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Mehr Freiheit für Querdenker

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© dpa

Die Bundesrepublik gilt als „Land der Ideen“. Doch wie innovativ ist der Wirtschaftsstandort wirklich?

Von Andrea Frey

Richard Paulert (Name geändert) ist ein Tüftler: Der 39-jährige Software-Ingenieur überlegt ständig, wie man Dinge besser machen kann. In jedem Einstellungsgespräch würde er damit punkten. Im Arbeitsalltag jedoch geht der innovativ denkende Mitarbeiter den Kollegen häufig auf die Nerven. Beim Vorgesetzten blitzt er zudem mit seinen Verbesserungsvorschlägen permanent ab. Das ist kein Einzelfall. Denn allen Bekenntnissen deutscher Unternehmen, sie suchten kreative Mitarbeiter, zum Trotz, werden die Ideengeber im betrieblichen Alltag oft ausgebremst.

Das belegt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung „Die Ideeologen“ zum „Erfolgsfaktor  Innovationskultur“: Nur bei 29 Prozent der 200 befragten Firmen ist kreatives Denken tatsächlich hoch angesehen. Lediglich 24 Prozent trauen sich, „Querdenker“ einzustellen. Die übrigen Betriebe schätzen Ideengeber nur, solange ihr Input nichts Grundsätzliches verändert. Doch diese „Kreativität nach Vorschrift“ geht auf Dauer nicht weit genug, um den Wirtschaftsstandort Deutschland auf den globalisierten Märkten wettbewerbsfähig zu halten.

Dazu braucht es Innovationen. Zwar ist die Bundesrepublik europäische Nummer eins bei Patentanmeldungen, an Ideen mangelt es also nicht, doch zu selten gelangen Neuerungen hierzulande bis zur vollen Marktreife. Den Reibach machten schon in der Vergangenheit oft andere: Das Dateiformat MP3, das das Musikbusiness  revolutionierte, wurde beispielsweise von einem Deutschen entwickelt. Markttauglich gemacht wurde es jedoch anderswo: Die deutsche Plattenindustrie war zu zögerlich. Angesichts solcher Bedenken, die in vielen Branchen verbreitet sind, befürchtet Steffen Fischer, Personalleiter und Mitglied der Geschäftsführung bei IFM Electronic, einem weltweit führenden Sensorentwickler, Deutschland könne vom Entwickler- zum Entwicklungsland werden. Zwar seien die deutschen „Hidden Champions“, international etablierte Mittelstandskonzerne wie seine Firma, Innovationsmotoren, doch der Mangel an Fachkräften und das offenbar nicht optimale Klima für kreative Entwickler könnten sich zu einem ernst zu nehmenden Innovationsstau auswachsen, befürchtet er.

Firmen bremsen Innovationen aus

Nicht ganz zu Unrecht: Zwar verkündete eine Studie der Deutschen Telekom Stiftung und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, das Innovationsklima habe sich in den vergangenen zwei Jahren verbessert und die Bundesrepublik sei 2010 auf der 26 Industrienationen umfassenden Rangliste von Platz neun auf Rang vier geklettert. Doch die Untersuchung der „Ideeologen“ besagt eher Gegenteiliges: „Wenn es darum geht, Innovationen voranzutreiben, treten deutsche Unternehmen auf die Bremse“, bringt es Studienleiter Jens-Uwe Meyer auf den Punkt. Paradox ist: Ihre Eigendarstellung lässt vielfach anderes vermuten. „Unternehmen betonen, dass sie Neues offensiv angehen und Herkömmliches infrage stellen wollen“, so Meyer. Realität ist jedoch: Nur  jede fünfte Firma fördert Experimente aktiv. Lediglich jedes vierte Unternehmen hat das Ziel, als Pionier bahnbrechende neue Produkte zu entwickeln. Drei Viertel der Firmen gehen lieber auf Nummer sicher und verstehen unter Innovation eine ständige Verbesserung des Bestehenden. Meyer: „Wenn wirklich radikal neue Ideen auftauchen, machen diese den Betrieben eher Angst als Mut“ – wie seinerzeit die MP3.

Was Meyer an den Ergebnissen seiner Erhebung geradezu schockt: „Deutsche Unternehmen unterdrücken die Methoden, mit denen andere ganze Märkte revolutioniert haben.“ Diese zeichnen sich durch Schnelligkeit, Wendigkeit und ein hohes Maß an Selbstverantwortung aus. Hiesige Unternehmen dagegen beschreibt Meyer als „Tanker: langsam und behäbig“. Im internationalen Innovationswettbewerb werden sie damit auf Dauer unterliegen, prognostiziert er. Doch woran liegt es, dass Deutschland keine positivere Innovationsbilanz ziehen kann? Eswerde zu stark in starren Prozessen gedacht, erklärt Jens-Uwe Meyer. „Das Tagesgeschäft erfordert Effizienz, strukturierte Abläufe und Zuständigkeiten. Innovationen brauchen das Gegenteil.“ In vielen Firmen fehle das Verständnis dafür: Sie versuchten die Innovationen mit den gleichen Methoden zu entwickeln, die sie im Alltäglichen anwenden. Doch es geht auch anders: IFM hat in den vergangenen fünf Jahren ein Innovationsmanagement entwickelt. „Wir bekämpfen allzu viel Bürokratie, die die Innovationen verkomplizieren würde“, sagt Personalleiter Steffen Fischer.

Anfangs wird der Kreativität genügend Freiraum geboten. „Doch irgendwann muss die freie Phase vorbei sein und alles in einen strukturierten Prozess überführt werden. Das ist ein Balanceakt“, so Fischer. Um dem Rechnung zu tragen, hat Kent Karlsson, verantwortlich für die Entwicklung des Innovationsmanagements, einen Projektraum eingerichtet: „Frei von den Ablenkungen des Großraumbüros kommen hier die Teams zusammen.

Nirgends gibt es Telefone“, erklärt Karlsson. Das Konzept habe sich bewährt: „Die Effizienz hat sich spürbar gesteigert.“ Von der Idee bis zur Produktion brauche eine Innovation bei IFM in der Regel neun Monate – schnell und wendig genug, um international mithalten zu können – und mit Arbeitsbedingungen, die Querdenker Richard Paulert gefallen würden.

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