„Altstadt zur Chefsache machen“

Jan-Patrick Wismar besuchte bereits im April 2022 die Friedberger Altstadt. Der ehrenamtliche Denkmalschützer zeigte sich entgeistert über den verkommenen Zustand etlicher Häuser am Fünffingerplatz, warf Politik und Verwaltung Wegsehen und Ignoranz vor. Viele aus der Anwohnerschaft gaben ihm in den sozialen Medien recht.
In der Folge dieser massiven Kritik kam einiges in Bewegung. In der Presse war im Mai und Juli 2022 vom „neuen Anlauf“ und „neuen Ideen“ für die Altstadt zu lesen. Der Anlass dieser eher optimistischen Berichte? Im März 2022 hatte ein Anwohner via Tageszeitung mitgeteilt, dass um den Fünffingerplatz drei Gebäude offen zum Verkauf angeboten wurden. Politik und Verwaltung waren interessiert. Alle wollen die historische Altstadt bewohnbarer, lebenswerter und attraktiver gestalten. Die SPD verfasste deshalb Anfang Mai 2022 einen ausführlichen Antrag zur kommunalen Gegensteuerung, um dem Verfall des Areals entgegenzuwirken.
Ende Juni wurde der Antrag im Ausschuss für Stadtentwicklung behandelt. Laut dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Klaus-Dieter Rack sollte als erster Schritt eine Ortsbegehung durch Ordnungs- und Stadtbauamt, Kreisbauaufsicht und Denkmalschutzbehörde erfolgen. Danach sollten besonders geschädigte Gebäude betrachtet und mit den Eigentümern gesprochen werden, um mögliche Schadensbehebung zu verlangen. Rack: „Zudem sollten Rechtsinstrumente des Hessischen Wohnungsaufsichtsgesetzes angewendet werden. Für Sanierungs- und Projektmaßnahmen sollten Fördermittel von Land und Bund ermittelt und es sollten Hauskäufe in der Altstadt geprüft und realisiert werden.“
Das Stadtbauamt habe den Ausschuss zudem über verfahrensrechtliche Dinge informiert und unterstützte die Antragsabsicht, Missständen an der Bau- und Wohnsubstanz entgegenzuwirken. „Doch was ist seither von der Verwaltung real unternommen worden?“, fragt Rack. Ob es eine Ortsbegehung gab, sei nicht bekannt. „Mit Erstaunen“ habe er im Sitzungsprotokoll gelesen, dass der Antrag erledigt sei (im Sitzungsprotokoll vom 30. Juni 2022, das erst seit Anfang März 2023 im Ratsinformationssystem nachlesbar ist, nachdem Rack mehrfach bei Bürgermeister Dirk Antkowiak (CDU) kritisiert hatte, die Gremienarbeit werde behindert.
Für Rack ist der Antrag nicht erledigt. Die Bauverwaltung, so wurde gefordert, soll regelmäßig zum Thema Altstadt im Ausschuss berichten. Das sei nicht geschehen, rügt Rack. Nur die immer noch zum Verkauf (bzw. zur Miete) angebotenen Gebäude am Fünffingerplatz seien im Zusammenhang mit dem Förderprojekt „Zukunft Innenstadt“ besichtigt worden.
SPD FORDERT ENGAGEMENT
Die aktuelle Kritik von Jan-Patrick Wismar falle erneut „kräftig“ aus, schreibt der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Klaus-Dieter Rack. Er irre bei Begriffen wie „Oberbürgermeister“ oder „regierender Stadtkoalition“, die gibt es nicht.
Der Forderung zum Hauskauf angesichts inakzeptabler Preise könne nicht entsprochen werden. „Aber auch die SPD Friedberg ist der Auffassung, dass mehr engagierte Handlungen gegen Eigentümer erforderlich sind, die ihr Eigentum verkommen lassen und damit den Altstadtverfall mitverantworten“, erklärt Rack.
Erfahrungen aus anderen Kommunen seien dabei hilfreich, schreibt Rack. Das kann ein sanfter Hinweis darauf sein, vielleicht doch noch mal mit dem Verein „Stadtbild Deutschland“ zu sprechen. jw
Laut Protokoll vom 6. Oktober wurde bei allen Gebäuden ein „desolater baulicher Zustand“ festgestellt und, schreibt Rack, „auch wegen überhöhter Preisforderungen nachvollziehbar kein Ankauf durch die Stadt vorgenommen. Nur: Wie kann es der Stadtverwaltung entgehen, dass an einem der Desolat-Häuser in der Usagasse ein Schild hängt, auf dem Zimmer zur Anmietung angeboten werden, unter der gleichen Mobilnummer, die auch an den anderen Gebäuden seit März 2022 zu sehen ist?“ Rack fragt: Darf ein Gebäude in marodem baulichen Zustand unbeanstandet von Stadt, Kreis und Denkmalschutz zur Vermietung angeboten werden? „Oder sind die Genannten nicht gesetzlich zum Handeln gegen solche Eigentümer verpflichtet?“
An einem Haus am Fünffingerplatz ist ein Briefkasten mit 15 Namen zu sehen. Rack: „Fällt das der Stadtverwaltung nicht auf, um wegen behördlicher Anmeldung, Überbelegung oder anderen Verdachtsmomenten nachzuhaken bzw. vorzugehen?“
Fazit des SPD-Fraktionsvorsitzenden: „Die Bauamtspräsentation zum SPD-Antrag war in Ordnung. Nicht akzeptabel ist die Intransparenz seit Juli 2022.“ Politik und Anwohner verlangten „erkennbares Verwaltungshandeln für eine Besserung der Wohn- und Lebensverhältnisse in der Altstadt“.
Gerade die Altstadt wurde bei der Umfrage der Landessicherheitsinitiative KOMPASS jüngst als „Hauptangstort“ genannt. Rack: „In Friedbergs Altstadt gibt es viel zu tun. Das behördliche Vorgehen und die Gespräche über Häuserkauf sollten endlich mit Nachdruck zur ‚Chefsache‘ erklärt werden.“