Darmstadt: Fünf Jahre Abschiebegefängnis - Initiativen fordern Schließung

Hessens Abschiebegefängnis in Darmstadt besteht seit fünf Jahren. Eine Geschichte von Einzelschicksalen und dem langjährigen Einsatz für Bleiberecht. Veranstaltungen sind geplant.
Als Omar F. im Februar 2021 zur Ausländerbehörde in Bad Homburg ging, um seine Duldung verlängern zu lassen, wurde der 28-jährige Somalier völlig überraschend festgenommen und auf gerichtliche Anordnung in die Abschiebehaft nach Darmstadt gebracht. Zwei Tage später wurde er ohne jeden juristischen Beistand nach Mogadischu ausgeflogen.
Für seine Bekannten, Arbeitgeber und Vermieter, die den Fall der Frankfurter Rundschau schilderten war dies „ein Schock“. Omar F. lebte fast acht Jahre in Deutschland, arbeitete seit drei Jahren fest als Maschinenführer in einer Recyclingfirma und wohnte eigenständig in einer Mietwohnung in Darmstadt. Flüchtlingsverbände und Menschenrechtsorganisationen kritisierten seine Abschiebung als skandalös. Es hätte nur noch wenige Wochen gedauert, bis er einen sicheren Aufenthaltsstatuts erhalten hätte. Der Fall des Somaliers löste unter Geflüchteten große Ängste aus und wirkt bis heute nach. Auch der Fall der 60-jährigen Kurdin Afitep D., die seit 1985 in Deutschland mit ihren Kindern lebte und 2021 aus der Haft heraus abgeschoben wurde, obwohl sie einen geistig behinderten Sohn zurücklassen musste, erregte Aufsehen. Die Linke im Landtag kritisierte die hessische Abschiebepraxis. Dies sind nur zwei von zahlreichen Beispielen für Schicksale, die im Zusammenhang mit dem 2018 in Darmstadt eröffneten Abschiebegefängnis bekannt wurden. Die erste und einzige hessische Abschiebehafteinrichtung besteht am kommenden Montag fünf Jahre.
Abschiebegefängnis in Darmstadt: Protest von Anfang an
Von Beginn an sorgte die inzwischen für 80 Insassen ausgelegte Einrichtung nicht nur wegen angeblich schlechter Haftbedingungen und Fluchtversuchen für Schlagzeilen. Ihre Geschichte ist auch eine Geschichte des Widerstands. Von Anfang an schlossen sich die Gegener:innen von Abschiebung zusammen und zeigten ihren Protest. Mit Demonstrationen, Petitionen, mit Informationen, die sie veröffentlichten oder indem sie den Inhaftierten mit Rat und Tat zur Seite standen.
Dorothea Köhler ist eine von denen, die sich bis heute im damals gegründeten Bündnis „Community4all“ engagieren. „Fünf Jahre Abschiebehaft Hessen sind mehr als genug, lassen wir diesen Wahnsinn endlich sein und schaffen das Konzept Abschiebehaft in Hessen und überall ab“, sagt sie. Dafür lohne es sich zu kämpfen.
Abschiebegefängnis in Darmstadt: 200 Freilassungen erreicht
Etwa ein Fünftel der Menschen habe man freibekommen, bevor sie abgeschoben wurden, mehr als 200 Freilassungen seien das gewesen. Etwa die Hälfte der geprüften Abschiebebescheide sei nach Zahlen des Bündnisses, in dem sich auch Rechtsanwälte einbringen, widerrechtlich. „Das ist skandalös. Wo ist hier der Rechtsstaat?“, fragt Köhler.
Bei einer der ersten Protestaktion gegen die Abschiebung eines Äthiopiers, der seit sechs Jahren in Deutschland lebte, rückte im Juni 2018 die Polizei mit einem Großaufgebot samt Hubschrauber wegen einer Sitzblockade an. 44 Abschiebegegner:innen wurden festgenommen und mehrere Stunden festgehalten.
Im Oktober 2018 flohen zwei 35-jährige Männer aus Algerien und Tunesien beim Toilettengang über einen Versorgungsschacht und kletterten über die Umzäunung. Diese wurde daraufhin verdichtet, einer der Männer einen Monat später in Wetzlar gefasst.
Lektüre und Programm
Die Broschüre von Hildegund Niebch, „Mein ganz persönlicher Protest – Erfahrungen und Konsequenzen aus einer mehrjährigen Beiratstätigkeit“, können Interessierte unter https://vorderer-odenwald- evangelisch.ekhn.de/newsletter- vorderer-odenwald/newsletter-245-14-april-2022.html herunterladen.
Anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Abschiebungshafteinrichtung veranstaltet das Bündnis „community for all“, das eine Abschaffung der Haftanstalt fordert, mehrere Aktionen.
An diesem Samstag , 25. März, stellen sich ab 10 Uhr in der Bessunger Knabenschule (Ludwigshöhstraße 42) Organisationen aus dem Netzwerk vor, unter anderem an Infotischen. Außerdem kann man an Workshops teilnehmen zu Themen wie „Praktische Solidarität“ oder „Das neue Chancenaufenthaltsrecht“. Zum Abschluss geben Diffarent MC & friends ein Konzert.
Für Sonntag , 26. März, 14 Uhr, ruft das Bündnis zu einem „Knastbeben“ vor der Abschiebungshafteinrichtung in Darmstadt-Eberstadt auf. Ziel sei es, Solidarität mit den Inhaftierten zu zeigen und „Kontakte herzustellen“, heißt es in der Ankündigung.
Für Montag , 27. März, 17 Uhr, ist eine Kundgebung „Für das Recht zu Gehen – für das Recht zu Bleiben!“ auf dem Luisenplatz in Darmstadt geplant.
Weitere Informationen zum Programm des Bündnisses gibt es auf https://communityforall.noblogs.org/5jahreahaft
cka/gha
Abschiebegefängnis in Darmstadt: Hungerstreik und Haftbeirat
Im Dezember 2018 kam es zum ersten Hungerstreik. „Wir wollen lieber hier sterben, in unserer Heimat sterben wir sowieso“, äußerte ein Betroffener. Die Häftlinge aus Marokko, Algerien, Eritrea, Ägypten und der Türkei verweigerten für mehrere Tage die Nahrungsaufnahme. Im Februar 2019 folgte ein zweiter Hungerstreik von zwei Männern aus Algerien und Ägypten über angeblich 20 Tage. Das Polizeipräsidium Südhessen wies die Darstellung als „überzogen“ zurück. Zwar würden beide das Mittagessen verweigern, sie würden aber Kohlenhydrate in Form von Getränken und Zucker aufnehmen.
Im Februar 2019 wurde ein Haftbeirat aus Vertreter:innen von Stadt, Kirche und Rechtsanwaltschaft gegründet, der die Bedingungen im Blick haben soll. Denn nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Jahr 2014 muss die Abschiebungshaft klar von der Strafhaft getrennt werden. Abschiebehäftlinge sollen demnach deutlich mehr Freiheiten als Strafgefangene haben. Laut Köhler unterscheidet sich die Abschiebehaft in Darmstadt jedoch kaum von der Strafgefangener. Außer dass sie ihr Handys und eigene Kleidung behalten dürften.
Beim Eröffnungsrundgang mit der Presse im April 2018 verkündete der damalige Präsident des für die Einrichtung zuständigen Polizeipräsidiums Südhessen Bernhard Lammel, „die meisten“ der ersten zehn Insassen seien „Straftäter“.
Innenminister Beuth: Abschiebehaft ist letztes Mittel
Innenminister Peter Beuth (CDU) äußerte, die Abschiebehaft sei nur die „ultima ratio“. Die schwarz-grüne Landesregierung wolle erreichen, dass Menschen ohne Bleiberecht freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehrten und biete dafür auch finanzielle Unterstützung an. Erst wenn diese Angebote nicht angenommen würden und sich die Menschen Abschiebeversuchen widersetzten, sei die Abschiebehaft das letzte Mittel.
Dass die Inhaftierten keinesfalls Straftäter:innen sind, ist offensichtlich. Ansonsten müssten sie sich nach deutschem Recht im Strafvollzug befinden. Dies legt auch ein Bericht von Hildegund Niebch nahe, die als Flüchtlingsreferentin der Diakonie Hessen im Haftbeirat tätig war. Sie besuchte ein Jahr lang die Insass:innen und schrieb ihre Schicksale auf. „Diese Menschen sind nicht kriminell“, ist ihr Fazit. Niebch fordert die Schließung der Einrichtung. Das Geld solle besser für die Integration eingesetzt werden.
Aktuell befindet sich eine Frau Mitte 40 in Abschiebehaft und soll zurück nach Guinea geschickt werden. „Obwohl ihr Mann gerade in Deutschland eingebürgert worden ist“, sagt Köhler. In der Begründung heiße es, sie könnten ja eine Familienzusammenführung beantragen. Köhler findet das „zynisch“, da die Frau in ihrer Heimat Gewalt erwarte, denn sie habe ihren Mann gegen den Willen ihrer Herkunftsfamilie geheiratet und eine Familienzusammenführung dauere mitunter Jahre.
Zum Weiterlesen: Abschiebungshafteinrichtung in Hessen: Ein Tag Haft kostet mindestens 455 Euro