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Das Beauty-Geheimnis der Zentralbanker

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Von: Stefan Behr

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Die EZB ist ein Arbeitgeber, wie man ihn gerne hätte.
Die EZB ist ein Arbeitgeber, wie man ihn gerne hätte. © Michael Schick

Der Betrugsprozess um die teure Therapie bei einer Kosmetikerin zeigt: Krank sein und bei der EZB arbeiten ? das ist Glück.

Raouf S. umweht auf der Anklagebank des Landgerichts der Hauch der Sphinx. Vieles an ihm bleibt rätselhaft. So gelingt es dem 54-Jährigen etwa nicht, der Großen Strafkammer zu erläutern, was er bis vor drei Jahren bei der Europäischen Zentralbank (EZB) eigentlich genau gemacht und wofür er bis heute trotz Suspendierung weiterhin voll bezahlt wird.

„Projektplanung“ sagt S. etwas ungenau. „Offiziell sind Sie Senior-IT-Assistant“, sagt der Vorsitzende Richter nach einem Blick in die Akten. „Das ist nur ein Titel“, antwortet S., „in Wahrheit mache ich etwas anderes“, und schöner hätte das die Sphinx auch nicht formulieren können.

Die Anklage wirft Raouf S. Betrug und Urkundenfälschung vor. Er soll sich in den Jahren 2010 bis 2014 die Kosten für Physiotherapien für sich, seine Ehefrau und seine zwei Töchter von der Krankenkasse der EZB erstattet haben lassen. Das hätte er auch tun dürfen.

Allerdings sagen Staatsanwaltschaft und EZB: Bei der angeblichen Physiotherapeutin handele es sich in Wirklichkeit um eine Kosmetikerin. Und die meisten eingereichten Rechnungen stammten auch gar nicht von der Kosmetikerin, sondern von S. selbst, der diese gefälscht habe. Ein Schaden von mehr als 45.000 Euro ist angeklagt, in ihrem internen Disziplinarverfahren geht die Bank von einer noch höheren Summe aus.

S. leugnet die Vorwürfe. Er sei bei der Frau zur Physiotherapie gegangen, Massage und Fango, habe sie für ihre Dienstleistungen stets in bar bezahlt und die Rechnungen ordnungsgemäß an die Krankenkasse zwecks Erstattung weitergeleitet. Dass sie Kosmetikerin sei, habe er nicht gewusst.

„Ich frage einen Arzt nicht, ob er studiert hat“, sagt Raouf S., außerdem „hat sie einen weißen Kittel angehabt“, und zudem „hat ,Reha‘ an der Praxistür gestanden“. Die Frau sei die Einzige, die ihm und seiner Familie wirklich habe helfen können. Er selbst habe Rücken-, der Rest der Familie chronische Kopfschmerzen. Er könnte ja vieles beweisen, aber leider seien kurz vor der polizeilichen Hausdurchsuchung Anfang 2014 Vandalen bei ihm eingebrochen und hätten aus purer Boshaftigkeit Kaffee, Zucker und Mehl über seine zuvor sauber sortierten Krankenakten geschüttet. Die Praxis der Kosmetikerin/Physiotherapeutin sei mittlerweile auch perdu, das Haus, in dem sie praktiziert habe, abgerissen.

Die Kosmetikerin, die erst heute als Zeugin gehört werden soll, hatte gegenüber der Polizei gesagt, sie habe Raouf S. vielleicht zwei bis drei Mal gesehen, aber er habe ihre Dienste kaum in Anspruch genommen. Am ersten Verhandlungstag kommt als Zeuge dafür Nikolaus U. von der „Stabsstelle Compliance“ der EZB und erklärt, wie deren Krankenversicherung funktioniert.

Nun ist allgemein bekannt, dass die EZB ihre Mitarbeiter nicht verhungern lässt. Als Angestellte einer Institution der Europäischen Union sind sie mit einem Steuersatz gesegnet, dessen bloße Erwähnung jede Cocktailparty binnen Sekunden in ein Inferno der Neiddebatten verwandelt. Auch bei Mietzuschüssen und Schulgeld für Privatschulen zeigt sich die Bank nicht knauserig. Wie Nikolaus U. berichtet, sieht es bei der Krankenversicherung auch recht rosig aus. Oder, wie U. es formuliert, „relativ wohlmeinend“.

Mitarbeiter der EZB, sagt U., seien ja von den Krankenversicherungs- und Sozialgesetzen der Länder, in denen sie arbeiten, befreit. Die medizinische Grundversorgung regelt die Bank. EZBer haben laut U. grundsätzlich die freie Arztwahl; das gelte auch für Physiotherapien, Massagen, Akkupunktur und andere flankierende Maßnahmen. Der Kranke trete in Vorkasse, die Krankenversicherung erstatte. Versichert seien nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch dessen Ehepartner und Kinder, solange die nicht selbst krankenversichert seien. Und selbst in diesem Fall übernehme die EZB-Krankenversicherung die Differenz zwischen Krankengeld und realem Einkommen.

Umsonst gebe es solche Gimmicks freilich nicht: Die EZB behalte dafür einen Teil des Lohnes der Beschäftigten ein, deren Anteil an der Finanzierung immerhin ein Drittel betrage. Wie viele Prozent vom Lohn die Bank kassiert, weiß U. aus dem Stegreif nicht zu beantworten, aber es sei „erstaunlich wenig“ und „mit Sicherheit unter fünf Prozent“.

Was U. nicht beantworten kann: Warum die EZB bislang noch nicht versucht hat, das Geld auf zivilrechtlichem Weg von S. wiederzubekommen. Und warum das interne EZB-Verfahren gegen S. nun schon seit drei Jahren läuft, ohne bislang irgendwelche Ergebnisse oder gar Konsequenzen gebracht zu haben.

Raouf S. jedenfalls hat nach der Hausdurchsuchung auf Anraten eines seiner vier Anwälte kurzzeitig mal halblang gemacht und „sogar die Kopfschmerztabletten selbst bezahlt“. Davon ist er mittlerweile wieder abgerückt. Da die EZB ihn beurlaubt hat, aber nach wie vor voll bezahlt, nimmt er mittlerweile auch gerne wieder die Vorzüge ihrer Krankenversicherung in Anspruch. Weil er es darf.

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