Weniger Biosprit – aber was dann?

Ohne aus Pflanzen gewonnenen Treibstoff steigen im Verkehrssektor die CO2-Emissionen.
Ein gutes Timing ist Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) nicht abzusprechen. Auf der Landwirtschaftsmesse „Grüne Woche“ in Berlin findet stets ein Fachkongress für erneuerbare Mobilität namens „Kraftstoffe der Zukunft“ statt.
Vor Kongress-Start kündigte Lemke für einen dieser Kraftstoffe das Aus an. In Zeiten multipler Krisen gelte ganz besonders, dass Pflanzen auf den Teller und nicht in den Tank gehörten, erklärte die Umweltministerin. Deswegen sei Agrosprit aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen „keine zukunftsfähige Option“. Im Jahr 2030 soll dessen Förderung enden. Einen entsprechenden Regelungsvorschlag schickte Lemke in die Ressortabstimmung.
Wichtigster Punkt: Die Obergrenze für Agrokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermitteln innerhalb der sogenannten Treibhausgasquote (THG-Quote) von derzeit 4,4 Prozent wird 2024 auf 2,3 Prozent und dann schrittweise bis 2030 auf null gesenkt.
Die THG-Quote gibt den Anbieter:innen von Kraftstoffen (Benzin, Diesel, ab 2026 auch Kerosin) einen Anteil (Quote) vor, um den sie den CO2-Ausstoß ihrer Kraftstoffe senken müssen, indem sie vor allem anstelle fossiler erneuerbare Energien als Antrieb einsetzen.
Bezugspunkt der Quote sind die CO2-Emissionen des Jahres 2015. Die THG-Quote gab für dieses Jahr ein CO2-Reduktionsziel von 3,5 Prozent vor, derzeit gilt für 2023 ein Minus von acht Prozent. Bis 2030 soll die Quote 25 Prozent betragen.
Die Halbierung der Quote bedeute, dass 2024 das entsprechende CO2-Einsparpotenzial von etwa sechs bis sieben Millionen Tonnen auf rund drei Millionen Tonnen sinke, erläutert Lemkes Sprecher. Nach Angaben der Biokraftstoffbranche drohen 2024 aber Mehremissionen von etwa 3,5 Millionen Tonnen CO2.
Der Verkehr überzog laut dem Thinktank Agora Energiewende allein 2022 sein Klimabudget um acht Prozent oder elf Millionen Tonnen CO2. Weitere Millionen-Tonnen-Defizite dürften Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ziemlich ungelegen sein.
Das Umweltministerium kommt Wissing hier entgegen, indem es auf dem Papier anders rechnet als die Biospritbranche. Man müsse, erklärt ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage, bei den Agrokraftstoffen auch „indirekte Emissionen“ berücksichtigen, die beim Anbau der Energiepflanzen entstünden. Der reale Einspareffekt durch Agrosprit liege dann eher bei rund 1,5 Millionen Tonnen CO2, betont der Sprecher. Indirekte Emissionen entstehen beim Agrosprit durch Landnutzungsänderungen, wenn zum Beispiel neue Agrarflächen erschlossen und dafür Wälder gerodet werden. Diese indirekten Effekte würden beim Berechnen der Treibhausgasemissionen der Agroenergie im Verkehr nicht berücksichtigt, räumt das Umweltbundesamt (UBA) ein.
Aber auch, wenn die Mehremissionen nur bei 1,5 Millionen Tonnen CO2 liegen, stellt sich die Frage, woher der Klima-Ausgleich kommen soll. Dazu schlägt das Umweltministerium unter anderem vor, die Förderung von Strom für E-Fahrzeuge zu verbessern. Anbieter fossiler Kraftstoffe können sich eine Kilowattstunde Ladestrom für E-Mobilität, die sie verkaufen, derzeit dreifach bei der Erfüllung ihrer THG-Quote anrechnen lassen. Die künftig vierfache Anrechnung soll die Anbieter, also die Mineralölkonzerne, stärker anreizen, Geld in den Bau von E-Ladesäulen zu stecken.
Tatsächlich stellt etwa der BP-Konzern Ladesäulen an seinen Tankstellen auf. In der Hauptsache „fördern“ die Ölkonzerne die E-Mobilität aber dadurch, dass sie Emissionszertifikate von E-Auto-Nutzern kaufen und sich dann mehrfach anrechnen lassen. Das ist für alle Seiten ein gutes Geschäft, trägt aber wenig zur CO2-Reduktion bei. Insgesamt sparte der Betrieb von E-Autos in Deutschland im Jahr 2021 nur 25 000 Tonnen CO2 ein.
Als weitere Vorkehrungen zur CO2-Kompensation will die Umweltministerin auch die Mehr- fachanrechnung für grünen Wasserstoff und andere E-Fuels anheben: von doppelt auf dreifach. Wasserstoff sparte im Verkehr nach den Angaben des Zolls 2021 real gerade mal rund 1150 Tonnen CO2 ein. Den Unwägbarkeiten muss auch das Umweltministerium Tribut zollen. Kritiker:innen des Lemke-Vorschlags meinen jedenfalls, nun werde die kritikwürdige Mineralölbranche statt der kritikwürdigen Biokraftstoffbranche gefördert.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) dagegen begrüßt Lemkes Vorschlag. Inmitten einer globalen Ernährungskrise verfeuere Deutschland weiter Getreide und Speiseöl in Verbrennungsmotoren, prangert DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner an. Der THG-Quote als klimapolitischem Instrument steht die Umwelthilfe generell skeptisch gegenüber. Unabdingbar bleibt für die DUH eine grundlegende Mobilitätswende, um den gesamten Energieverbrauch im Verkehr zu senken.