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Zwischentöne statt schwarz-weiß

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Von: Martin Benninghoff

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Die Serie Fauda zeigt den Nahost-Konflikt auf interessante Weise.
Die Serie Fauda zeigt den Nahost-Konflikt auf interessante Weise. © Netflix

Die israelische Serie „Fauda“ auf Netflix handelt vom Nahost-Konflikt – und bringt ihn mit lebendigen Charaktären und verschiedenen Perspektiven auf bewegende Weise nahe.

Es ist vermutlich leichter, den Yeti vor die Kamera zu bekommen, als eine faire, ausgewogene und auch spannende Serie über den vertrackten Nahostkonflikt zu drehen. Der israelischen Serie „Fauda“ gelingt das bravourös, neuerdings in vierter Staffel auf Netflix. Mit atemberaubendem Tempo, überzeugenden Charakterdarsteller:innen mit viel Entwicklung und mit einer Riesenportion Realismus, die diese fiktionale Serie fast zu einer Dokumentation macht.

„Fauda“ bietet dabei einen ungewöhnlich unterhaltsamen Zugang zu den todernsten Verästelungen des Konfliktes – und den unendlichen Schattierungen von Leid und Niedertracht auf israelischer wie auf palästinensischer Seite. Die vierte Staffel, die nach coronabedingter Pause mit Abstand im Januar erschienen ist, knüpft nahtlos an die ersten drei an, die ab 2015 auf dem israelischen Sender „Yes Oh“ liefen.

Im Zentrum von „Fauda“ (Arabisch für „Chaos“) steht eine Spezialeinheit der israelischen Armee um Doron Kabillio, gespielt von Lior Raz, der zusammen mit dem Journalisten Avi Issacharoff die Idee zu der Serie hatte. Kabillio und seine Leute jagen Terroristen und versuchen, Geiseln zu befreien. Realistische Parallelen drängen sich nicht nur auf, sondern werden explizit benannt, so der Fall des jungen Soldaten Gilad Schalit, der 2006 von der Hamas entführt wurde und erst fünf Jahre später im Rahmen eines Gefangenenaustausches freikam.

Wäre es eine Räuber-und-Gendarm-Story zugunsten Israels, der Fatah oder gar der Hamas, könnte man „Fauda“ getrost vergessen. Aber es zeigt, unter welchen Gefahren die israelische Bevölkerung leben muss, aber auch, wie Israels Militär und vor allem der Inlandsgeheimdienst Schin Bet am Rande der Legalität (oder darüber hinaus) agieren. Psychischer Druck auf Gefangene, Fallen, Undercover-Aktionen mit hoher Gewaltbereitschaft und zivilen Opfern – ungebrochene Sympathien gibt es am Ende kaum.

Stattdessen entwickelt man Empathie für verschiedene Figuren. „Fauda“ macht Schluss mit Schwarz-Weiß-Denken im Nahostkonflikt, hütet sich aber auch vor falschem Relativismus. Dass die Hamas den Gaza-Streifen verrotten lässt und nicht weiter von guter Regierung entfernt sein könnte, wird deutlich gezeigt. Die Fatah versinkt im Sumpf ihrer eigenen Unfähigkeit, während die israelischen Behörden zu einer Härte greifen, die für ein europäisches Publikum mindestens ungewohnt ist – und Fragen nach der Verhältnismäßigkeit aufwirft.

Dieser Aspekt steht besonders im Fokus der vierten Staffel, die teils in Brüssels Migrantenviertel Molenbeek spielt. Einsatzleiter Eli kondensiert seinen Eindruck angesichts der düsteren Plattenbauten in einem Satz, der hängenbleibt: Molenbeek sei „Gaza in zehn Gebäude gequetscht“. Die belgische Polizei ist dem israelischen Team zu zaghaft bei der Terroristenverfolgung – zu Hause ist man anderes gewohnt.

Zwischentöne erzeugen vor allem zwei Figuren: Geheimdienstler Gabi Ayub (grandios gespielt von Itzhak Cohen), der munter zwischen Israelis und Fatah hin und her intrigiert, und der Hauptcharakter Kabillio, der in einer arabischen Nachbarschaft lebt und sich immer wieder in Araberinnen verliebt. Er spricht Hebräisch und Arabisch, bewegt sich in beiden Welten so, als existierten keine Mauern und Grenzzäune. Fast, so möchte man meinen, ein idealer Vertreter eines friedlichen Landes, in dem jüdische Israelis und Araber:innen gleichberechtigt neben- und miteinander leben.

Doch die Geschichte dieses umkämpften Stückchens Land hat ihn zum todbringenden Kämpfer gemacht – ein Drama, das sich in Israel wie Palästina täglich wiederholt. Am Ende der Staffel siegt vorerst der Hass. Aber ein Hintertürchen bleibt immer, so wie im Nahostkonflikt. Prädikat: sehenswert!

Fauda, Vierte Staffel, auf Netflix

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