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Darmstadt: Kreide-Botschaften gegen sexuelle Belästigung nicht erlaubt

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Von: Claudia Kabel

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Eske Domning von der Initiative Catcallsofdarmstadt kreidet sexuelle Belästigung auf dem Friedensplatz in Darmstadt an.
Eske Domning von der Initiative Catcallsofdarmstadt kreidet sexuelle Belästigung auf dem Friedensplatz in Darmstadt an. © Catcallsofdarmstadt

Die Initiative Catcallsofdarmstadt kreidet sexuelle Belästigung an. Erst zeichnet die Stadt sie dafür aus, dann untersagt sie das Kreiden. Auch die Klima-Streik-Bewegung ist betroffen.

Ich war im Herrngarten unterwegs und da waren vor mir drei Kerle, die gesagt haben ‚Lass die mal vergewaltigen‘ und haben gelacht. Ich bin zusammengezuckt und in die andere Richtung gerannt. Erst als ich ganz sicher war, dass mir keiner folgt, habe ich angehalten.“

Dies ist eine von 368 Erlebnissen sexueller Belästigung im öffentlichen Raum, die die Initiative Catcallsofdarmstadt seit ihrer Gründung 2020 angekreidet hat. Und das meint die Initiative wörtlich: Die ihr von Betroffenen gemeldeten Vorfälle werden in kurzen Statements zusammengefasst und am Ort des Geschehens auf Bürgersteig, Weg oder Straße mit Kindermalkreide geschrieben. „Davon machen wir ein Foto und veröffentlichen es auf Instagram und im Web“, sagt Eske Domning. Die 26-jährige Politologin ist von Anfang an dabei. Ziel sei es, sexuelle Belästigung in der Gesellschaft sichtbar zu machen und zur Unterstützung der Betroffenen aufzurufen.

Gegen sexuelle Belästigung: Catcalls wurden von Stadt im November 22 ausgezeichnet

Für ihr Engagement wurde die Darmstädter Gruppe der bundesweit bestehenden Initiative vergangenen November von der Stadt mit dem Preis „Gesicht zeigen!“ ausgezeichnet. Doch nun müssen die Catcallsofdarmstadt ihre Arbeit praktisch einstellen, denn das Ordnungsamt verbietet ihnen das Schreiben mit Kreide im öffentlichen Raum. 50 Euro Bußgeld drohen.

Die Initiative Catcallsofdarmstadt kreidet sexuelle Belästigung öffentlich an. Hier eine Kreidebotschaft am Langen Ludwig in Darmstadt.
Die Initiative Catcallsofdarmstadt kreidet sexuelle Belästigung öffentlich an. Hier eine Kreidebotschaft am Langen Ludwig in Darmstadt. © Catcallsofdarmstadt

„Kurz nach unserer Auszeichnung wollten wir für den Anti-Gewalt-Tag-gegen-Frauen gemeinsam mit Pro Familia eine zweistündige Kreideaktion mit Infostand organisieren“, berichtet Domning. Um diese anzumelden, wandten sie sich ans Ordnungsamt. Doch die Antwort lautete: Die Gefahrenabwehrverordnung verbietet das Bemalen von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen unabhängig vom Inhalt der aufgemalten Botschaft. Stattdessen empfahl man das Aufstellen von Plakaten oder das Verwenden von Bodenplanen. Auch wenn dies vielleicht für die Sonderaktion ein gangbarer Weg gewesen wäre, könne damit nicht ihre normale Arbeit umgesetzt werden, sagt Domning. „Dann bräuchten wir ja eine Generalerlaubnis zum Aufstellen von Plakaten an allen Orten.“ Auch das Kreiden auf Privatgelände sei keine Alternative.

Kreidebotschaften seien keine Sachbeschädigung, sagt sie, da sie nur vorübergehend bestünden und beim nächsten Regen weggewaschen oder von Kehrmaschinen weggekehrt würden. Domning beruft sich auf Paragraf 304 des Strafgesetzbuches, wo es heißt: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild (...) nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.“ Ähnliche Problemen in anderen Städten, wo es auch Catcalls-Initiativen gibt, seien ihr nicht bekannt.

Darmstadt: Bisher zwei Bußgeldverfahren wegen Sprühkreide-Botschaften

Deswegen wandte sie sich am 26. November 2022 noch einmal ans Ordnungsamt und schrieb auch Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) per Mail an, denn dieser hatte ihnen die mit 500 Euro dotierte Auszeichnung verliehen. Die Anfrage liegt der FR vor. Auf eine Antwort wartet Domning nach eigener Aussage bis heute. Nachgefragt bei der Stadt heißt es, eine solche Anfrage an den OB „ist unbekannt“.

Bisher seien zwei Verfahren wegen Sprühkreide eingeleitet worden, so Pressesprecher Klaus Honold. Auch bei Demos dürften keine Kreidetexte gesprüht werden. Diese Regelung sei sinnvoll, „um eine Verschandelung des Stadtbildes zu verhindern“.

Jedes Jahr gebe es Hunderte von Demonstrationen. Wenn es mehrere Wochen nicht regne, erweise sich Sprühkreide als sehr langlebig und animiere Nachahmer. In der Folge wäre mit einer massiven Bemalung der öffentlichen Flächen zu rechnen. „Dies ist in Darmstadt unerwünscht.“

Eine Kreide-Botschaft der Initiatve Catcallsofdarmstadt weist auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum hin.
Eine Kreide-Botschaft der Initiatve Catcallsofdarmstadt weist auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum hin. © catcallsofdarmstadt

Darmstadt: Klimastreik-Aktivist soll Bußgeld zahlen

Die Bußgeldbescheide gingen nicht an die Catcalls, sondern an den Anmelder des globalen Klimastreiks Erik Schantz, wie Angelika Schröder vom Bündnis gegen Rechts mitteilte. Mit Sprühkreide sei drei Tage vor der Demo von Unbekannten auf den Friedensplatz der Spruch „Climate Justice Now“ geschrieben worden, was von den Behörden zu einer Aufforderung zum Entfernen an die Veranstalter:innen führte. Da es regnete und der Schriftzug am Tag der Demo nicht mehr lesbar gewesen sei, habe man die Aufforderung ignoriert. Daraufhin sei ein Bußgeld über 78,50 Euro - 50 Euro plus Bearbeitungsgebühr – fällig geworden. Bereits das Schreiben des Spruches wurde laut Schröder als begangene Ordnungswidrigkeit, „als Werbung für die von Ihnen angemeldete Demonstration“, angeprangert.

Die Juristin sieht darin Methode: „Man will den jungen Leuten die Zähne ziehen.“ Für Schantz handelt sich „um die gewohnte Schikane der Behörden gegenüber Aktivist:innen“. Doch davon lässt sich der Student nicht abschrecken. Er melde auch den nächsten Klimastreik am 3. März an. Auch Domning gibt nicht auf: Am 10. März will sie bei einer Veranstaltung der Grünen zum Internationalen Frauentag nochmals auf das Problem hinweisen.

Zum Weiterlesen: Kommentar: Kreiden gegen sexuelle Belästigung – Darmstadt handelt widersprüchlich

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