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Auf der Suche nach Normalität

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Von: Jürgen Streicher

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Aatomik ja Jömmid entstand unter der Regie von Elbert Tuganov im Jahr 1970. veranstalter
Aatomik ja Jömmid entstand unter der Regie von Elbert Tuganov im Jahr 1970. veranstalter © Veranstalter

Das Filmfestival Go East wirft in diesem Jahr einen Blick nach Bosnien-Herzegowina.

Die Berliner Bären sind vergeben, in der Rhein-Main-Region gilt der Fokus von Filmschaffenden und Filmfans nun dem Go-East-Festival mit Schwerpunkt in Wiesbaden. Die 23. Ausgabe des kleinen, aber feinen Festivals mit meist mehr als 10 000 Besucher:innen bringt vom 26. April bis zum 2. Mai ein vielfältiges Programm aus Filmvorführungen und Begleitveranstaltungen in die Landeshauptstadt. Von Beginn an im Jahr 2001 versteht sich das vom Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) veranstaltete Festival als Fenster in Richtung Mittel- und Osteuropa. Immer ging es darum, nach Osten zu gehen und über den Dialog die Filmwelt Osteuropas mit dem Westen zu verbinden. Die Schatten des Ukraine-Krieges werden das Festival zum zweiten Mal in Folge begleiten.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Filmfest schon im vergangenen Jahr vor große Herausforderungen gestellt. Wer kommt? Wer darf kommen? Wer ist unerwünscht? Wie weit kann die kulturelle Sanktion gehen? Von einem rigorosen Kulturboykott hält Heleen Gerritsen nichts, das hat sie schon im Vorjahr so gehalten. „Aber wir halten es nach wie vor für nicht tragbar, mit staatlichen Institutionen der Russischen Föderation zusammenzuarbeiten“, so Gerritsen. Einige Filmemacher wurden damals ausgeschlossen, andere durchaus regimekritische Beiträge aus Russland blieben im Programm. Die Solidarität im Go-East-Team gelte nach wie vor den Menschen in der Ukraine, sagt die Leiterin des Festivals seit 2017, heute. „Gleichzeitig motiviert uns die Lage umso mehr, die in deutschen Kinos unterrepräsentierten Filmkulturen unserer Zielregion in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit zu präsentieren“, so die Kuratorin mit niederländischen Wurzeln.

Das Thema Krieg in der Ukraine überschattete die 22. Ausgabe des Go-East-Festivals, nun steht die Suche nach Normalität im Vordergrund. Im aktuellen Symposium mit dem sperrigen Titel „Dekolonialisierung der (post-) sowjetischen Leinwand“ wird es auch darum gehen, wie die lange dominante Position Russlands im Festival-Programm modifiziert werden kann.

„Die Umverteilung der Aufmerksamkeit wird zur wichtigen kuratorischen Aufgabe“, heißt es im Vorspiel zum Festival. Und die Frage: „Wie geht es weiter in unserer Region, jetzt wo Moskau als Zentrum für Koproduktionen, Filmausbildung und Lizenzhandel nicht mehr tragbar ist?“

„Wir erwarten grundsätzlich wieder viele Besucher und Teilnehmer“, heißt es noch vorsichtig aus der Pressestelle. Wie viele Filme in der knappen Woche auf der Caligari Filmbühne als Hauptspielort, im Murnau Filmtheater am Schlachthof, im Apollo Kinocenter und an anderen Orten gezeigt werden und welche Filme sich den Wettbewerben unter anderem um die „Goldene Lilie“ für den besten Film stellen werden, steht noch nicht fest. In dieser Woche will die Festival-Leitung die Endauswahl der Bewerberfilme vorstellen, das komplette Programm wird wohl erst im April präsentiert.

Die Mittelpunktrolle beim Go- East-Festival ist indes vergeben, sie gebührt in diesem Jahr der aus Sarajevo stammenden bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanic, deren Gesamtwerk in einer umfassenden Retrospektive beleuchtet werden soll.

Mit ihr setze sich im Fokus des Festivals eine „Linie starker Frauen aus Mittel- und Osteuropa fort“, wirbt die Leitung. Sie gehöre „ohne Zweifel zu den wichtigsten Filmschaffenden Bosniens und Herzegowinas“. Mit Videokunst und Dokumentarfilmen war sie 2004 schon auf der Documenta in Kassel zu sehen, für ihr Langfilmdebüt „Grbavica“ bekam sie 2006 den „Goldenen Bären“ in Berlin, mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde „Quo vadis, Aida?“ 2020 ein internationaler Erfolg. Jasmila Žbanic wird auch zu einem Werkstattgespräch nach Wiesbaden kommen.

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