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Bomben-„Terror“ in Russland: Experten sehen internen Konflikt - und Nutzen für Putin

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Von: Patrick Mayer

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ISW und Nawalny-Vertraute wähnen hinter dem Anschlag auf Militärblogger Tatarski in Sankt Petersburg den Geheimdienst FSB. Samt Verbindungen zu Wladimir Putin?

München/Sankt Petersburg - Bei einem Bombenanschlag auf eine Bar in der Millionenmetropole Sankt Petersburg wird ein populärer russischer Militärblogger getötet, mehr als 30 weitere Menschen werden verletzt.

Die Explosion ereignete sich während einer Diskussion der Gruppe „Cyberfront Z“, die zu einem „patriotischen Abend“ in das Café „Street Food Bar No. 1“ geladen hatte. Das Lokal gehört Berichten zufolge dem Chef der Söldnergruppe „Wagner“, Jewgeni Prigoschin. Der hatte den Apparat des russischen Präsidenten Wladimir Putin zuletzt öffentlich bloßgestellt.

Wladlen Tatarski: Russischer Militärblogger stirbt bei Bombenattentat in Sankt Petersburg

Getötet wurde der 40-jährige Publizist Wladlen Tatarski, der aus dem Osten der Ukraine stammt, sich im Ukraine-Krieg aber auf die Seite der prorussischen Separatisten geschlagen hatte. Hat ihn dies das Leben gekostet? Oder, dass er das russische Verteidigungsministerium für die stockende militärische Kampagne kritisiert hatte?

Die US-amerikanische Denkfabrik „Institute for the Study of War“ und die russische Opposition haben jetzt die These aufgestellt, der russische Geheimdienst FSB könnte hinter dem Mordanschlag vom Sonntag (2. April) stehen. Der Kreml seinerseits beschuldigt Kiew und die russische Opposition um den inhaftierten Regimegegner Alexei Nawalny.

Bei einem Bombenanschlag in Sankt Petersburg getötet: der russische Militärblogger Wladlen Tatarski.
Bei einem Bombenanschlag in Sankt Petersburg getötet: der russische Militärblogger Wladlen Tatarski. © IMAGO/Alexander Demianchuk

In Haft sitzt mittlerweile eine 26-jährige Frau, die russischen Behörden zufolge mit Nawalnys Team in Verbindung gebracht wird. Ihr angeblicher Name laut ISW: Daria Trepowa.

Das Innenministerium aus Moskau veröffentlichte ein Video, in dem die mutmaßliche Täterin zugeben soll, in dem Café gewesen zu sein. Sie habe Tatarski, der mit bürgerlichem Namen Maxim Fomin hieß, eine Büste mit einem Sprengsatz übergeben, der wenige Minuten später explodiert sei.

Anschlag auf Wladlen Tatarski: Kreml beschuldigt Kiew und Nawalny-Gruppe

„Es gibt Angaben, dass die ukrainischen Geheimdienste mit der Planung dieses Terroranschlags etwas zu tun haben könnten“, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow gesagt.

Nawalnys Team wies inzwischen Vorwürfe des russischen Anti-Terror-Komitees zurück. Verantwortlich für die Ermordung des Propagandisten seien vielmehr Agenten des Inlandsgeheimdienstes FSB, teilten die im Exil lebenden Oppositionellen Iwan Schdanow sowie Leonid Wolkow am Montag (3. April) mit.

Für die russischen Ermittler sei der Vorwurf einer Tatbeteiligung der Opposition an dem Mord insofern bequem, als dass Nawalny so zur Höchststrafe wegen Terrors verurteilt werden könne, sagte Schdanow laut dpa. Er und Wolkow warfen dem FSB vor, schon seit Jahren politische Morde zu inszenieren. Der FSB habe diesen Blogger, der die Kriegsführung des Verteidigungsministeriums in Moskau kritisierte, selbst „beseitigt“.

Wladlen Tatarski: Propaganda für den Kreml und den Ukraine-Krieg auf Telegram

Fomin alias Tatarski folgte mehr als eine halbe Million Menschen auf seinem Telegram-Kanal. Tatarski hatte sich nach der russischen Invasion im Donbass der Miliz der selbsternannten Volksrepublik Donezk angeschlossen. 2019 zog er Berichten zufolge nach Moskau und begann, als Blogger unter dem Pseudonym Wladlen Tatarski zu schreiben - eine Anlehnung an die Hauptfigur des Romans „Generation P“ des russischen Autors Wiktor Pelewin.

Tatarski galt als Publizist, der Gewalt verherrlichte - und den Tod möglichst vieler seiner Landsleute forderte. Und er tauchte wiederholt in Putins Umfeld auf. So war Tatarski während der Zeremonie zur völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson im September 2022 im Kreml dabei. In Russlands Regierung soll er aber nicht nur Fürsprecher gehabt haben, ordnet ISW aus westlicher Perspektive ein. Hatte er sich unbeliebt gemacht? Der Berater des ukrainischen Präsidialamts, Michailo Podoljak, erklärte aus Sicht Kiews, Fomins Tod sei das Ergebnis politischer Machtkämpfe in Russland.

Wladlen Tatarski: Militär-Blogger hieß Maxim Fomin - und stammte aus der Ukraine

Fomins Ermordung könne ein Beweis dafür sein, dass Putins Toleranz gegenüber den einflussreichen Militärbloggern nachlasse, „aber es könnte stattdessen auch auf Fomins Nähe zu Prigoschin zurückzuführen sein“, schreibt das ISW. Treffe dies zu, könne Fomins Ermordung in Prigoschins Bar „Teil eines größeren Musters eskalierender russischer interner Konflikte“ sein, „an denen Prigoschin und Wagner beteiligt sind“. So scheine der Angriff absichtlich „in einem Raum inszeniert worden zu sein, der Prigoschin gehört“, meint die US-Denkfabrik.

The scene of an exposion at the Strit-Bar cafe on Universitetskaya Embankment, war correspondent Vladlen Tatarsky reported dead, another 16 injured, the glass facade smashed within an area of 15sqm.
Der russische Militärblogger Wladlen Tatarski wurde bei einer Explosion in einem Café in St. Petersburg getötet. © IMAGO/Alexander Demianchuk

Mehr noch: Der Bombenanschlag „könnte als Warnung an Prigoschin gedacht gewesen sein, der zunehmend zentrale Kreml-Punkte über den Krieg in der Ukraine in Frage stellt und sogar indirekt Interesse an der russischen Präsidentschaft signalisiert, sei es in Konkurrenz zu Putin oder als sein Nachfolger“, heißt es.

Bombenanschlag auf Maxim Fomin: Ort des Attentats Botschaft an Jewgeni Prigoschin?

Der Ort des Anschlags könne zugleich eine Botschaft an die Zivilgesellschaft sein, mutmaßte das ISW. In Kneipen würden Fortschritte des russischen Militärs in der Ukraine in Frage gestellt. So hat das ISW im März angeblich Razzien des FSB in Bars in Moskau und in St. Petersburg beobachtet: „Dieser Angriff könnte ein Versuch sein, mit Wagner verbundene Militärblogger einzuschüchtern.“ (pm)

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