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Abschiebungshafteinrichtung in Hessen: Ein Tag Haft kostet mindestens 455 Euro

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Von: Gregor Haschnik

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Demonstration vor dem Abschiebegefängnis im Februar 2021.
Demonstration vor dem Abschiebegefängnis im Februar 2021. © Michael Schick

Im Abschiebegefängnis in Darmstadt-Eberstadt sind derzeit 25 von 80 Plätzen belegt. Der Flüchtlingsrat kritisiert die Bedingungen und fordert, die Einrichtung abzuschaffen.

Seit fünf Jahren besteht die Abschiebungshafteinrichtung des Landes Hessen. Im Laufe der Jahre hat sich einiges geändert, etwa die Zahl der Haftplätze. Geblieben ist die Kritik an der Einrichtung. Die FR hat Fragen und Antworten zum Abschiebegefängnis in Darmstadt-Eberstadt zusammengestellt.

Welche Menschen werden in der Einrichtung inhaftiert?

Laut dem hessischen Innenministerium handelt es sich um „Personen, die ihrer gesetzlichen Pflicht zur Ausreise nicht freiwillig nachkommen und sich ihrer Abschiebung entziehen wollen“.

Wie viele Haftplätze gibt es, und wie viele sind derzeit belegt?

Zu Beginn standen 20 Plätze zur Verfügung, im Februar 2021 wurde auf 80 Plätze erweitert und der Schritt mit einem viel höheren Bedarf begründet. Doch aktuell sind in Eberstadt lediglich 25 Menschen inhaftiert, wie das Ministerium auf FR-Anfrage mitteilt.

Wie hoch ist der Frauenanteil?

Frauen werden dort seit Februar 2021 inhaftiert. In jenem Jahr lag ihr Anteil bei etwa sieben Prozent (26 von 359 Personen), wie Minister Peter Beuth (CDU) im Januar dieses Jahres auf einen Berichtsantrag der Landtagsfraktion der Linke antwortete.

Wie hoch sind die Kosten für einen Tag Haft?

Seit Juli 2021 beträgt der Tagessatz 455,28 Euro und ist seit der Eröffnung – von März 2018 bis August 2020 waren es 337,96 Euro – somit deutlich gestiegen. Zwischenzeitlich, von September 2020 bis Juni 2021, kostete ein Tag Haft sogar 578,32 Euro, was auch an besonderen Herausforderungen in der Hochphase der Corona-Pandemie lag.

Woraus resultiert der Tagessatz?

Den Angaben zufolge fallen insbesondere Personalkosten, Sachausgaben sowie Kosten für Betreuung, Unterbringung und Versorgung an. Hinzu kommen individuelle Kosten, etwa für Kleidung oder einen Krankenhausaufenthalt. Sie würden „personenbezogen ermittelt und abgerechnet“.

Wer muss für die Kosten aufkommen?

Laut Gesetz soll diese der „Ausländer“ übernehmen, der aber in der Regel mittellos ist, so dass das Land Hessen den Großteil oder alles zahlt. Wenn der Geflüchtete Geld oder Wertgegenstände bei sich hat, wird eine „Sicherheitsleistung“ einbehalten. Für persönliche Bedürfnisse bekommen die Inhaftierten ein Taschengeld von 20 Euro pro Woche. Forderungen werden vor allem im Fall einer Wiedereinreise geltend gemacht, so wie bei Serif Akbulut, der einst aus dem Main-Kinzig-Kreis abgeschoben wurde und inzwischen über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt. Für Haft und Abschiebung erhielt er eine Rechnung von 23 000 Euro.

Wird das Gefängnis ausschließlich vom Land Hessen genutzt?

Nein, andere Bundesländer haben bereits in mehreren Dutzend Fällen darauf zurückgegriffen, im Jahr 2019 zum Beispiel 22-mal. Im vergangenen Jahr wurde etwa eine 51-Jährige, die in Baden-Württemberg wohnte, aus Darmstadt in den Irak abgeschoben, da ihr fast volljähriger Sohn straffällig geworden war. Hessen leistete Amtshilfe, weil es in Pforzheim noch keine Plätze für Frauen gab. Die Frau war krank. Doch das zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe wies Kritik zurück: Die Mutter sei „vollziehbar ausreisepflichtig gewesen“.

In wie vielen Fällen wurden Häftlinge abgeschoben?

Von März 2018 bis Ende November 2022 seien 1076 Personen „zurückgeführt oder überstellt“ worden, im vergangenen Jahr waren es 291. Die meisten der insgesamt etwa 1200 Inhaftierten kamen aus Algerien, Pakistan, Marokko, Albanien und der Türkei. Die durchschnittliche Haftdauer betrage derzeit 16 Tage. Zuvor lag sie höher, 2020 und 2021 etwa bei 22 Tagen und in einem Fall bei 145 Tagen. 

Wie viele Geflüchtete wurden vorzeitig aus der Abschiebehaft entlassen?

2018 waren es 28, zwei Jahre später 58 und im vergangenen Jahr 57 (Stand November). Zum Teil nach richterlichen Entscheidungen, zum Teil aus sonstigen Gründen, etwa Krankheit oder Ablauf von Fristen.

Wie viele Beschäftigte arbeiten in der Haftanstalt?

Laut Innenministerium sind es 92. Sie sind größtenteils im Wachdienst, aber auch in der Sozialarbeit und medizinischen Versorgung tätig.

Was entgegnet das Land auf Kritik an der Einrichtung?

Das Ministerium weist sie zurück. Mit dem Betrieb erfülle es ihm „gesetzlich obliegende Aufgaben“. Grundlage für Abschiebungshaft oder Ausreisegewahrsam seien richterliche Entscheidungen. Die Abschiebungshafteinrichtung sei „umfänglich modernisiert und personell erweitert“ worden, „um gerade auch den Bedürfnissen der Untergebrachten noch besser nachkommen zu können“.

Was sagt der Hessische Flüchtlingsrat zum Abschiebegefängnis?

Der Flüchtlingsrat lehnt Abschiebehaft und die Einrichtung ab. Geschäftsführer Timmo Scherenberg kritisiert, sie unterscheide sich – anders als vom Europäischen Gerichtshof in dessen Rechtssprechung gefordert – kaum von gewöhnlichen Haftanstalten und den Bedingungen dort. Darüber hinaus fließe sehr viel Geld in ein riesiges Abschiebegefängnis, das in die Integration von Geflüchteten investiert werden sollte. Hinzu komme unter anderem, dass zahlreiche Inhaftierungen nicht rechtmäßig seien.

Zusammengestellt von Gregor Haschnik

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