Ukraine-Krieg: Wie könnte ein Weg zum Frieden aussehen?

Im Ukraine-Krieg stellt sich weiter die Frage nach diplomatischen Lösungen. Die Bundesregierung muss dabei Russland gegenüber stärker auftreten.
Frankfurt – Wenn ein Krieg begonnen hat, wird alsbald die Frage akut, wie er beendet werden kann. So muss sich auch die Bundesregierung darüber klar werden, was sie dazu beitragen kann oder will. Da sie weder als Kriegspartei auftreten kann und will noch als Moderatorin oder Mediatorin, legt sich nahe, von ihrer Rolle als Partnerin internationaler Abkommen her zu denken.
Dabei ist an zahlreiche Übereinkommen zu denken, von der Schlussakte von Helsinki (1975) über die Charta von Paris (1990) bis zur 1997 verabschiedeten Nato-Russland-Grundakte. Darin heißt es eingangs: „Die Nato und Russland betrachten einander nicht als Gegner.“
Diese Vereinbarungen können als regionale Konkretisierungen des ersten der in Artikel 1 der UN-Charta formulierten Ziele verstanden werden, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“. Die politischen Stellungnahmen und Verlautbarungen der Bundesregierung müssten laut(er) und deutlich(er) von Russland die damit eingegangenen Verpflichtungen zur friedlichen Streitbeilegung einfordern.
UN-Blockaden verhindern Verhandlungen im Ukraine-Krieg
Das Völkerrecht und damit die Prinzipien territorialer Souveränität und Unverletzlichkeit der Grenzen stehen insoweit nicht zur Verhandlung, weshalb sich zunächst einmal „Kompromiss-Vorschläge“ verbieten. Es müsste vielmehr darum gehen, Blockaden im System der UN-Charta, die ein effektives Friedenshandeln verhindern, aufzulösen.
Ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, wie ihn der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine darstellt, wäre sicher ein geeigneter Anlass zu neuen Vorstößen. Es kann ja nicht sein und so bleiben, dass Russland als ein Verletzer des Völkerrechts dank seines Vetorechts als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat effektive Maßnahmen zur Kriegsbeendigung und damit zur Wiederherstellung des Völkerrechts blockieren kann.
ZUR SERIE
Die Menschen in der Ukraine brauchen Frieden, aber es herrscht Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen?
In der Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten nach Antworten auf viele drängende Fragen. Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der FR entsprechen. Alle Artikel finden sich auch auf unserer Homepage unter www.fr.de/friedensfragen.
Lösungen im Ukraine-Konflikt: Welches Gesprächsformat mit Russland kann funktionieren?
Damit ist ein zweiter Punkt schon angeschnitten: Was wäre ein geeignetes Gesprächsforum beziehungsweise Gesprächsformat? Russland selbst hat ja in seinen Briefen an die USA und die Nato im Dezember 2021 die europäisch-internationale Dimension seiner Anliegen deutlich gemacht. Nach Lage der Dinge müsste das ein internationales, multilaterales Format sein.
Auszuloten wäre die Ebene der UN – unter dem Gesichtspunkt der Wiederherstellung der Friedensordnung der UN-Charta. Auszuloten wäre die Ebene der OSZE – unter dem Gesichtspunkt der friedlichen Regelung europäischer Streitigkeiten. Auszuloten wäre die Ebene des Nato-Russland-Rates – unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarung von Dialog zur Klärung von Konflikten. Eventuell ergibt sich eine die verschiedenen Aspekte verbindende Kombination.
Ukraine-Krieg: Die Bundesregierung muss mehr von Russland verlangen
Unmittelbar praktisch müsste die Bundesregierung versuchen, die internationale Gemeinschaft dafür zu gewinnen, von Russland zu verlangen, dass es ohne Vorbedingungen den Status quo ante wiederherstellt und seine Truppen auf sein Staatsgebiet zurückzieht, da nur so der Völkerrechtsbruch geheilt werden kann. Insbesondere wäre zu verlangen, dass sich russische Truppen, Söldner und Milizen umgehend aus der Krim sowie der Ost-Ukraine zurückziehen.
Der Autor
Alexander von Oettingen, promovierter Theologe und ausgebildeter Jurist, bis 2013 Pfarrer in Bad Homburg, war Friedensbeauftragter des Evangelischen Dekanates Darmstadt, Mitglied der Initiative „Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion“ der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie Auslandspfarrer in Teheran.
Sollte sich etwa nach Abzug der russischen Truppen zeigen, dass in diesen Gebieten bedeutende Teile der Bevölkerung sich nachhaltig und dauerhaft für einen Anschluss an Russland aussprechen, so wäre das Völkerrecht, wie das historische Beispiel des Saarlandstatuts beziehungsweise des Volksentscheids 1954 zeigt, flexibel genug, um im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Völker Verfahren zur Regelung damit verbundener Fragen zu entwickeln. Weiterhin müsste sich Russland an einem internationalen Wiederaufbauprogramm zur Beseitigung der Kriegsschäden beteiligen.
Ferner zeichnet sich ab, dass miteinander über das Thema Nato-Mitgliedschaft der Ukraine gesprochen werden kann. Käme es dazu, böte sich die große Chance, die Prinzipien der Selbstbestimmung in Bündnisfragen einerseits und der Beachtung gemeinsamer Sicherheit andererseits in praktikablen Einklang zu bringen und damit zu zeigen, dass Sensibilität für spezielle Empfindungslagen eines Partners zu einer Stärkung der Vertrauensbasis und Erweiterung der Vereinbarungsoptionen führen können.
Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg: „Gemeinsame Sicherheit“ als weltweites Beispiel
Die OSZE-Erklärung vom November 1999 hatte bereits einem Denken in Interessen- und Einflusssphären eine Absage erteilt, wie es nach wie vor in Russland zu beobachten ist, aber auch in den USA mit Blick auf die Karibik oder China mit Blick auf das südchinesische Meer. Wenn es nunmehr gelänge, in diesem Sinne eine belastbare Struktur von „gemeinsamer Sicherheit“ zu schaffen, könnte das ein ermutigendes Beispiel für die Weltgemeinschaft sein, den Risiken von Großmachtpolitik durch Aufbau partnerschaftlichen Miteinanders entgegenzuwirken.
Alexander von Oettingen, promovierter Theologe und ausgebildeter Jurist, bis 2013 Pfarrer in Bad Homburg, war Friedensbeauftragter des Evangelischen Dekanates Darmstadt, Mitglied der Initiative „Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion“ der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie Auslandspfarrer in Teheran.
Zuletzt haben die Ukraine und Russland im März miteinander über die Möglichkeit von Frieden gesprochen. Welche Hoffnung auf direkte Verhandlungen im Ukraine-Krieg gibt es noch?