Leben ohne Pulsschlag

Moderne Kunstherzen arbeiten inzwischen sehr zuverlässig, doch den Trägern fehlt etwas Wesentliches: der Puls ist nicht mehr fühlbar.
Von Anne Brüning
Nach ein paar Schritten rast das Herz, die Luft wird knapp, der Blutdruck geht in die Höhe. Irgendwann ist an alltägliche Dinge wie Treppensteigen nicht mehr zu denken. Menschen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz haben ein schweres Leben. Ihr Herz ist nicht stark genug, um ausreichend Blut in den Körperkreislauf zu pumpen.
Der Herzmuskel bemüht sich, diese Schwäche zu kompensieren und vergrößert sich. Auf Dauer entsteht so jedoch ein Teufelskreis: Je größer das Herz ist, desto mehr Kraft bedarf es, das Blut hindurch zu pumpen. Eine Herzinsuffizienz kann verschiedene Ursachen haben. Oft ist sie die späte Folge einer häufig viral bedingten Herzmuskelentzündung. Häufig entsteht sie auch nach einem Herzinfarkt, bei dem Herzmuskelgewebe zugrunde geht.
Eine Zeit lang lässt sich das Geschehen medikamentös aufhalten. Heilbar ist es jedoch nicht. Irgendwann brauchen die Patienten das Herz eines Spenders. Doch gespendete Organe sind rar. „Zurzeit warten in Deutschland fast tausend unheilbare Kranke auf ein Spenderherz“, sagt Sandre Douma von der Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden. Im vergangenen Jahr wurden hierzulande allerdings nur 393 Herzen übertragen. Mit Hilfe von Kunstherzen lässt sich in vielen Fällen die Zeit bis zur Transplantation überbrücken.
Kunstherzen sind zumeist Pumpen, die den Kreislauf unterstützen. Sie werden im Brustraum auf das kranke Herz gesetzt. Wenn sie, wie es häufig der Fall ist, die Arbeit der linken Herzkammer unterstützen sollen, führt eine Kanüle von der linken Herzkammer zur Pumpe und eine zweite von der Pumpe zur Hauptschlagader. Auf diese Weise wird der Körper ausreichend mit sauerstoffreichem Blut versorgt, das kranke Herz bleibt jedoch an Ort und Stelle und arbeitet nach seinen Möglichkeiten weiter.
Ein merkwürdig anmutender Nebeneffekt der Therapie ist, dass die Patienten keinen Puls haben und dass sich mit herkömmlichen Geräten auch kein Blutdruck messen lässt. Das liegt daran, dass die Pumpen kontinuierlich arbeiten und das Blut nicht stoßweise befördern wie das Herz. Äußerlich fallen Kunstherzpatienten heutzutage höchstens noch dadurch auf, dass sie außen am Körper in einer kleinen Umhängetasche ständig die Steuereinheit für die Pumpen sowie die ein bis zwei Kilogramm schweren Batterien tragen.
So einfach wie heute war es zu Beginn der Kunstherz-Ära in den späten 80-er Jahren nicht. „Früher waren die Pumpen groß, schwer und laut. Weil sie mit Luftdruck angetrieben wurden, mussten die Patienten Aggregate mit sich führen, die anfangs so groß wie Kühlschränke und später immerhin noch so groß wie Einkaufwagen waren. So hätte kaum jemand auf Dauer leben wollen“, sagt Roland Hetzer, Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB).
Seit das Zentrum vor 25 Jahren gegründet wurde, haben die Berliner Spezialisten bereits mehr als 1?700 dieser Pumpen eingesetzt. Damit verfügten Hetzer und seine Kollegen über die weltweit umfangreichste Erfahrung mit Kunstherzen – und sie haben miterlebt, wie sich die Technik weiterentwickelt hat.
Besonders in den vergangenen Jahren wurden die Systeme sogar so weit verbessert, dass Kunstherzen nicht mehr nur zur Überbrückung eingesetzt werden, sondern auch auf Dauer. „Die Kunstherzen der dritten Generation sind klein und arbeiten lautlos, verschleißfrei und stromsparend“, sagt Hetzer. Die Oberflächen der Pumpen sind inzwischen zumeist auch derart bearbeitet, dass sich in den Geräten nicht mehr so leicht Blutgerinnsel bilden.
„Früher bestand häufig die Gefahr, dass sich die Blutklumpen lösen, in den Kreislauf gelangen und zum Beispiel einen Schlaganfall auslösen. Das Risiko ist inzwischen viel kleiner geworden“, sagt Hetzer. Und so werden am DHZB mittlerweile deutlich mehr Kunstherzen als Spenderherzen eingesetzt. „Im vergangenen Jahr haben wir 180 Kunstherz-Systeme implantiert, aber nur 40 Herztransplantationen vorgenommen“, berichtet Hetzer.
Einige seiner Patienten, deren Herzen nur noch mit Hilfe der kleinen Hightech-Pumpen funktionieren, leben bereits mehr als fünf Jahre mit der technischen Unterstützung. Hetzer hält es für gut möglich, dass Kunstherzen bald zehn bis 15 Jahre mehr Lebenszeit bringen. Teams in aller Welt arbeiten inzwischen an einer neuen Generation eines vollwertigen Kunstherzens – auch Hetzer und seine Kollegen.
„Wir wollen bereits existierende Rotationspumpen derart umbauen, dass sie die Arbeit der beiden Herzkammern vollständig übernehmen können“, berichtet Hetzer. Zurzeit tüfteln die Forscher daran, wie die Pumpen abgeändert werden müssen und wie sie mit den Vorhöfen des Herzens verbunden werden können.
Ein vollwertiges Kunstherz käme nur für einen kleinen Teil der unheilbar herzkranken Patienten in Frage – etwa nach einem schweren Herzinfarkt, bei dem ein großer Teil des Herzmuskels zerstört wurde, oder wenn die Scheidewand zwischen der linken und der rechten Herzkammer durchbrochen ist. Patienten, deren Herz noch so weit intakt ist, dass es mit einem Unterstützungssystem auskommt, würde Hetzer ohnehin nicht zu einem vollwertigen Kunstherz raten, sondern eher zu den erprobten Unterstützungspumpen, die auf das natürliche Herz gesetzt werden.
Therapie der ersten Wahl ist für ihn derzeit aber immer noch eine Organtransplantation. „Wenn ein Patient die Wahl hat, würde ich immer zu einer Herztransplantation raten“, sagt Hetzer. Denn das Verfahren sei ausgereift. „Wer heute ein Spenderherz übertragen bekommt, hat gute Chancen 30 Jahre damit zu leben“, sagt Hetzer. Auch die Immunsuppressiva, die die Patienten lebenslang einnehmen müssen, damit ihr Abwehrsystem das fremde Organ nicht abstößt, seien inzwischen viel verträglicher geworden.
„Früher zerstörten die Mittel auf Dauer die Nieren“, berichtet der Herzchirurg. „Das ist heute nicht mehr das Fall.“ Die Natur perfekt nachzuahmen, bleibt demnach weiterhin eine Herausforderung.