Wisch und weg ohne CO2

Viele Industrieprozesse laufen immer noch mit Erdgas oder Erdöl. Ein Papierhersteller zeigt, wie es anders geht
Der schwedische Papierhersteller Essity hat als erstes Unternehmen seiner Branche Papier komplett CO2-frei hergestellt. In seinem Werk in Mainz-Kostheim nutzt das Unternehmen, bekannt für seine Produkte „Tempo“ und „Zewa“, dafür neben Strom aus erneuerbaren Energien erstmals auch klimafreundlich erzeugten grünen Wasserstoff. Dieser ersetzt das in dem energieintensiven Papiertrocknungsprozess bisher benutzte Erdgas.
Viele Industrieprozesse laufen heute noch mit Erdgas, Kohle und Erdöl. Wenn bisher über die geplante Umstellung auf Wasserstoff die Rede ist, geht es meist um Branchen wie die Chemie- und Stahlindustrie. Doch auch in der Papierherstellung ist der Energiebedarf hoch, und da wird meist Erdgas eingesetzt. In Deutschland verbraucht man dafür pro Jahr fast 29 Milliarden Kilowattstunden Gas, was mehr als neun Prozent des Gesamtbedarfs der Industrie ausmacht. Ein Grund dafür ist die hohe Produktionsmenge: 2021 wurden hierzulande rund 23 Millionen Tonnen Papier, Pappe und Karton produziert, also rund 270 Kilo pro Kopf.
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Erdgas ist bisher Wärmequelle für viele Produktionsprozesse in der Papierherstellung, unter anderem für die Erzeugung von Dampf, der beim Altpapier-Recycling und beim Trocknen von Papier benötigt wird. Aber auch der Strom für die Papiermaschinen wird häufig vor Ort aus Erdgas erzeugt. Eine moderne Papiermaschine, die bei einer Laufbreite von zwölf Metern Produktionsgeschwindigkeiten von bis zu 2000 Metern pro Minute erreicht, produziert mehrere Hunderttausend Tonnen Papier pro Jahr.
Klimaneutrale Industrie: Es fehlen Wasserstoff-Leitungen
Besonders bei der Papiertrocknung sind sehr hohe Temperaturen nötig, die in dem Prozess laut Essity mit Strom technisch nicht machbar sind. In seinem Mainzer Werk hat das Unternehmen nun erstmals in einem großindustriellen Versuch bei laufender Produktion 100 Prozent grünen Wasserstoff eingesetzt, in der „Tissue-Haubentrocknung“, die mit bis zu 600 Grad heißer Luft arbeitet. Unter anderem wurde in neue Brenner investiert, die ein Erdgas-Wasserstoff-Gemisch, aber auch 100 Prozent H2 nutzen können. Umgerüstet wurde dafür die größte und leistungsfähigste Papiermaschine des Standortes, die PM4.
Ein dauerhafter Einsatz von grünem Wasserstoff an der PM4 könnte, so das Unternehmen, pro Jahr rund 37 000 Tonnen CO2 einsparen. Das entspreche dann rund einem Viertel des CO2-Gesamtausstoßes des Mainzer Werks. Bisher mangele es aber noch an der dafür nötigen leistungsfähigen Wasserstoff-Infrastruktur, sagt Werksleiter Thorsten Becherer. „De facto könnten wir ab heute schon permanent CO2-frei Papier produzieren, allerdings müsste dann alle zwei bis drei Stunden ein Transporter mit Wasserstoff kommen.“ Essity will bis 2050 weltweit klimaneutral wirtschaften. Bisher hat der Konzern, der seine Produkte in rund 150 Ländern vertreibt, in das Mainzer Projekt nach eigenen Angaben vier Millionen Euro investiert; weitere 1,4 Millionen steuerte das hessische Wirtschaftsministerium aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung bei.
Klimaneutrale Industrie: Kritik an langsamer Umrüstung
Der Konzern denkt daran, das neue Verfahren in Zukunft auch an anderen Standorten einzusetzen, wenn es sich in Mainz bewährt. Allerdings brauche es generell einen schnelleren Aufbau einer lokalen, regionalen und internationalen Wasserstoff-Infrastruktur, mahnt Becherer. Derzeit werde das Potenzial des grünen Wasserstoffs in der Energiewende noch zu wenig genutzt: „Wir wollen mit unserem Projekt eine Vorreiterrolle übernehmen. Zügig angepasste Rahmenbedingungen würden es uns ermöglichen, noch viel schneller voranzugehen.“
Kritik an der langsamen Umrüstung hat in jüngster Zeit zugenommen. So hatte noch die letzte Koalition von Angela Merkel schon 2020 eine „Nationale Wasserstoff-Strategie“ mit mehreren Dutzend Projekten aufgelegt. Davon wurde aber nur wenig umgesetzt. „Von 38 konkreten Maßnahmen ist nichts gekommen außer Ankündigungen“, bemängelte unlängst der Vorstandsvorsitzende des deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbands, Werner Diwald. Die Ampel-Regierung müsse da dringend nachsteuern.
Hydrogen Europe, der Interessenverband der europäischen Wasserstoffwirtschaft, kündigte derweil Verbesserungen an. „Die Wasserstoff-Branche arbeitet mit Hochdruck daran, die großen industriellen Cluster mit den nötigen Grundmengen zu versorgen“, sagte dessen Chef Jorgo Chatzimarkakis. Großabnehmer wie Thyssen-Krupp würden von 2025 an per Pipeline mit Wasserstoff versorgt. Ähnliches gelte für den Industriepark Höchst in Frankfurt und BASF in Ludwigshafen. Für die Versorgung der großen Unternehmen werde allerdings ein Import von Wasserstoff nötig sein, sagte er.