Wirkstoffe sollen Alzheimer aufhalten

Derzeit laufen mehrere klinische Zulassungsstudien zu Alzheimer an der Uniklinik Frankfurt. Doch auch diese Medikamente helfen nur in einem frühen Stadium der Krankheit.
Alzheimer ist ein großes Thema, in der Medizin, den Medien, dem Bekanntenkreis, für fast jeden. Und doch bleibt die Erkrankung auch heute häufig noch lange unerkannt – weil Betroffene und ihre Angehörigen Symptomen wie zunehmender Vergesslichkeit keine Bedeutung schenken oder sie dem Hausarzt nicht auffallen. Häufig verdrängen Patienten es auch, wenn sie erste Anzeichen bemerken, sie vertrauen sich niemanden an, wollen sich aus Scham und Angst nicht untersuchen lassen.
„Es gibt bei Alzheimer immer noch ein Defizit an Aufklärung, vor allem betroffenen Familien mangelt es an klaren Informationen – auch zu den Möglichkeiten, die heute existieren“, sagt David Prvulovic, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Frankfurt. Oft werde die Erkrankung deshalb erst spät festgestellt. Eine frühzeitige Diagnose sei aber schon allein aus dem Grund wichtig, um Hilfsangebote in Anspruch nehmen oder nötige Vorkehrungen wie Vorsorgevollmachten noch in die Wege leiten zu können. Aus medizinischer Sicht sollte ebenfalls so schnell wie möglich abgeklärt werden, was hinter Problemen wie Gedächtnisstörungen steckt, sagt der Mediziner. Klarheit könne ein Gespräch mit Experten in einer Klinik, eine „80 bis 90-prozentiger“ Sicherheit eine Untersuchung des Nervenwassers bringen, bei der Biomarker bestimmt werden.
Leistungsunfähigkeit nicht zwangläufig Demenz
Manchmal kann eine Untersuchung auch Entwarnung bringen, denn eine nachlassende geistige Leistungsfähigkeit muss nicht zwangsläufig Demenz bedeuten. Sie kann einem normalen Alterungsprozess geschuldet sein – oder auf ganz andere Ursachen zurückgehen, wie Prvulovic sagt. Das könnte eine Unterfunktion der Schilddrüse oder ein Vitamin B12-Mangel sein, unter dem nicht wenige ältere Menschen leiden. Beides ließe sich leicht behandeln: „Umso tragischer wäre es, würde man es nicht tun.“ Auch Depressionen (die selbst als Risikofaktor für Alzheimer gelten) können mit kognitiven Defiziten einhergehen.
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Bis heute gilt Alzheimer als nicht heilbar, doch bei frühem Erkennen bestehe die Chance, mit Medikamenten zumindest die Symptome für eine gewisse Zeit auf dem Status Quo zu halten, sagt Prvulovic – auch wenn sich der Krankheitsprozess, der stets ein fortschreitender ist, dadurch nicht bremsen oder gar aufhalten lässt. Noch nicht. Denn derzeit wird intensiv an neuen Therapien geforscht, die genau das leisten sollen.
Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. Bis auf eine seltene Variante ist die Erkrankung nicht direkt vererbbar, Wissenschaftler gehen aber von einer gewissen Disposition aus. Klar ist, dass ein höherer Bildungsgrad und geistige Aktivität zwar nicht direkt vor der Krankheit bewahren, den Ausbruch aber hinauszögern können. Verantwortlich für den Abbau sind zwei Proteine: Amyloid-beta und Tau. Ihre genaue Rolle sei noch nicht vollends verstanden, sagt Prvulovic. Beide kommen auch bei gesunden Menschen vor, bei Alzheimer-Patienten jedoch lagern sie sich übermäßig im Gehirn ab: Das Tau-Protein tut das innerhalb der Nervenzellen. Amyloid-beta (das eigentlich eine Reparaturfunktion etwa nach einem heftigen Stoß auf den Kopf hat) verbleibt zwischen den Neuronen und blockiert dort die Schaltstellen, die Impulse weiterleiten. Die Folge: Die Kommunikation der Nervenzellen wird zunehmend gestört, schließlich sterben sie ab.
Lange Zeit kann das Gehirn diesen Ausfall kompensieren, vor allem geistig rege Menschen besitzen oft eine beträchtliche Reservekapazität, sagt David Prvulovic. „Wenn aber eine gewisse Grenze überschritten ist, kann das Gehirn die Verluste nicht mehr korrigieren.“ Es kommt zu den typischen Symptomen wie Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, dem permanenten Suchen nach Dingen, Problemen mit der Orientierung oder auch Veränderungen der Persönlichkeit. Wenn sie sich bemerkbar machen, sind die neurodegenerativen Prozesse meist schon viele Jahre, zum Teil bereits Jahrzehnte im Gange, sagt der Psychiater. Sogar bei Verkehrstoten im jungen Erwachsenenalter habe man „schon erste Veränderungen feststellen können“.
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Die derzeit verfügbaren Medikamente sollen helfen, die noch vorhandenen Ressourcen im Gehirn so gut wie möglich auszuschöpfen. – die Bildung weiterer Placques verhindern sie nicht, erklärt Prvulovic. An diesem Punkt setzen die neuen Therapien an: Sie sollen ein Fortschreiten der degenerativen Prozesse verlangsamen oder bestenfalls verhindern. Sie rückgängig zu machen – dazu werden auch diese Mittel nicht in der Lage sein. „Sind Nervenzellen im Gehirn erst einmal zerstört, so ist das unwiederbringlich.“ Deshalb werde es auch bei den neuen Medikamenten, so sie denn auf den Markt kommen, umso wichtiger sein, in einem frühen Stadium mit der Therapie zu beginnen – dann, wenn jemand nur leichte kognitive Störungen aufweist.
Zwei verschiedene Ansätze
Getestet werden derzeit zahlreiche Wirkstoffe. Die bislang vielversprechendsten richten sich gegen das Amyloid-beta-Protein. Mehrere klinische Phase-3-Studien – die letzte Stufe vor einer möglichen Zulassung – zu einer solchen Substanz laufen aktuell an der Uniklinik Frankfurt. Um die Menge an Amyloid-beta im Gehirn zu reduzieren, gibt es zwei verschiedene Ansätze, erläutert David Prvulovic: Der eine basiert auf einem immunologischen Antikörper, der sich an die Ablagerungen bindet und das lokale Immunsystem aktivieren soll.
„Das funktioniert erstaunlich gut“, sagt der Neurowissenschaftler, schränkt allerdings ein: „Jedoch kann ein klinischer Nutzen nur dann erwartet werden, wenn die Krankheit noch nicht zu weit fortgeschritten ist“. Es gelte deshalb, Alzheimerpatienten in einem Stadium zu „erwischen“, an dem der „Point of no return“ noch nicht überschritten sei. Als Nebenwirkungen dieser i Therapie, die per Infusion verabreicht wird, seien „überschießende“ Abwehrreaktionen aufgetreten, die sich in „kleineren lokalen Entzündungen“ äußerten. „In der Regel bilden sich diese aber von alleine zurück.“
Andere Wirkstoffe sollen die Belastung mit Amyloid-beta verringern, indem sie die dessen Produktion hemmen – und zwar über die Inaktivierung des Enzyms Beta-Sekretase, das an der Bildung des Eiweißes beteiligt ist. Ein Vorteil dieses Medikaments wäre, dass es als Tablette eingenommen werden könne, erklärt Prvulovic. Würde sich nur eines dieser Mittel in der Praxis bewähren und das Krankheitsgeschehen auch nur verlangsamen, so wäre das ein „echter Durchbruch“, sagt der Neurowissenschaftler.
Was man bis heute allerdings immer noch nicht genau kennt, das sind die Hintergründe, warum die Produktion der Proteine aus dem Ruder läuft. Die Wissenschaft geht davon aus, dass der Zustand der Blutgefäße eine maßgebliche Rolle dabei spielt, dass sich Amyloid-beta an den Nervenzellen anlagern kann: „Sie haben eine wichtige Funktion bei der Entsorgung des Proteins“, erklärt David Prvulovic. Sind die Blutgefäße geschädigt, so wird dieser Abtransport erschwert. Ursachen dafür können ein unbehandelter hoher Blutdruck, insbesondere auch stark schwankende Werte, und Cholesterinablagerungen sein. Überdies führen Engstellen in den Gefäßen dazu, dass das Gehirn weniger gut durchblutet wird.
Damit erhöhen diese typischen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren auch die Gefahr neurodegenerativer Prozesse. Weitere „Klassiker“, die mit vielen Krankheiten in Verbindung gebracht werden, sind ebenfalls relevant für Alzheimer: übermäßiger Alkoholkonsum, der über ein Gläschens Wein am Abend hinausgeht, wenig körperliche und im Hinblick auf Demenz auch wenig geistige Aktivität. Schädlich kann sich auch die gewohnheitsmäßige Einnahme bestimmter Psychopharmaka aus der Gruppe der Benzodiazepine (zum Beispiel Valium), auswirken. Zudem werden die Folgen länger andauernder Schlafstörungen auf das Gehirn diskutiert – wobei sich Forscher aber nicht sicher sind, ob sie eine Ursache oder ein frühes Symptom einer Demenz sind.
Für alle durch den Lebensstil beeinflussbaren Risikofaktoren von Alzheimer gilt: Die entscheidenden Weichen werden bereits früh im mittleren Alter gestellt, sagt David Prvulovic. „Die Demenzprophylaxe fängt spätestens mit 40 an.“
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