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Wie sich die Inuit in Kanada an die Klimakrise anpassen

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Von: Gerd Braune

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Selbst erfahrene Jägerinnen und Jäger erkennen Schwachstellen manchmal zu spät - und können einbrechen.
Selbst erfahrene Jägerinnen und Jäger erkennen Schwachstellen manchmal zu spät - und können einbrechen. © Michael Schmidt

In der Arktis wird das Meereis durch die Erderhitzung immer dünner. Ein Messgerät hilft den Indigenen, vorherzusehen wo das Eis bricht.

Die Folgen der Klimaveränderungen erleben die Inuit, das indigene Volk der Arktis, besonders deutlich. Die Meer-eisfläche im Sommer nimmt drastisch ab, das Eis wird dünner, der Permafrostboden taut auf, Küsten erodieren. Die Inuit müssen sich an die Veränderungen anpassen – durch Anwendung ihrer traditionellen Kenntnisse und Einsatz moderner Technologie. Adaptation, die Anpassung an den Klimawandel, ist die große Herausforderung für die Arktisgemeinden.

Fünf Tage war Tyrone Raddi unterwegs. Von Tuktoyaktuk, der knapp 1000 Einwohner:innen zählenden Gemeinde an der kanadischen Arktisküste, fuhr der 48 Jahre alte Inuk an der Küste entlang, über das Eis der Liverpool Bay und der Husky Lakes. Mit dabei waren zwei „Elder“, wie die erfahrenen älteren Mitglieder indigener Gemeinden genannt werden, und zwei junge Jäger. Eines der Schneemobile zog einen Schlitten, einen Qamutik. „SmartICE“ steht auf der Seitenwand des Schlittens. Er transportiert eine kostbare Fracht: einen länglichen Sensor, der während der Fahrt die Dicke des Eises messen kann, über das er gezogen wird. Der „SmartQAMUTIK“, wie er genannt wird, soll den Inuit helfen, mit den Umweltveränderungen besser zurechtzukommen.

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„Es ist sehr wichtig für unsere Jäger und Trapper zu wissen, wo das Eis dünner und brüchig ist“, erzählt Tyrone Raddi. 530 Kilometer legte die Gruppe in fünf Tagen zurück. „Wir sind die traditionellen Wege gefahren.

Wir haben gesehen, wo die Küste erodiert. Unsere Gemeindeältesten haben uns gesagt, wie sehr sich die Landschaft verändert.“ Seit Jahrhunderten ziehen die Inuit über das Eis zu Gebieten, in denen sie jagen können, oder sie jagen vom Eis aus. Sie fahren über das Eis der Küste entlang, um Treibholz zu sammeln, das als Brennmaterial verwendet wird. Aber nun können sie sich nicht mehr allein auf ihre traditionellen Kenntnisse verlassen, um die Sicherheit des Eises abzuschätzen.

Die Eisfläche wirkt solide, aber plötzlich bricht sie an einer Schwachstelle ein. „Dazu kann auch eine starke Strömung beitragen, die das Eis von unten erodiert“, sagt Christian Haas, Professor am Alfred-Wegener-Institut-Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Selbst erfahrene Jäger erkennen dies manchmal zu spät. Sie brechen mit ihren Schneemobilen ein. Wenn sie Glück haben, können sie sich retten und werden nicht von der Strömung unter das Eis gerissen.

Klimakrise in Kanada: Messgerät erspürt Tiefe des Übergangs zwischen Eis und Meerwasser

„SmartICE“ ist eine mittlerweile mit mehreren Preisen ausgezeichnete Technologie, die mit stationären Bojen oder mobilen Schlitten eingesetzt wird. Eine treibende Kraft hinter dem Projekt war Trevor Bell, Geografie-Professor an der Memorial-Universität in St. John’s in Neufundland. Mit einem Team von Meereisfachleuten – darunter Christian Haas, der mehrere Jahre an der York-Universität in Toronto lehrte und forschte – entwickelte er SmartICE. Es soll nach den Worten von Bell „die traditionellen Kenntnisse der Inuit mit fortentwickeltem Datenzugang und Fernüberwachung“ verbinden.

SmartICE ist die Abkürzung für „Sea-Ice Monitoring and Real-Time Information for Coastal Environments“. Das System beruht auf Sensoren, die Eisdaten übermitteln. SmartICE setzt ein elektromagnetisches Induktionsverfahren ein, um die Eisdicke zu ermitteln. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen elektrischen Leitfähigkeit von Meerwasser, das viel Salz enthält, und Meereis, das kaum Salz enthält, möglich.

Dadurch kann die Tiefe des Übergangs zwischen Eis und Meerwasser genau erspürt werden. Während der Fahrt mit dem Schneemobil werden Daten gespeichert und verarbeitet. Die Ergebnisse werden in Echtzeit auf einem Display auf dem Schneemobil angezeigt. Es alarmiert den Fahrer auch, wenn das Eis zu dünn wird. Zudem werden etwa drei Meter lange Bojen eingesetzt. Durch das Eis werden Löcher gebohrt, bis Wasser erreicht wird. Die batteriebetriebenen Sensoren, die in weißen Plastikröhren montiert sind, werden in das Eis eingelassen. Temperaturfühler messen den Temperaturunterschied zwischen Ozean und Atmosphäre. Aufgrund der Daten können Eis- und Schneedicke errechnet werden. Diese werden über einen Satelliten an ein Datenportal gesendet und mit weiteren Satellitendaten und Satellitenaufnahmen zusammengeführt.

Klimakrise in Kanada: App zeigt Dicke des Meereises an

Über eine App können die Daten dann in den Arktisgemeinden abgerufen werden. Aus den Informationen werden dann Landkarten erstellt, die online als Orientierungshilfen für Eisreisende veröffentlicht werden und auf Smartphones und Tablets abgerufen werden können. Wie bei Verkehrsampeln sind Eisflächen je nach Eisdicke markiert. Grün bedeutet „go“, orange „go slow“ und rot „no go“.

„Die Daten sind langfristig wertvoll, um Eisdickenänderungen aufgrund des Klimawandels zu beobachten. Mit Hilfe der Inuit erhalten wir viel mehr Daten, als wir selber sammeln könnten. Das Prinzip wird auch mit Schiffen und Flugzeugen angewendet, um Ozean und Atmosphärendaten zu bekommen“, erläutert Christian Haas vom Alfred-Wegener-Institut.

Im Jahr 2016 wurde das Projekt mit dem Arctic Inspiration Prize ausgezeichnet, einem Preis, der für Initiativen vergeben wird, die das Leben in der Arktis verbessern. Vor etwa acht Jahren begann „SmartICE“ mit zwei Pilotprojekten in Nain an der Küste Labradors und in Pond Inlet auf der Baffin-Insel. Mittlerweile wird das System in etwa 30 Gemeinden in der kanadischen Arktis eingesetzt.

Und es findet international Beachtung: Als der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Ende April Kanada besuchte und in Begleitung der kanadischen Generalgouverneurin Mary Simon, einer Politikerin aus dem Volk der Inuit, in die Arktis reiste, wurde ihm in Tuktoyaktuk „SmartICE“ vorgestellt.

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