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Wütend und müde

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Von: Valerie Eiseler

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Ob wütend, müde, beides, oder nichts davon - die vielen Kämpfe des Feminismus müssen wir weiter ausfechten.
Ob wütend, müde, beides, oder nichts davon - die vielen Kämpfe des Feminismus müssen wir weiter ausfechten. © FR

Feministinnen haben über die Jahre viel erstritten. Aber ermutigend sind die andauernden Kompromisse nicht. Eine Bestandsaufnahme.

Die Gemüter im Angesicht des Feminismus sind heute ... bewegt. Wütend, da so vieles, das längst selbstverständlich sein sollte, noch lange nicht erreicht ist. Wütend, da so viele Frauen noch immer in unterdrückenden, teils gewaltsamen Gesellschaften leben müssen. Müde davon, all das zu ertragen. Müde davon, für alles kritisiert zu werden und für das genaue Gegenteil auch. Müde von ewigen Kompromissen. Müde, weil der Kampf um Gleichberechtigung schon so lange andauert. Müde, weil stets neue Kämpfe hinzukommen bevor die alten ausgefochten sind.

In der ersten Welle des Feminismus – eine Kategorie geprägt durch die US-amerikanische und europäische Debatte – kämpften Frauen vor allem um das Wahlrecht. Dieses gilt zumindest theoretisch weltweit. Frauen damals setzten sich aber auch für das Recht auf Bildung ein. In Afghanistan ist Mädchen heute der Schulbesuch verboten. Im Iran werden Schülerinnen derzeit vergiftet.

Mütter in Teilzeit.
Mütter in Teilzeit. © FR

Der Feminismus als die politische Bewegung, wie wir sie heute kennen, hat sich insbesondere im Zuge der sogenannten zweiten Welle etabliert. Die große übergreifende Botschaft: „Das Private ist politisch“. Über die Forderung nach vollständiger politischer Gleichberechtigung und der Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechten hinaus machten Aktivistinnen absolute Tabuthemen öffentlich.

Die Erfindung der Antibabypille gilt für viele zu Recht als großes Symbol der sexuellen Selbstbestimmung. Doch selbstbestimmte Schwangerschaft ist noch immer ein hart umkämpftes Thema. In den 1970er Jahren löste die von französischen Feministinnen inspirierte und von Alice Schwarzer initiierte Kampagne „Wir haben abgetrieben“ im „Stern“ eine riesige öffentliche Debatte hierzulande aus. Zwanzig Jahre dauerte es, bis die Strafbarkeit für einen Abbruch aus dem Gesetz gestrichen wurde. Beim umstrittenen Paragrafen 219a zum „Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch“ dauerte es noch bis 2022. Im gleichen Jahr hob der mehrheitlich konservative Supreme Court in den USA das Recht auf Abtreibung auf. Und so ist der Schwangerschaftsabbruch noch heute in 26 Ländern weltweit illegal – selbst wenn dadurch das Leben der Frau gefährdet wird.

Verhütung? Kein Thema für viele Männer.
Verhütung? Kein Thema für viele Männer. © FR

Es waren auch Aktivistinnen der zweiten Welle, die die ersten autonomen Frauenhäuser schufen, um Frauen vor Gewalt – in der Regel durch ihre Partner - zu schützen. Stand 2022 gibt es in Deutschland rund 5086 Frauenhausplätze. Laut Schätzung von Europarat und hiesigen Hilfsorganisationen viel zu wenige. Gerade Frauen auf dem Land, Frauen mit vielen Kindern, behinderte Frauen, Migrantinnen oder Geflüchtete haben es besonders schwer, einen Platz zu finden. Der Bedarf ist damals wie heute da. Zwar hat Deutschland den Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Strafgesetzbuch etabliert, doch noch immer erleiden hier durchschnittlich 13 Frauen pro Stunde Gewalt in der Partnerschaft. Fast jeden Tag gibt es einen versuchten Femizid. Weltweit ist fast jede dritte Frau bereits Opfer körperlicher Gewalt (und/oder sexualisierter Gewalt) geworden.

Noch ein alter Kampf? Die Sache mit der Sorgearbeit. Schon in den 1970er und 1980er Jahren kämpften Feministinnen für die Anerkennung von „Hausfrauenarbeit“ und forderten eine entsprechende Entlohnung. Noch heute übernehmen Frauen den Großteil dieser Arbeit – unbezahlt. Gerade wenn es um Kindererziehung geht, leisten Frauen noch heute mehr als doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit wie Männer – zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit.

Frauen am Herd.
Frauen am Herd. © FR

Erwerbsarbeit, für die Frauen im Schnitt noch immer weniger Lohn bekommen als ihre männlichen Kollegen. Gleicher Lohn, für gleiche Arbeit – dieser Kampf schwappte gewissermaßen in die nächste Welle über. Laut Statistischem Bundesamt verdienten Frauen im Jahr 2022 durchschnittlich immer noch 18 Prozent oder rund 4,31 Euro weniger pro Stunde als Männer.

Dabei sah es zeitweise doch so vielversprechend aus in der freien Wirtschaft. In den 2010er Jahren saßen Frauen in den Vorständen einiger Top-Unternehmen, zierten Forbes-Rankings und gründeten ihre eigenen Start-Ups. Das Versprechen der Gleichberechtigung – endlich eingelöst? Wohl kaum, wenn diese vermeintliche Befreiung einiger weniger auf der Ausbeutung und Ausgrenzung aller anderen basiert. Zu Recht wird diese Ära gerade von jüngeren Feministinnen inzwischen eher sarkastisch belächelt.

Kinderbetreuung ist Frauensache.
Kinderbetreuung ist Frauensache. © FR

Dabei ist Feminismus als Klassenkampf bei weitem keine moderne Idee. Schon früh übten linke Stimmen der Bewegung Kritik daran, den Feminismus innerhalb kapitalistischer Logiken zu denken. Als Reaktion auf die lautstarke Kritik Schwarzer Feministinnen an einem zunehmend weißen und teils rassistischen Diskurs, haben sich Klasse und Herkunft erneut zu Grundpfeilern feministischen, intersektionalen Denkens etabliert.

Eine Hochphase hatte der moderne Feminismus zweifelsohne während der #MeToo-Kampagne ab 2017. Frauen, die öffentlich Machtmissbrauch und Sexismus anprangerten erhielten endlich Aufmerksamkeit, Unterstützung - und Hass. Denn genau diese Frauen müssen noch immer mit Unglauben, Kritik und Vowürfen rechnen, wenn sie Täter öffentlich benennen. So mancher geständiger Täter kann nach einigen Jahren Pause mit seiner Karriere fortfahren. Offen misogyne, gewaltverherrlichende Männer gehören zu den einflussreichsten Sprachrohren in den sozialen Medien, werden zu Präsidenten gewählt. Frauenhass ist heutzutage wieder lukrativ und dient nicht nur der rechtsextremen Szene als „Einstiegsdroge“.

Rentnerinnen haben weniger.
Rentnerinnen haben weniger. © FR

Und während es wegen diesem Frauenhass, wegen gewaltsamer Regime für Frauen weltweit ums Überleben geht, sehen manche öffentlich bekannten Feministinnen keine größere Gefahr als die Inklusion und Gleichberechtigung von trans Frauen, die statistisch gesehen überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen sind. Als hätten wir nicht schon lange gelernt, dass es bei Gleichberechtigung um alle gehen muss.

Zweifelsohne haben Feministinnen über die Jahre viel erstritten. Aber diese andauernden Kompromisse sind nicht ermutigend - sie sind ermüdend. Entweder Menschenrechte gelten vollumfänglich für uns alle – oder sie gelten nicht. Dass es noch immer um Grundsätzliches geht, zeigt derzeit niemand prägnanter als die Frauen, teils jungen Mädchen im Iran: Sie kämpfen um ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit.

Ob wütend, müde, beides, oder nichts davon - die vielen Kämpfe des Feminismus müssen wir weiter erfechten. Ob nun beim Gender Pay Gap oder bei Trans-Rechten – zu tun gibt es immer noch genug.

Frauen verdienen weniger.
Frauen verdienen weniger. © FR

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