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Darmstadt: Retterin von Miniaturbühnen

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Marianne Wahnrau (li.) erläutert Ministerin Kristina Sinemus ein Exponat der Sammlung.
Marianne Wahnrau (li.) erläutert Ministerin Kristina Sinemus ein Exponat der Sammlung. © Sebastian Weissgerber

Marianne Wahnrau leitet seit zehn Jahren das Papiertheater-Museum in Darmstadt. Die ehemalige Gymnasiallehrerin ist nun für ihr Engagement ausgezeichnet worden.

Die Stadt Darmstadt hat über Jahrzehnte hinweg eine einzigartige Sammlung an Papiertheatern verkommen lassen. „Sie zählt zu den größten und umfangreichsten in ganz Europa“, berichtete die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU) jüngst in der Ausstellung an der Darmstraße. „Kenner schätzen sie sogar als die schönste.“ Und dennoch: „Die historisch kostbaren Stücke sind vernachlässigt worden.“

Dass das Magazin mit 123 aufgebauten Miniaturbühnen, rund zehntausend Druckbögen und umfangreicher Fachbibliothek überhaupt noch der Öffentlichkeit zugänglich ist, ist hauptsächlich Marianne Wahnrau zu verdanken. Die ehemalige Gymnasiallehrerin übernahm 2013 die Leitung, als die Sammlung in der Obhut des Nachbarschaftsheims vor dem Aus stand. „Ich komme aus einer Theaterfamilie und als ich gehört habe, dass das geschlossen wird, habe ich meinen Fuß in die Tür gestellt“, berichtet Wahnrau.

Als Retterin hielt sie nicht nur die Sammlung offen. Sie kümmert sich auch um Bestandsaufnahme, Dokumentation, Restauration, das Aufspüren verschollener Stücke und warb Spieler und Spielorte für Aufführungen an. Für ihr ehrenamtliches Vollzeit-Engagement erhielt die 78-Jährige nun die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Dabei scheint die Stadt Darmstadt den Wert des Nachlasses von Walter Röhler über Jahrzehnte völlig verkannt zu haben. Der 1911 in Darmstadt geborene Sammler hatte seine Schätze nach seinem Tod 1974 seiner Heimatstadt vermacht – allerdings unter der Auflage, die Stadt müsse die Sammlung ausstellen, sonst solle sie zum Vorteil einer von ihm benannten Privatperson versteigert werden. Dennoch wurde das Erbe bis Ende der 1980er Jahre in einem Bochumer Wasserturm gelagert, später sollte es dem Papiertheaterverein in Hanau zugeschlagen werden. Zwischendurch drängten Sammler sogar auf die mandatorische Versteigerung, um an die seltenen Stücke zu gelangen.

Das Angebot des Nachbarschaftsheims, sich um die Sammlung zu kümmern, schlug die Stadt 1992 noch aus. Erst fünf Jahre später erlaubte sie dem Verein, in drei kleinen Räumen an der Darmstraße das heutige Museum zu eröffnen.

„Papiertheater waren eines der wichtigsten Bildungsmittel der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, darüber erschloss man sich Literatur und Geschichte“, heißt es in der Museumsbroschüre. Angefangen als Souvenir nach dem Theaterbesuch oder als Werbegeschenk einer Schuhcreme-Marke, spezialisierten sich Verlage in ganz Europa auf den Druck der Theaterbogen zum Ausschneiden. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg begann Röhler, alles zu sammeln, was mit dem Papiertheater zu tun hat. In einem Verzeichnis über Verlage und ihre Titel soll er etwa drei Viertel aller europäischen Produktionen zusammengetragen haben. Er gründete sogar ein südwestdeutsches Institut für Puppenspiel und Puppenspielforschung, über das er sich mit Sammler:innen in ganz Europa austauschte. „Heute stehen wir hier im Zentrum der Forschung“, erklärt Wahnrau. „Wissenschaftler und Studenten kommen aus ganz Europa hierher.“

Nicht nur Wahnrau, auch die Papiertheatersammlung soll jetzt endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient hat, verspricht Philipp Gutbrod, Leiter der städtischen Kunstsammlung und Direktor des Instituts Mathildenhöhe. „Wir sehen die Papiertheatersammlung als ganz wichtigen Teil der städtischen Sammlung und wollen einige Highlights im Ausstellungsgebäude der Mathildenhöhe zeigen.“ Auch im neuem Kunstdepot, das im März an der Mainzer Straße fertig wird, sei Platz für die Sicherung der wertvollsten Stücke vorgesehen. Derzeit würden seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits einen Überblick über die Sammlung erarbeiten. Ein vollständiger Katalog über die Kunstdrucke, Figuren, Texthefte und Partituren für das Spiel einschließlich ihrer Provenienz sowie Röhlers Korrespondenz und wissenschaftlicher Literatur steht bis heute aus.

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