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Darmstädter Künstler: „Beschimpft wurde ich noch gar nicht“

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Von: Boris Halva

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Wie würde der Künstler sagen? Klingt komisch, ist aber so.
Wie würde der Künstler sagen? Klingt komisch, ist aber so. © PHGruner

Paul Hermann Gruner knöpft sich in seiner Schau „Autos sind tödlich“ das Lieblingsding der Deutschen vor. Ein Gespräch mit dem Darmstädter Künstler.

Herr Gruner, warum haben Sie sich so auf das Auto eingeschossen?

Gibt es ein besseres Lieblingsobjekt der Deutschen als das Auto?

Gibt es kein abgenutzteres Klischee als das vom Auto als Fetisch der Deutschen?

Das sehe ich anders. Das Auto ist nach wie vor das Konsumprodukt Nummer eins. Es ist immer noch das Produkt mit dem höchsten Schauwert und das Angebermedium schlechthin. Gehen Sie doch mal durch die Straßen, wie viele Autos hier stehen, die 40 000 Euro oder mehr kosten! Wäre es nicht angesagt, beim Auto, mit dem unsere Städte zugeparkt und Unmengen fossiler Brennstoffe verbraucht werden, mit der Kritik anzusetzen anstatt Tabakwaren, die vielleicht sieben oder acht Euro kosten, mit drastischen Warnhinweisen zu versehen? Das Auto zu problematisieren hat meiner Ansicht nach nicht nur mehr Berechtigung, sondern auch mehr Wucht.

Birgt aber die Gefahr der pauschalen Dämonisierung … Für die wenigsten Menschen dürfte das Auto nur Prestigeobjekt sein.

Ob nun Prestigeobjekt oder Gebrauchsgegenstand: Die Blechhaufen nehmen Raum ein und emittieren Schadstoffe. Das ist Fakt. Natürlich ist das Auto nicht nur Fluch, sondern auch Segen, aber ich nehme ja auch nur auf, was die Menschen denken, die genervt sind von den riesigen SUVs, die unsere Straßen und Bürgersteige verstopfen. Lustigerweise sind es ja immer nur die Autos der anderen, die uns nerven …

Sie sind ganz offensichtlich davon genervt, dass Moral – sei es nun staatliche, gesellschaftliche oder auch individuelle – so selektiv ist.

Das ist im Grunde der Ausgangspunkt für meine Kritik am Paternalismus, dem staatlichen Bekümmern der Menschen. Wenn wir schon auf die Gefahren unseres Konsums hingewiesen werden müssen, dann bitte nicht nur bei Tabak, sondern auch bei Autos und Kosmetika, bei Alkohol und bei Süßigkeiten und – auch ganz wichtig: bei den asozialen Netzwerken. Warum so selektiv den Kreuzzug machen gegen die kleine Gruppe der Rauchenden? Derzeit sind rund 48 Millionen Autos in Deutschland zugelassen, dagegen ist die Gruppe der Raucher und ihre Gefahr für die anderen verschwindend klein. Ihr Einfluss aufs Klima ist zu vergessen, und auch wirtschaftlich sind sie keine wirklich relevante Gruppe. Aber sie werden mit Schockbildern auf Tabakpäckchen angeprangert. Eine absolut stellvertretende Teufelsaustreibung.

Zur Person:

Paul Hermann Gruner, Jahrgang 1959, Dr. phil., lebt als freier Autor, Publizist und Künstler in Darmstadt. Er besitzt einen Minivan, der knapp vier Meter lang ist und (noch) keinen Warnhinweis spazierenfährt.

Die Ausstellung „Autos sind tödlich! Sechzehn satirische Fotomontagen. Variationen zu einer politisch korrekten Teufelsaustreibung“ ist bis 8. Januar im Keller-Klub im Darmstädter Schloss zu sehen, außer Sonntag und Montag täglich ab 20 Uhr, www.keller-klub.de. Der Eintritt ist frei.

Es scheint, als wollten Sie mit Ihrer Schau das warnhinweisfreie Rauchen rehabilitieren.

Nein. Aber mir stellt sich schon die Frage: Warum sieht man auf Autos keine Unfallbilder oder Fotos von überfahrenen Tieren? Was ist mit Warnhinweisen auf Spirituosen und Weinflaschen?

Vielleicht gibt es keine, weil die Gefahren so offensichtlich sind?

Dann bleibt trotzdem die Frage: Warum bei einem Produkt wie dem Tabak ausschließlich auf die Gefahren hinweisen und nie auf den Genuss? Ich finde, eine derartig selektive aufklärerische Mission hat was Befremdliches. Und zeigt ja auch, dass mächtige wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Will etwa jemand künftig Autowerbung verbieten? Also: Wenn schon aufklärerische Großtaten zur Gesundheit des Einzelnen und des Planeten, dann bitte in allen Bereichen des Lebens.

Aber Warnhinweise auf Schokolade, Makeup und bei jedem Klick auf irgendeine Seite in sozialen Netzwerken – da werden wir doch wahnsinnig …

Da würde sozusagen der Warnhinweis irgendwann zum Wahnhinweis. Eine sehr amüsante Vorstellung! Aber das Schöne ist ja, dass ich als Künstler keine Lösung präsentieren muss. Ich bin der, der Fragen stellt. Und Fakten aufschichtet. Es sterben nun mal jedes Jahr rund 3000 Menschen bei Verkehrsunfällen. Aber genauso will ich das Thema satirisch überhöhen. Ich will auf die Nerven gehen, wenn ich das edle Design eines Sportwagens mit einem Warnhinweis verschandele. Ich hatte sogar die Hoffnung, dass jemand einen Wutanfall erleidet und die Bilder demoliert – manche der Slogans sind ja direkte Beleidigungen.

Aber?

Zu früh gefreut. Naja, bei der Eröffnung wurde das ein oder andere Motiv abfotografiert und in irgendwelchen Gruppen gepostet. Beschimpft wurde ich noch gar nicht, nicht zu fassen. Es ist eher so, dass sich die Leute bedanken und sich freuen, „dass jemand so quertreibend engagiert ist“. Aber bitte – damit kann ich leben.

Interview: Boris Halva

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