1. Startseite
  2. Politik

Wird die OSZE zum Opfer des Ukrainekriegs?

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

„Das Ende der Sonderbeobachtermission in der Ukraine kann die OSZE überstehen; andere Entscheidungen, die dieses Jahr anstehen, sind dagegen überlebensnotwendig.“ Mitglieder der Mission im Mai 2016 im ostukrainischen Dokutschajiwsk.
„Das Ende der Sonderbeobachtermission in der Ukraine kann die OSZE überstehen; andere Entscheidungen, die dieses Jahr anstehen, sind dagegen überlebensnotwendig.“ Mitglieder der Mission im Mai 2016 im ostukrainischen Dokutschajiwsk. © imago/ITAR-TASS

Die Politologen Cornelius Friesendorf und Stefan Wolff sagen: Westliche Staaten müssen bereit sein, zusammen mit Russland Entscheidungen zu treffen.

Ende März haben russische Vertreter in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Verlängerung der Sonderbeobachtermission in der Ukraine (SMM) abgelehnt. Da in der OSZE das Konsensprinzip gilt, steht die Mission damit vor ihrem Ende.

Sie war seit 2014 bis zu Russlands Überfall auf die Ukraine die wichtigste unabhängige Informationsquelle über Waffenstillstandsverletzungen gewesen und hatte auch lokale Waffenruhen vermittelt. Es bestand die Hoffnung, dass sie im Falle eines neuen Waffenstillstands wieder aktiv werden könnte.

Das russische Veto hat auch grundsätzliche Bedeutung: Es zeigt, dass die OSZE insgesamt ein Opfer dieses Krieges werden könnte. Damit würde ein wichtiges Forum zerstört, das neben Abschreckung und Verteidigung (hierfür ist die Nato zentral) Dialog mit Russland ermöglicht. Das Ende der SMM kann die OSZE überstehen; andere Entscheidungen, die dieses Jahr anstehen, sind dagegen überlebensnotwendig.

So der Haushalt. Mit weniger als 150 Millionen Euro jährlich ist der reguläre OSZE-Haushalt etwa so hoch wie die Kosten eines Kampfjets. Seit Jahren können sich die 57 Teilnehmerstaaten nicht darauf einigen, das Budget zumindest an die Inflation anzupassen – real schrumpft das Budget daher.

Auch können sie sich häufig erst zu spät auf den jeweiligen Jahreshaushalt einigen. Das Sekretariat in Wien, die Feldoperationen und die Institutionen wie das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) in Warschau müssen daher immer wieder mit vorläufigen monatlichen Haushalten auskommen und können nicht langfristig planen.

Autoren und Serie

Cornelius Friesendorf ist Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Stefan Wolff lehrt Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik an der Universität Birmingham (Großbritannien).

In der Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten nach Antworten auf viele drängende Fragen. Die Menschen in der Ukraine brauchen Frieden, aber es herrscht Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen? Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der FR entsprechen.

Die Beiträge erscheinen in loser Folge in der Frankfurter Rundschau. Alle Artikel finden sich auch auf unserer Homepage unter www.fr.de/friedensfragen

Russland scheint sich nicht aus der OSZE zurückziehen zu wollen. Schließlich profitiert es von der Organisation, etwa indem Diplomaten und Militärs Informationen über westliche Streitkräfte im Rahmen eines regelmäßigen Informationsaustauschs erhalten.

Allerdings dürfte der russische Druck auf die OSZE zunehmen, besonders bezüglich Demokratisierung und Menschenrechten. Im vergangenen Jahr blockierte Russland Europas größte Menschenrechtskonferenz, die das BDIMR jedes Jahr in Warschau organisiert. Auch nutzt Russland die Budgetverhandlungen, um Wahlbeobachtung und Demokratisierungsprojekte des BDIMR zu beschneiden. Solche Projekte sind Russland und anderen autoritären Staaten wie Aserbaidschan oder Tadschikistan ein Dorn im Auge, da sie deren Regimestabilität gefährden können.

Falls Russland dieses Jahr noch weiter geht und die Finanzierung von Menschenrechtsarbeit durch das BDIMR und weitere Institutionen blockiert, wären die Auswirkungen dramatisch. Die OSZE basiert auf einem umfassenden Sicherheitsverständnis, das Menschenrechte zusammen mit politisch-militärischer Zusammenarbeit und Wirtschafts- und Umweltkooperation zur Voraussetzung für Frieden macht. Russland könnte die OSZE auf einen Konferenzzyklus in der Art der früheren KSZE reduzieren wollen, also zu einem Diskussionsforum für Regierungen ohne eigene Handlungsfähigkeit.

Das Überleben der OSZE hängt aber auch vom Westen ab. Westliche Staaten müssen bereit sein, zusammen mit Russland Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet, sich das russische Propagandagefasel etwa zu Neonazismus in der Ukraine anzuhören oder zumindest nur dann die Wiener Verhandlungssäle zu verlassen, wenn keine Entscheidungen anstehen. Westliche Staaten können auch Blockaden umgehen, indem sie mehr Mittel und Personal direkt zur Verfügung stellen und damit die OSZE finanziell unabhängiger machen. Bei den Menschenrechten sollten Demokratien – wie im Kalten Krieg – Vorbild sein, anstatt liberale Normen in autoritäre Staaten exportieren zu wollen.

Kurzfristig geht es darum, die OSZE zu erhalten, damit sie mittel- und langfristig den Dialog mit Russland unterstützen kann, sollte der Ausgang des Ukrainekrieges dies zulassen.

Die Stimmen für eine europäische Sicherheitsordnung ohne Russland werden auch in Deutschland immer dominanter. Diese Sicht verkennt die Lehre aus dem Kalten Krieg, dass Dialog auch mit Gegnern möglich und komplementär zu Abschreckung und Verteidigung nötig ist. Russland und die EU- und Nato-Staaten haben ein gemeinsames Interesse, einen nicht-gewollten Krieg zu verhindern. Dafür braucht es Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung, die die OSZE ermöglichen kann. Die Alternative ist ein Europa, das immer wieder am Rande eines Atomkrieges steht, quasi eine permanente Kubakrise.

Auch interessant

Kommentare