Darmstädter verliert Führerschein wegen Depression

Die Fahrerlaubnisbehörde in Darmstadt entzieht einem Studenten nach Aufenthalt in der Psychiatrie und einer MPU wegen einer Depression den Führerschein.
Dass man wegen einer Alkohol- oder Drogenfahrt den Führerschein verlieren kann, ist wohl jedem klar. Dass aber auch eine Depression ein Grund für einen Führerscheinentzug sein kann, hat ein Darmstädter Student in den vergangenen Wochen leidvoll erfahren müssen.
Zehn Tage Aufenthalt wegen akuter Suizidalität im Bezirkskrankenhaus im unterfränkischen Werneck haben dafür gereicht, dass der Führerschein des jungen Mannes „futsch“ ist. Die Klinik diagnostizierte bei ihm eine „mittelgradige depressive Episode“. Drei Tage lang war er freiwillig auf der geschlossenen Station der Psychiatrie, dann wollte er die Klinik verlassen. Diese beantragte aber eine richterliche Anordnung, die ihn noch sieben Tage zum Bleiben zwang.
Richterliche Anordnung führte zur Meldung bei der Führerscheinstelle in Darmstadt
„Niemals wird ein Arzt ohne Entbindung von der Schweigepflicht durch den Patienten und ohne triftigen Grund, beispielsweise eine akute erhebliche Gefährdungssituation, eine Meldung über eine Fahruntauglichkeit an die Behörden machen“, erklärt der Ärztliche Direktor Professor Maximilian Gahr gegenüber der FR. „Man müsste in diesem Fall noch einmal genau die Hintergründe betrachten, um zu verstehen, warum Informationen an die Fahrerlaubnisbehörde gegangen sind“, so der Professor. Wie der Student im Nachhinein von seinem behandelnden Arzt erfuhr, meldete das Gericht seine Depression an die Darmstädter Führerscheinstelle, die von dem Krankenhaus den Entlassungsbericht haben wollte. Er stimmte dem noch in der Klinik zu.
Gründe für einen Führerscheinentzug
Die Fahreignung kann laut Landesverband Psychiatrie-Erfahrene Hessen e.V. überprüft werden, wenn jemand an einer psychiatrischen Erkrankung leidet.
Diese geistigen Beeinträchtigungen lassen das Autofahren nicht zu: akute organische Psychosen, schwere Altersdemenz, akute Phasen einer Manie, akute Phasen einer sehr schweren Depression, schizophrene Psychosen sowie Epilepsie, wenn sich in den zurückliegenden zwölf Monaten ein Anfall ereignet hat. Störungen der Intelligenz und geistige Behinderungen führen aber nicht zum Führerscheinentzug.
Einige körperlich Beeinträchtigte dürfen sich ebenfalls nicht ans Steuer setzen. Dazu zählen unter anderem Menschen mit zweitem Herzinfarkt oder mit schwerer Niereninsuffizienz sowie Diabetiker mit schweren Stoffwechselstörungen. ann
Einige Wochen später erhielt der Student einen Brief mit der „Anordnung zur Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens“. Darin forderte ihn die Führerscheinstelle auf, ein Gutachten bei einer MPU-Stelle erstellen zulassen – andernfalls werde ihm seine Fahrerlaubnis entzogen. Binnen einer Woche sollte er mitteilen, wo er das Gutachten machen lässt. „Zudem gab man mir die Möglichkeit, einfach auf meinen Führerschein zu verzichten“, sagt der junge Mann.
1250 Euro für ein Gutachten, das für den Darmstädter negativ ausfiel
Er entschied sich für ein Gutachten beim TÜV Hessen. „Das hat mich rund 1250 Euro gekostet“, sagt er – viel Geld für einen Studenten. Der Termin habe keine Stunde gedauert, erinnert er sich. Schon nach wenigen Minuten habe ihm die Gutachterin unterstellt, dass er nicht behandlungsbereit sei, weil er kurz vorher aufgehört hatte, seine Antidepressiva zu nehmen. Seine Medikamentenpackung sei schlichtweg leer gewesen, erklärt der Student. Für ihn ist die Einschätzung der Gutachterin „komisch“; schließlich habe er sich ja zuerst freiwillig in der bayerischen Klinik zur Behandlung vorgestellt.
Das Ende vom Lied: Das Gutachten bewertete seine Kraftfahreignung als „nicht gegeben“ und empfahl, ihm den Führerschein für mindestens zwei Jahre zu entziehen. In dieser Zeit habe er einmal jährlich ein Attest seiner Psychiaterin beizubringen, das zu seiner „Compliance“ – zu seiner Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen – Stellung nimmt.
Gefordertes Gutachten für Führerscheinbehörde eine „ergebnisoffene Aufklärungsmaßnahme“
Am Donnerstag erhielt er nun ein Schreiben der Darmstädter Fahrerlaubnisbehörde mit genau diesen Ausführungen. Das Amt will ihm den Führerschein gebührenpflichtig entziehen. Er könne aber auch freiwillig darauf verzichten, dann sei das Ganze kostenfrei.
Wie oft depressiven Menschen in Darmstadt der „Lappen“ schon entzogen wurde, konnte das Ordnungsdezernat auf FR-Anfrage nicht beantworten. Eine Statistik führe die Fahrerlaubnisbehörde nicht, hieß es. Sie erlange nicht über jeden diagnostizierten Fall einer Depression oder anderen psychischen Erkrankung Kenntnis.
Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens sei eine „ergebnisoffene Aufklärungsmaßnahme“. Im betreffenden Fall seien der Fahrerlaubnisbehörde „Umstände bekannt geworden, die Zweifel an der Fahreignung begründen“. Diese Zweifel konnten nur durch ärztliche Begutachtung ausgeräumt oder aber bestätigt werden.
Fahrerlaubnisverordnung führt 14 Alternativen psychischer Erkrankung auf
Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung schließe eine Fahreignung für schwere Depressionen ausdrücklich und ohne Einschränkungen aus. Die Schwere einer Depression müsse ärztlicherseits festgestellt werden. Die Gründe, warum psychisch Erkrankte nicht fahrgeeignet sein könnten, seien so mannigfaltig wie die Erkrankungen selbst; beispielhaft nennt die Behörde riskante Überholmanöver bei Verfolgungswahn. Die Verordnung führe insgesamt 14 Alternativen psychischer Erkrankungen auf. „Allein darin lässt sich das Ausmaß der praktischen Bedeutung ersehen“, so das Ordnungsdezernat. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass depressive Menschen Medikamente einnehmen, die die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen.
Stiftung Depressionshilfe hat von Führerscheinentzug bei Depression noch nie gehört
Der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist ein Führerscheinentzug aufgrund einer Depression bisher noch nicht untergekommen – und die Stiftung erhält laut einer Sprecherin jährlich mehrere Hundert Anrufe von Erkrankten, zählt allein im Forum 40 000 Nutzer sowie 75 000 Follower in den sozialen Communitys. „Vielleicht liegt nicht nur eine Depression, sondern auch eine psychotische Störung vor“, mutmaßt sie.
Der junge Darmstädter hat seinen Fall jedenfalls öffentlich gemacht, „damit Menschen wissen, was auf sie zukommen kann, wenn sie in Notsituationen Hilfe suchen und sich entscheiden, sich in eine Psychiatrie einweisen zu lassen.“