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Von: Bernd Hontschik

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Die EMA in London sucht einen neuen Standort.
Die EMA in London sucht einen neuen Standort. © afp

Die Europäische Arzneimittelbehörde sollte geschlossen werden. Eine Neugründung könnte sich dann an der US-amerikanischen FDA orientieren.

Die Europäische Arzneimittelbehörde heißt EMA (European Medicines Agency) und hat ihren Sitz in London. Seit dem 23. Juni 2016 besteht Handlungsbedarf, denn Europa und London passen nicht mehr zusammen. Für diese Behörde muss unbedingt ein neuer Standort her.

Die EMA wurde vor 22 Jahren gegründet und hat etwa 450 Angestellte. Sie soll die Wirksamkeit und die Sicherheit von Arzneimitteln prüfen. Nur wenn die EMA ein Medikament als wirksam und sicher beurteilt hat, erteilt sie eine Genehmigung, nur mit dieser Genehmigung darf ein Medikament im europäischen Wirtschaftsbereich (EU plus Liechtenstein, Island und Norwegen) verkauft werden. Auch Medikamente, die bereits auf dem Markt sind, werden laufend nachuntersucht.

Die EMA kann ein Medikament wieder vom Markt nehmen, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Sie hat außerdem die Aufgabe, Arzneimittelhersteller bei der Entwicklung neuer Medikamente zu beraten. Sie soll also als eine mächtige, unabhängige Behörde die Bürgerinnen und Bürger in Europa vor unerwünschten und unkontrollierten Arzneimittelwirkungen schützen. Aber macht sie das auch?

Der Jahresetat dieser wichtigen Behörde beträgt etwa 300 Millionen Euro. Der größte deutsche Pharmakonzern Bayer allein macht einen Jahresumsatz von knapp fünfzehn Milliarden Euro, das ist fast das Fünfzigfache.

EMA missachtet die Regeln der Unabhängigkeit

Spätestens wenn man dann noch hört, dass der Jahresetat der EMA nur zu 15 Prozent von der EU finanziert wird, aber zu 85 Prozent von der Pharmaindustrie, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Diese zwergengleiche Institution ist außerdem nicht nur mit ihrer finanziellen Ausstattung ein Witz, sondern sie missachtet seit Jahren immer wieder die Regeln der personellen Unabhängigkeit: Thomas Lönngren (Schweden) war zehn Jahre lang geschäftsführender Direktor der EMA, bevor er 2011 ins Management von Pharmafirmen wechselte, deren Produkte er bislang beurteilt hatte.

Xavier Luria (Spanien) leitete den Bereich „Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln“, bis er 2012 zu Pharmaunternehmen und deren Beratungsdienstleistern wechselte. Vinzenzo Salvatore (Italien) war bis 2012 acht Jahre lang Leiter der Rechtsabteilung der EMA, als er direkt in die US-amerikanische Anwaltskanzlei Sidley Austin wechselte, wo er seitdem „Life-Science-Unternehmen“ berät, wie man mit EU-Regularien und den gesetzgeberischen Abläufen umgeht. Sein Nachfolger wurde Stefano Marino (Italien), der wiederum direkt den umgekehrten Weg nahm, nämlich vom italienischen Pharmaunternehmen Sigma-Tau zur EMA, und der außerdem von 2005 bis 2013 ein wichtiger Lobbyist im Europäischen Verband der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA) war.

Statt mit dieser Behörde jetzt aufwendig umzuziehen, sollte ihr lächerlicher Etat und das Drehtürprinzip ihrer Seitenwechsler Anlass geben, den Laden gleich ganz und gar zu schließen. Mit einer Neugründung könnte man sich dann zum Beispiel am Milliardenetat der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) orientieren, der finanzielle Unabhängigkeit garantiert, und es braucht verbindliche Richtlinien, die bei „Seitenwechseln“ mehrjährige Karenzzeiten vorsehen. Eine solche neue Behörde könnte die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger von Europa dann tatsächlich schützen.

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