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„Wir sind zuversichtlich, dass Russland eine freie Zukunft hat“

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Von: Uli Kreikebaum

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Alexej Nawalny wird im Juni 2022 in einem russischen Gerichtssaal per Videoverbindung aus dem Gefängnis zugeschaltet.
Alexej Nawalny wird im Juni 2022 in einem russischen Gerichtssaal per Videoverbindung aus dem Gefängnis zugeschaltet. © dpa

Georgy Alburov, Vertrauter von Alexej Nawalny, über Putins Einschränkungen der Presse, den Einfluss von Exil-Medien in Russland und Nawalnys Situation in der Isolationshaft

Georgy Alburov (33) leitete das Investigativbüro von Alexej Nawalnys inzwischen verbotener Anti-Korruptions-Stiftung FBK. Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine lebt er im Exil. Ein Gespräch über Pressefreiheit, Leben im Exil und Hoffnung auf Veränderung.

Herr Alburov, Sie haben die von Alexej Nawalny gegründete Anti-Korruptions-Stiftung geleitet, die vor zwei Jahren verboten wurde. Am Internationalen Tag der Pressefreiheit nehmen Sie in Köln den Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte stellvertretend für Ihren inhaftierten Freund Nawalny entgegen. Wie können investigative Journalistinnen und Journalisten in Russland noch arbeiten?

Mit dem Beginn des Krieges wurde die Arbeit für investigative Journalisten in Russland enorm schwierig. Wladimir Putin hat nicht nur eine Vielzahl von Gesetzen zur Militärzensur erlassen, sondern auch eine große Menge an zuvor zugänglichen Daten gesperrt. Vorher ließ sich leicht recherchieren, wem ein Unternehmen oder ein Grundstück gehört und wo hochrangige Beamte wohnen. Das ist jetzt unmöglich. Unter dem Vorwand des Schutzes von Strafverfolgungsbeamten und Militärangehörigen wurden solche Informationen aus den staatlichen Registern entfernt. Geld hinterlässt immer Spuren. Diese Spuren verfolgen wir – und veröffentlichen, was wir wissen.

Wie funktioniert die Arbeit aus dem Exil?

Eigentlich hat sich unsere Arbeit nicht dramatisch verändert, seitdem wir Russland verlassen haben. Investigativer Journalismus erfordert keine ständige Präsenz an einem Ort. Wir brauchen das Internet und Quellen – Menschen, mit denen wir über das Internet sprechen.

Welche Möglichkeiten haben der ehemals einflussreiche kremlkritische Fernsehsender „Doschd“ oder die Zeitung „Nowaja Gaseta“, aus dem Ausland?

Diese Medien machen Wladimir Putin aus gutem Grund Angst – Millionen von Menschen in Russland sehen und lesen sie. Umso mehr, weil Putin zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine viele Zensurgesetze erlassen hat. Medien in Russland dürfen den Krieg nicht als Krieg bezeichnen und nicht über Verluste berichten. Wie viele Soldaten gestorben sind interessiert die Menschen aber natürlich sehr.

Eine große Mehrheit der Russen soll hinter Putin stehen. Wie groß ist die Reichweite der unabhängigen Medien aus dem Exil?

„Doschd TV“ und die „Nowaja Gaseta“ erreichen jeden Monat einige Millionen Menschen. Generell ist die Nachfrage nach unabhängigem Journalismus in Russland heute größer denn je. Die Menschen sind der Zensur in den staatlichen Medien überdrüssig, sie sind der Lügen überdrüssig, sie wollen denjenigen Journalisten zuhören und sie unterstützen, die sie nicht betrügen.

Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass Ihr Freund Alexej Nawalny und viele andere politisch Verfolgte eines Tages wieder freigelassen werden könnten – und dass sich Russland zu einem demokratischen Land mit einer freien Presse entwickeln wird?

Wir alle – Alexej Nawalny, meine Kollegen und ich – sind absolut zuversichtlich, dass Russland eine glückliche, freie und demokratische Zukunft vor sich hat. Wenn wir nicht daran glauben würden, würden wir nicht tun, was wir tun. Wladimir Putin ist kein unendlicher Fluch, der auf uns allen lastet, sondern nur ein paar schwarze Seiten in der russischen Geschichte. Und wir arbeiten daran, diese Seiten umzudrehen.

Liest man die Twitter-Nachrichten von Alexej Nawalny, hat man den Eindruck, dass er willkürlich von einer Einzelhaft zur nächsten verurteilt wird, sich aber nicht unterkriegen lässt. Wie geht es ihm derzeit?

Gegen Alexej Nawalny werden fast täglich neue Strafverfahren erfunden. Die russischen Behörden haben unsere gemeinnützige Organisation, die Anti-Korruptions-Stiftung, zu einer extremistischen Organisation erklärt. Ihm drohen bis zu 35 Jahre Gefängnis. Darüber hinaus verschlechtern sich die Bedingungen für ihn ständig. Er darf weder telefonieren noch Verwandte treffen, er erhält keine Pakete mit Essen oder Medikamenten von Angehörigen und wird nicht medizinisch versorgt. Zurzeit darf Alexej den mikroskopisch kleinen Raum der Isolationszelle nicht verlassen, in dem es weder Sonnenlicht noch warmes Wasser gibt. Alle Rechte, die verletzt werden können, werden Alexej gegenüber verletzt. Das nennt man, ganz einfach: Folter. So versucht Wladimir Putin, Nawalnys Willen zu brechen. Aber wie wir sehen, gelingt es ihm nicht.

Haben Sie Hinweise darauf, dass er langsam vergiftet wird, wie zu lesen war?

Die Gesundheit von Alexej liegt ganz in den Händen der Straflagerverwaltung und der russischen Regierung. Wir haben keinen Grund zu glauben, dass die russische Regierung, die bereits mehrmals versucht hat, Nawalny zu töten, dies nicht erneut versuchen wird. Natürlich sind wir sehr besorgt.

Zur Person und Sache

Georgy Alburov (33), russischer Blogger, Aktivist und Investigativjournalist, leitete bis vor zwei Jahren gemeinsam mit Maria Pevchikh das Investigativbüro der 2011 von Alexej Nawalny gegründeten Anti-Korruptions-Stiftung (FBK).Die Stiftung wurde im Juni 2021 von einem russischen Gericht als extremistisch eingestuft und verboten. Alburov floh nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ins Exil. Er lebt an wechselnden Orten.

Am Mittwoch, 3. Mai, Internationaler Tag der Pressefreiheit, nimmt Alburov bei einem Festakt des Deutschlandfunks in Köln für den inhaftierten Alexej Nawalny den Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte entgegen. Der mit 5000 Euro dotierte Preis wird seit 2015 von der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) verliehen. „Ich finde: Für seinen selbstlosen Einsatz und Opfergang gebührt Alexej Nawalny der Friedensnobelpreis“, sagte der 80-jährige Enthüllungsjournalist Wallraff. uk/Foto: Anti Corruption Foundazion

Im Januar 2021, nach Nawalnys Verhaftung, gingen die Menschen in Russland zu Tausenden auf die Straße, um zu protestieren. Inzwischen sind die meisten Regimegegner:innen außer Landes, und von Protesten ist nicht mehr viel zu hören. Was müsste geschehen, damit sich im Land eine ernsthafte Opposition gegen Putins Regime bildet?

Massenproteste gibt es nicht, weil jeder, der etwas gegen den Krieg oder gegen Putin sagt, riskiert, sofort inhaftiert zu werden. Ein Beispiel: Ein Mann gab auf der Straße ein Video-Interview. Er wurde zum Krieg befragt und sagte, dass er Putins Kriegsverbrechen verurteile. Sie haben ihn wegen seiner Aussagen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilen. Sobald Putin den Krieg begonnen hatte, führte er zahlreiche Gesetze ein, die es ermöglichen, Menschen für alles ins Gefängnis zu schicken. Die Leute bekommen sieben, acht, zehn Jahre für ein paar Worte. Jeder Versuch, zu protestieren, führt zu 100 Prozent zu einer hohen Geldstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe. Was jetzt mit den Kriegsgegnern in Russland geschieht, kann nur als Terrorismus bezeichnet werden. Die Menschen werden vom Regime Wladimir Putins buchstäblich als Geiseln gehalten. Diejenigen, die es sich leisten konnten, haben das Land verlassen – seit Beginn des Krieges fast eine Million Menschen. Aber die meisten der zig Millionen Kriegsgegner sind in Russland geblieben.

Was hat sich in Ihrem Leben verändert, seit Sie im Exil sind?

In Russland haben wir gelebt wie Untergrundrevolutionäre. Wir waren ständig von Durchsuchungen, Verhaftungen und Versuchen, unsere Arbeit zu stören, bedroht. Jetzt komme ich morgens ins Büro, esse zu Mittag, arbeite und gehe abends nach Hause.

Die russischen Geheimdienste haben immer wieder Anschläge auf Regimegegner im Ausland durchgeführt, auch auf Nawalny. Haben Sie Sorge um Ihre Sicherheit?

Ich mache mir keine Illusionen. Wladimir Putin hat viel Erfahrung mit der Organisation von Anschlägen auf Menschen im Ausland. Menschen wurden erschossen, vergiftet, entführt, es ist alles Mögliche passiert. Die scheinbare Sicherheit und Normalität des Lebens im Exil ist nur eine Illusion.

Wie können Sie sich – auch wenn Sie zu öffentlichen Veranstaltungen wie der Verleihung des Günter-Wallraff-Preises in Köln gehen – schützen?

Darüber kann ich nicht offen sprechen. Denn es gibt Leute, die unsere Aktivitäten genau überwachen und Dossiers zusammenstellen. Sie lesen alles, auch dieses Gespräch.

Kann man davon ausgehen, dass E-Mails und Telefongespräche mit Ihnen abgehört werden und selbst eine Veranstaltung wie eine Preisverleihung vom russischen Geheimdienst registriert wird?

Nicht auszuschließen. Eine große Anzahl von Leuten in russischen Spezialdiensten hat mit uns zu tun. Gerade jetzt, wo die Anti-Korruptionsstiftung Anti-Kriegs-Aufrufe an Millionen von Menschen sendet und sich für Sanktionen gegen Putins korrupte Beamte und Militärverbrecher einsetzt, sind wir ein wichtiges Ziel für sie.

Alexej Nawalny ließ sich nach dem Giftanschlag mit einem chemischen Kampfstoff auf ihn in Berlin behandeln, reiste dann aber zurück nach Moskau. Er musste damit rechnen, dort verhaftet zu werden. Womöglich wollte er Putin die Stirn bieten, um nach einem Regimewechsel den Aufstieg an die Spitze der russischen Politik zu schaffen…

Putin wollte, dass Alexej im Ausland bleibt. Über das Fernsehen wurde ihm signalisiert, dass er nicht zurückkehren solle, wenige Tage vor seiner Rückkehr wurden neue Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, die gesamte Macht der Propaganda wurde aktiviert. Alexej hat immer wieder erklärt, dass er sich nicht als Führer der russischen Opposition im Ausland sieht. Das ist seine Haltung, die wir natürlich respektieren.

Welche Rolle spielt der Fortgang des Krieges gegen die Ukraine für die Zukunft Russlands?

Der Krieg hat dramatische Auswirkungen auf die Zukunft unseres Landes. Die Militärpropaganda hat der russischen Gesellschaft immensen Schaden zugefügt und sie viele Jahre lang getäuscht. Viele Familien sind zerstört worden, nur weil ein Teil von ihnen gegen den Krieg ist. Allein der Wiederaufbau von Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern wird Jahrzehnte dauern, wenn es überhaupt jemals dazu kommt. Und dann sind da noch die Sanktionen, die Reparationen und der Wiederaufbau der zerstörten russischen Wirtschaft. Als Putin den Krieg begann, beging er ein Verbrechen nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen die Zukunft Russlands.

Georgy Alburov.
Georgy Alburov. © Andere

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