Wenn Weizen zur strategischen Waffe wird
Afrikanische Union fordert Kiew auf, Häfen zu entminen - Brüssel: Tappen in Putins Falle.
Die Afrikanische Union (AU) schaltet sich zunehmend in den diplomatischen Konflikt um den russischen Überfall auf die Ukraine ein – zum Leidwesen Kiews, das sich von dem afrikanischen Staatenbund nicht ernst genommen fühlt. AU-Präsident Macky Sall forderte jüngst die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen das Putin-Regime und rief die Regierung in Kiew zur Räumung der Minen auf, die von der Ukraine zum Schutz vor einem russischen Angriff im Schwarzen Meer verlegt worden waren.
Sanktionen und Minen verhinderten den Export von Millionen Tonnen Getreide aus Russland und der Ukraine, sagte Sall: Sie würden aber zur Verhinderung von Hungersnöten und astronomisch steigender Getreidepreise in Afrika dringend gebraucht.
Russland und die Ukraine sorgten bislang für fast die Hälfte des afrikanischen Bedarfs an Weizenimporten, jährlich rund 50 Millionen Tonnen. Wegen des Engpasses sind die Weizenpreise nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank bereits um durchschnittlich 60 Prozent gestiegen: Vor allem in Nordafrika werden deswegen soziale Unruhen befürchtet. Aus diesem Grund war AU-Präsident Sall Anfang des Monats nach Sotschi am Schwarzen Meer gereist, um sich dort mit Wladimir Putin zu treffen – eine Zusammenkunft mit der ukrainischen Regierung war nicht geplant.
Putin versicherte seinem Amtskollegen nach Presseberichten, dass Russland „immer auf der Seite Afrikas“ stehe. Und dass der Weizenexportstopp eine Folge der Sanktionen und der Verminung der Schwarzmeerküste sei. Putin habe ihm „versichert“, dass Russland die Entminung des Gewässers nicht zu einem weiteren Angriff auf die Ukraine nutze, sagte Sall. Nun sollten sich die Vereinten Nationen um die Entminung kümmern.
Getreide als Kriegsbeute
Westliche Regierungen machen für den Weizennotstand den russischen Boykott der ukrainischen Schwarzmeerhäfen verantwortlich. In den dortigen Lagern sollen 20 Millionen Tonnen Weizen auf ihre Verschiffung warten. Da Weizenexporte von den Sanktionen ausgenommen seien, seien sie für den Getreidenotstand nicht verantwortlich zu machen, heißt es in Brüssel. Dort wird befürchtet, dass Putin den Weizen-Engpass ausnützt, um Front gegen die Sanktionen zu machen: Afrika drohe in eine „Falle“ zu treten, warnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Unterdessen wirft Washington Russland vor, Millionen Tonnen Getreide aus den eroberten ukrainischen Städten gestohlen zu haben. Mit der Beute beladene Schiffe sollen sich auf dem Weg zu afrikanischen und arabischen Märkten befinden. „Afrikaner werden sich um die Herkunft des Weizen keine Gedanken machen“, sagt der Direktor des Instituts für Strategische Studien in Nairobi, Hassan Khannenje.
Derweil wartet Ukraines Präsident noch immer auf einen Termin, um mit dem afrikanischen Staatenbund zu sprechen: Zweimal wurde Wolodymyr Selenskyjs Wunsch nach einer Videokonferenz mit der AU-Kommission oder den Staatschefs der AU abgelehnt.