatten sie quasi schon festgesetzt“, sagt Alice Reitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin im hessischen Landesverband deutscher Sinti und Roma.
Am 15. März 1943 traf es dann auch die Sinti in Darmstadt. „Alle, die zu diesem Zeitpunkt noch da waren, wurden in die Waggons am Güterbahnhof getrieben“, sagt Reitz. Im Gegensatz zur Deportation der Juden sei hier nicht die Gestapo auf den Plan getreten, sondern „aus kriminalpräventativen Gründen“, so der Nazi-Ton, die Kriminalpolizei. Schon lange vorher seien die Sinti im Deutschen Reich schleichend entrechtet worden, sagt Reitz. Ab 1940 habe es immer wieder Verschleppungen in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald gegeben.
Erst wurden Juden und Jüdinnen in Darmstadt verschleppt, ein Jahr später dann Sinti
Am 20. März 1942 gab es am Güterbahnhof in Darmstadt die ersten Deportationen von rund 600 Juden und Jüdinnen aus ganz Südhessen, ein Jahr später folgten die Transporte der Sinti ins KZ Auschwitz. Nur einige wenige von ihnen überlebten – unter anderem Martin Wick und Alwine Keck, die nach Darmstadt zurückkehrten und Zeitzeugenberichte lieferten.
Gedenken
Die Gedenkstunde anlässlich des 80. Jahrestags der Deportation der Darmstädter Sinti beginnt am Sonntag, 19. März, um 11 Uhr am Güterbahnhof, Bismarckstraße/Ecke Kirschenallee, in Darmstadt.
Auch der ersten Deportation von Juden und Jüdinnen aus Darmstadt vor 81 Jahren soll gedacht werden.
Zu der Veranstaltung laden die Stadt Darmstadt, der hessische Landesverband Deutscher Sinti und Roma und die Initiative Gedenkort Güterbahnhof in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Darmstadt ein. ann
Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) spricht von „einem Verbrechen, das in der Mitte dieser Stadt geschah“. Es sei unsere Bürgerpflicht, spaltenden, ausgrenzenden und rassistischen Tendenzen in der Stadtgesellschaft entschieden entgegenzutreten, damit sich eine solche Grausamkeit nie wiederhole.
Rassismus und Antiziganismus sind auch heute noch nicht verschwunden
„Ohne den historisch gewachsenen Antiziganismus, der sich seit Jahrhunderten in der europäischen Gesellschaft verfestigt hatte, wäre der Völkermord an 500 000 Sinti und Roma nicht möglich gewesen“, erinnert Rinaldo Strauß, stellvertretender Geschäftsführer des hessischen Landesverbands deutscher Sinti und Roma. Viele rassistische Zerrbilder würden bereits seit über 600 Jahren existieren, und auch nach 1945 seien Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus nicht verschwunden. Für Strauß ist es auch nach 80 Jahren noch tief verstörend, dass die Darmstädter meist widerspruchslos zusahen, wegsahen oder mithalfen, Menschen aus ihrer Mitte heraus in den sicheren Tod zu verfrachten.