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Wird die OSZE noch benötigt?

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„Inmitten der wachsenden Begeisterung für die Nato darf nicht übersehen werden, welch wichtige Rolle Institutionen wie UN oder OSZE spielen könnten“, betont Simon Weiß. Foto: Olivier Matthys/AP/dpa.
„Inmitten der wachsenden Begeisterung für die Nato darf nicht übersehen werden, welch wichtige Rolle Institutionen wie UN oder OSZE spielen könnten“, betont Simon Weiß. Foto: Olivier Matthys/AP/dpa. © dpa

Entweder verhandeln oder Waffen liefern – die deutsche Debatte über eine Lösung für den Krieg in der Ukraine ist verengt, schreibt Simon Weiß: Sprechen und Kämpfen sind gleichzeitig möglich.

Seit mehr als einem Jahr führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Auswirkungen gehen weit über das unmittelbare Schlachtfeld hinaus. In Deutschland hat die Bundesregierung die historische Entscheidung getroffen, den Verteidigungshaushalt mit einem Sondervermögen auszustatten und die Bundeswehr nachhaltig zu stärken. Sicherheit mit Russland wird als nicht mehr gangbar betrachtet, stattdessen liegt der Schwerpunkt auf Abschreckung, oder anders ausgedrückt: Sicherheit vor Russland.

Diese Haltung verfestigt sich auch in der Bevölkerung als Bild einer neuen systemischen Auseinandersetzung. Die Daten, etwa aus dem „Sicherheitsradar 2023“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigen eine verstärkte Bereitschaft, sich von Autokratien abzunabeln, auch wenn es negative Auswirkungen auf den eigenen Lebensstandard hat.

Allerdings hat sich die Vorstellung, dass ein Klub demokratischer Staaten geeint den Krieg in der Ukraine mit Hilfe von Sanktionen und globaler Isolation des Aggressors gewinnt, bisher als trügerisch erwiesen.

In einer solchen Perspektive und in der eher holzschnittartigen Zuspitzung der deutschen Diskussion, auf entweder verhandeln oder Waffen liefern, gehen die Differenzierungen verloren, die bei der Betrachtung eines Krieges notwendig sind.

Denn inmitten der wachsenden Begeisterung für die Nato im Westen darf nicht übersehen werden, welch wichtige Rolle inklusive Institutionen wie die Vereinten Nationen (UN) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei der Abmilderung der Auswirkungen des Konflikts und der Förderung von Kontakten zwischen den Kriegsparteien spielen und künftig spielen könnten.

Sie ermöglichen es, dass die Konfliktparteien einerseits kämpfen und gleichzeitig klar abgrenzbare Fragen im Dialog miteinander regeln. Das reduziert auf Sicht die Gefahr der Eskalation und kann als Ausgangspunkt breiterer Verhandlungen mit dem Ziel eines Waffenstillstands oder gar eines Friedensschlusses dienen.

Denn verhandeln kann man auch während des Krieges. Die Sicherheitsinitiativen der UN und der Internationalen Atomenergie-Organisation rund um das Atomkraftwerk in Saporischschja, die Abkommen zum ukrainischen Weizenexport oder auch Gefangenenaustausche zeigen, dass Fortschritte möglich sind.

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Die Gleichzeitigkeit von Sprechen und Kämpfen gelingt also am besten in Foren, in denen Russland mit am Tisch sitzt. Das bringt die OSZE ins Spiel. Für Moskau ist die OSZE eine Institution, die Russland mitgeschaffen hat, daher verbleibt man dort, obgleich das Land auch hier seit Beginn des Krieges offen angeprangert und isoliert wird.

Die OSZE kann den „fight and talk“-Ansatz unterstützen. Allerdings dürfte sie erst in einer nächsten Phase relevant werden, wenn nämlich beide Seiten beginnen, sich ernsthafter mit der Möglichkeit von Friedensverhandlungen zu befassen. Die OSZE kann die Verhandlungen strukturieren und ihre technische Expertise einbringen. Zudem kann sie darauf hinwirken, die Bedeutung einer nachhaltigen Konfliktlösung hervorzuheben und auf die möglichen Folgen eines langwierigen Konflikts hinweisen. Mit ihrer Erfahrung mit „eingefrorenen Konflikten“ im post-sowjetischen Raum ist sie hier ideal aufgestellt.

Dazu kann sie in der Tradition ihrer Entstehungsgeschichte vertrauensbildende Maßnahmen wie Waffenstillstände oder Gefangenenaustausche anregen. Damit kann sie humanitäre Hilfe für die betroffene Bevölkerung koordinieren, um die unmittelbaren Nöte im Kriegsgebiet zu lindern. Langfristig gesehen kann die OSZE dazu beitragen, dass eine potenzielle Blockkonfrontation in Europa verhindert wird und Spannungen frühzeitig abgebaut werden.

Der Historiker Peter Brandt sprach sich vor einigen Wochen für die Schaffung von Frieden aus und benannte dabei die zentralen Pfeiler kooperativer Sicherheit. Die russische Invasion der Ukraine hat uns weit von der Verwirklichung des Ideals kooperativer oder gar gemeinsamer Sicherheit entfernt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es dazu zukünftig nie mehr kommen kann.

Zu einem späteren Zeitpunkt, nach Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine, werden nachhaltige Optionen der Sicherheitsherstellung in Europa wieder diskutiert werden müssen. Dabei wird erneut die Frage aufgeworfen werden, ob eine regionale Sicherheitsordnung basierend auf Kooperation, Verhandlungsbereitschaft, Interessenausgleich und militärischer Zurückhaltung auch mit autokratischen Systemen nicht für alle Beteiligten dienlicher sein könnte als gigantische Investitionen in Rüstung und Abschreckung.

Spätestens für ein solches Szenario müsste man eine regionale Sicherheitsorganisation für Europa erfinden, die alle Parteien an einen Tisch bringt. Nur, es gibt sie schon in Wien: die OSZE.

Simon Weiß ist wissenschaft-licher Mitarbeiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien. Seine Themenschwerpunkte sind europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Rüstungskontrolle in Europa.

Simon Weiß.
Simon Weiß. Foto: privat. © privat.

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