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„Wir hoffen auf Deutschland“

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Von: Ursula Rüssmann

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Rekrutinnen und Rekruten der „People’s Defence Forces“ bei einer Geländeübung mit Holzgewehren. imago images
Rekrutinnen und Rekruten der „People’s Defence Forces“ bei einer Geländeübung mit Holzgewehren. imago images © Zuma Wire/Imago

Menschenrechtler Nickey Diamond spricht im Interview über die Strafanzeige gegen Myanmars Junta, das Vorbild Ukraine und fehlende Hilfe des Westens.

Herr Diamond, Sie haben zusammen mit 15 weiteren Betroffenen Ende Januar beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Vertreter der Militärjunta in Myanmar gestellt, wegen schwerer Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Schritt?

Unsere Initiative zusammen mit der Menschenrechtsorganisation „Fortify Rights“ zielt jetzt darauf, dass der Generalbundesanwalt möglichst bald Ermittlungen startet. Wir haben in unserer Anzeige viele Beweise geliefert und Augenzeugen benannt. Ich stehe ständig in Verbindung mit anderen Menschen in Myanmar und anderen Staaten, die Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ethnischen Säuberungen und Völkermord geworden sind. Sie sind alle bereit, auszusagen. Die Frage ist aber, wie viel Druck braucht es, damit die deutschen Behörden tatsächlich die Untersuchung eröffnen? Ich lebe in Konstanz und versuche von hier aus sehr viel Öffentlichkeitsarbeit zu machen, hier in Deutschland und international.

Warum wenden Sie sich ausgerechnet an die deutsche Justiz?

Die Justiz in Myanmar steht völlig unter der Kontrolle der Militärs, sie wird nicht gegen die Verantwortlichen für die Verbrechen vorgehen. Wir setzen deshalb auf das deutsche Recht. Deutschland hat das Völkerstrafgesetzbuch, und wir hoffen auf einen ähnlichen Erfolg wie es ihn Anfang 2022 schon gab im Fall Syriens. Da wurde ein syrischer Geheimdienstoffizier verurteilt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mord, weil er Folterbefehle gegeben hat. Wir haben also gesehen, dass Deutschland große Anstrengungen unternimmt. Das macht uns Hoffnung.

Hat der Generalbundesanwalt bereits auf Ihre Anzeige reagiert?

Bisher nicht. Wir stehen bereit für jedwede Anfrage, wir stellen uns auch gern dem Gespräch mit Parlamentariern.

Gibt es in weiteren Staaten Initiativen, Myanmars Verantwortliche für Menschenrechtsverbrechen vor Gericht zu bringen?

In Argentinien hat ein Gericht Ende 2021 ein Verfahren wegen Völkermordes an den Rohingya eröffnet. Das läuft derzeit noch. Es betrifft aber die Zeit vor dem Militärputsch in Myanmar, es geht also um Fälle etwa um 2015 herum. Unsere Klage umfasst Verbrechen vor und nach dem Putsch 2021.

Zur Person

Nickey Diamond, 40, kam im Juni 2021 als erster Stipendiat des damals neuen Hilde-Domin-Programms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für bedrohte Nachwuchsakademiker:innen nach Deutschland. Er promoviert derzeit in der Arbeitsgruppe „Ethnologie mit Schwerpunkt Politische Anthropologie“ an der Universität Konstanz zum Thema „Antimuslimische Hassreden in Myanmar“. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder.

Vor dem Militärputsch im Februar 2021 war Diamond bereits seit Jahren in der Menschenrechtsarbeit in

Myanmar aktiv und landesweit bekannt. 2007 gründete er die Gruppe „Youth for Social Change Myanmar“ (YSCM), die bis heute benachteiligte und diskriminierte junge Menschen unterstützt. Früh arbeitete er außerdem mit der internationalen Menschenrechtsorganisation „Fortify Rights“ zusammen und dokumentierte für sie staatliche und militärische Übergriffe gegen ethnische Minderheiten in Myanmar. Nach dem Putsch 2021 musste er fliehen und kam mit Hilfe der Uni Konstanz nach Deutschland. rü

Die Lage in Myanmar ist bei uns derzeit kaum öffentlich präsent. Welche aktuellen Informationen haben Sie über die Situation?

Ja, leider berichten die Medien hier kaum noch. Aber die Grausamkeiten halten an, ich bekomme täglich Informationen aus Myanmar. Dörfer werden vom Militär bombardiert und abgebrannt, Zivilisten gefoltert. 2021 nach dem Putsch haben sich die Peoples Defence Forces (PDF) gebildet, die bewaffnet gegen das Militär kämpfen. Wir befinden uns in der Situation eines Volksaufstands, an vielen Orten des Landes. Das Militär hat 17 Jahre lang seine Machtstrukturen auf- und ausgebaut. Es beutet unsere natürlichen Ressourcen aus, das tolerieren die Menschen nicht mehr. Deshalb haben sich einige bewaffnet, andere leisten weiter zivilen Widerstand. Wir bekommen jeden Tag Meldungen über Gewalttaten der Armee gegen die Widerstandsgruppen und über deren Widerstandsaktionen. Inzwischen hat die Junta in schätzungsweise 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets die Kontrolle verloren. 44 Orte und Städte im Land werden von den PDFs kontrolliert und der NUG (National Unity Government, oppositionelle Schattenregierung, d. Red.), beide arbeiten zusammen.

Um welche Landesteile handelt es sich da?

Das sind unter anderem Gebiete im Nordwesten, der Sagaing-Region, und in Chin im Westen, darüber hinaus weitere. Dort haben die Selbstverteidigungskräfte ihre eigene Verwaltung aufgebaut, das Militär hat dort keine Basis mehr. Wir befinden uns in einem regelrechten Bürgerkrieg. Die Menschen in den Dörfern kämpfen mit ihren eigenen, teils selbst produzierten Waffen gegen die Armee und um ihre Freiheit.

Sind auch noch Proteste möglich in den Regionen, die unter Kontrolle der Junta sind?

Es gibt zum Beispiel Flashmobs, spontane Kundgebungen, die kurzfristig zusammenkommen und sich schnell zerstreuen können, wenn die Juntakräfte eingreifen. Wir haben auch landesweite Generalstreikaktionen mit hoher Beteiligung der Bevölkerung, bei denen die Menschen nicht zur Arbeit gehen.

Inwieweit, denken Sie, leidet die internationale Aufmerksamkeit für die Lage in Myanmar unter dem Krieg in der Ukraine?

Immer wenn ich mich mit meinen Kontakten in Myanmar austausche, höre ich, dass der Kampf der Menschen in der Ukraine gegen die Supermacht Russland sie außerordentlich inspiriert. Zugleich fühlen sie sich sehr klein, denn unsere Freiheitskämpfer haben keine Unterstützung von den freien Staaten des Westens, während die Ukraine ja massive militärische Hilfe bekommt. Die Menschen in Myanmar sind genauso entschlossen und riskieren im Kampf gegen die Armee und ihre Luftwaffe täglich ihr Leben, aber sie bekommen eben nichts. Das ist beschämend. Wir können ein großer Verbündeter für die westlichen Staaten sein, denn Myanmar liegt zwischen Indien und China. Es würde sich auszahlen, wenn sie uns unterstützen würden.

Nickey Diamond
Menschenrechtler Nickey Diamond. © Privat

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