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Von: Daniel Baumann

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Facebook-Chef Mark Zuckerberg während einer Podiumsdiskussion in Peking.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg während einer Podiumsdiskussion in Peking. © dpa

Facebook-Chef Mark Zuckerberg präsentiert seine Vision für die Welt und definiert politische Ziele für das soziale Netzwerk.

Er war mal ein Nerd. Ein Nerd mit einer guten Idee. Einer brillanten Idee. Ob es auch seine eigene war, ist umstritten. Doch sie hat Mark Zuckerberg, den über die Maßen begabten Harvard-Abbrecher, reich und mächtig gemacht. Die Geschichte von Facebook beginnt mit einigen Tausend Zeilen Code, geschrieben in einer Studentenbude, gemacht für Studenten, und sie mündet in die größte Vernetzung, die die Welt je gesehen hat. 1,86 Milliarden Menschen sind in Facebook versammelt. Jeder vierte Erdenbürger. Mehr als in China leben, in Indien oder in sonst einem Land.

„Geschichte ist die Erzählung davon, wie wir gelernt haben, in immer größeren Zahlen zusammenzukommen“, schreibt Zuckerberg in einem Manifest, das er in der Nacht zu Freitag veröffentlicht hat. „Von Stämmen zu Städten zu Nationen.“ Zu Facebook, hätte er noch hinzufügen können. Stämme brauchen Stammesführer, Städte brauchen Stadtpräsidenten, Nationen brauchen Regierungschefs. Und Facebook? Facebook hat Mark Zuckerberg. Ein Multimilliardär, ein Alleinherrscher, der sich, obwohl sein Unternehmen seit 2012 an der Börse ist, den vollen Einfluss über Facebook langfristig gesichert hat.

Das soziale Netzwerk hat sich zu einer Geldmaschine entwickelt. 10,2 Milliarden Dollar Gewinn hat das Unternehmen im vergangenen Jahr gemacht. Doch Zuckerberg behauptete immer, dass es ihm um mehr als Geld gehe. „Facebook wurde nicht geschaffen, um ein Unternehmen zu sein. Es wurde geschaffen, um eine soziale Mission zu erfüllen, die Welt offener und verbundener zu machen“, schrieb Zuckerberg in seinen Gründerbrief zum Börsengang. Und: „Wir entwickeln keine Produkte, um Geld zu verdienen, wir verdienen Geld, um bessere Produkte zu entwickeln.“ Ob man das glauben sollte, oder ob es sich einfach nur um Marketing handelte, dessen konnte man sich nie sicher sein.

Doch nun hat Zuckerberg ein Manifest, eine gesellschaftliche und politische Vision vorgelegt, die über alles hinausgeht, was man von ihm bislang gehört hat. „Schaffen wir eigentlich die Welt, die wir alle wollen?“, mit dieser Frage beginnt der Brief an die 1,86 Milliarden Facebook-Nutzer. Es ist eine Frage, die üblicherweise Staatschefs aufwerfen. Oder der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Nun wendet sich Zuckerberg an die Welt. Nachdenklich und ganz offensichtlich durch die politischen Ereignisse der jüngeren Vergangenheit ins Grübeln geraten.

„Unsere größten Chancen sind nun global, zum Beispiel die Verbreitung von Wohlstand und Freiheit, die Förderung von Frieden und Verständigung, die Befreiung der Menschen aus der Armut, die Beschleunigung der Wissenschaft“, so der 32-Jährige. „Unsere größten Herausforderungen brauchen auch globale Antworten, zum Beispiel die Ausrottung des Terrorismus, die Bekämpfung des Klimawandels und die Verhinderung von Pandemien. Der Fortschritt verlangt danach, dass die Menschheit zusammenkommt, nicht nur in Städten und als Nationen, sondern als globale Gemeinschaft.“

Diktum und Diktion erinnern auf erstaunliche Weise an die Reden des früheren US-Präsidenten Barack Obama, dessen Zeit nach vier Wochen der Trump-Präsidentschaft gedanklich bereits in weite Ferne gerückt ist. Trumps Amerika scheint Zuckerberg denn auch große Sorgen zu machen, wenngleich er den Präsidenten in dem Brief nicht nennt. Er spricht von den Verlierern der Globalisierung, die es auf der ganzen Welt gebe, von der Spaltung der Gesellschaften, von der Abschottung. Und er kündigt an, dass er Facebook nutzen will, um diesen Tendenzen entgegenzuwirken.

Zuckerberg hat von sich selbst immer gerne als Hacker gesprochen. Hacker, in seinem ursprünglichen, positiven Sinne gemeint. Also als jemand, der mit Hilfe von Technologie die Welt verbessert. Der auf die Schnelle ein paar Zeilen Code zusammenhackt, um damit ein Problem zu lösen. Nun, da sich Facebook, ob gewollt oder nicht, zum Betriebssystem der modernen Welt entwickelt, sieht sich Zuckerberg nicht nur in der Lage, sondern offensichtlich auch verpflichtet, diese Welt mitzugestalten. „Hacker glauben, dass die Dinge immer besser werden können, und dass nichts jemals abgeschlossen ist“, erklärte er einmal.

Sein jetziges Schreiben ist nicht nur an die globale Gemeinschaft gerichtet, es gilt auch als neues „Mission Statement“ für Facebook. Zuckerberg teilt darin mit, dass er bereits entschieden habe, in manche Themen künftig mehr Geld zu investieren. Konkret will er mit Facebook erreichen, dass die demokratischen Institutionen gestärkt und Menschen besser vor Kriminalität und Naturgewalten geschützt werden. Er möchte dazu beitragen, dass Menschen besser informiert sind, sich zivilgesellschaftlich stärker engagieren und lokale, nationale und globale Werte gestärkt werden. Facebook werde dafür nicht alle Lösungen haben, meint er, aber Facebook könne bei diesen Themen eine Rolle spielen.

Sorgen macht er sich zum Beispiel um den Zustand von Sportvereinen, Kirchen oder Gewerkschaften. Sie alle würden dazu beitragen, dass die Menschen füreinander sorgen würden und dass sich Menschen geborgen fühlen könnten. Doch die Zahl der Mitglieder in den USA sei stark zurückgegangen. Facebook könne dafür sorgen, dass sich wieder mehr Menschen zusammenfinden würden. Er nennt das Beispiel einer Frau, die an einer seltenen Krankheit leidet, und die über Facebook eine Gruppe gründete, in der sich Betroffene nun gegenseitig mit Tipps und Hilfestellungen unterstützen. Weitere Beispiele seien Gruppen von Soldatenfamilien oder Menschen, die Flüchtlingen helfen. Über 100 Millionen Menschen seien weltweit bereits in solchen „sinnvollen“ Facebook-Gruppen organisiert. Künftig werde sein Unternehmen seinen Erfolg auch daran messen, inwieweit es gelinge, weitere solche „sinnvollen“ Gruppen zu schaffen, indem Menschen gezielt miteinander in Verbindung gebracht würden.

Im Bereich der Sicherheit spricht Zuckerberg davon, dass es eine globale „Sicherheitsinfrastruktur“ brauche, um Gefahren wie Terrorismus oder Pandemien zu begegnen. „Ein Virus in einer Nation kann sich schnell in andere ausbreiten“, so der Facebook-Chef. „Ein Konflikt in einem Land kann eine Flüchtlingskrise über Kontinente hinweg auslösen.“ Er habe sein Unternehmen deshalb angewiesen, mehr in diesem Bereich zu investieren. Bereits jetzt gibt es bei Facebook die Funktion „Safety Check“, die etwa im Fall von Terroranschlägen aktiviert wird, damit Angehörige und Freunde herausfinden können, ob es ihren Liebsten gut geht. Neue Funktionen ermöglichen, im Notfall Unterkünfte und Essen anzubieten und zu finden. Künstliche Intelligenz soll künftig dazu beitragen, auf der Basis der Kommunikation im Netzwerk gefährliche Entwicklungen schneller zu entdecken.

Kopfzerbrechen bereitet Zuckerberg auch, dass sich auf Facebook immer mehr gefälschte Nachrichten ausbreiten und die Art der Kommunikation die Polarisierung in der Gesellschaft fördert. Mit Hilfe von Technologie will er künftig terroristische Propaganda schneller aussortieren können. Außerdem will er dafür sorgen, dass „Fake News“ weniger Wirkung entfalten. In Deutschland ist dazu zum Beispiel bereits eine Kooperation mit Journalisten angelaufen, die Falschnachrichten mit soliden Daten einordnen sollen. Darüber hinaus macht sich Zuckerberg Gedanken darüber, wie es gelingen kann, unterschiedliche Sichtweisen so aufzubereiten, dass die Menschen miteinander wieder in Dialog kommen und andere Meinungen akzeptieren, statt sich in ihrer eigenen Gedankenwelt abzukapseln. Ein konkretes Beispiel: Facebook hat festgestellt, dass manche Nutzer Nachrichtenartikel mit reißerischen Schlagzeilen teilen, ohne sie gelesen zu haben, während Geschichten, die vollständig gelesen wurden, weniger häufig geteilt werden. Deshalb hat das Unternehmen damit begonnen, die Präsenz von „Sensationsjournalismus“ zu reduzieren.

Schließlich plant Zuckerberg, die Gestaltung der Gesellschaft zu demokratisieren. Das Unternehmen wolle Prozesse entwickeln für „kollektive Entscheidungsfindungen“ und mehr Bürgerbeteiligung in politischen Prozessen. Er verweist auf das Beispiel Indien, wo Premierminister Modi seine Minister aufgefordert habe, ihre Sitzungen und Informationen auf Facebook zu teilen. In den USA habe Facebook im vergangenen Wahlkampf zudem dazu beigetragen, dass rund zwei Millionen Menschen sich in die Wählerregister eingetragen hätten und zur Wahl gegangen seien. Auch große Demonstrationen wie der „Women’s March“ seien mit Hilfe von Facebook organisiert worden.

Um zur Verständigung der Menschen beizutragen, macht sich Zuckerberg schließlich noch Gedanken darüber, wie die Regeln des Netzwerks an unterschiedliche Werte und Gesetze in den unterschiedlichen Ländern und Regionen angepasst werden können. Neben von dem Unternehmen gesetzten Regeln schwebt ihm vor, dass die Nutzer künftig häufiger selber entscheiden, nach welchen Prinzipien zum Beispiel eine Facebook-Gruppe Inhalte erstellt und teilt.

Ganz konkrete Ideen lässt Zuckerberg weitgehend (noch) vermissen. Aber er hat eine Vision vorgelegt, die Facebook zum Betriebssystem einer offenen, freiheitlichen, solidarischen Welt machen soll. Das ist alles andere als ein betriebswirtschaftlicher Ausblick, sondern eine wertebasierte, politische Agenda. Zuckerberg, der Sicherheitspolitiker. Zuckerberg, der Medienpolitiker. Zuckerberg, der Außenpolitiker. Zuckerberg, der Sozialpolitiker. Damit dürfte Facebook einerseits in Konflikt geraten mit den Vorstellungen politischer Führer rund um die Welt. Andererseits scheint am Horizont eine ganz andere Frage auf: Wie lange kann das Netzwerk in privaten Händen bleiben, wenn es zunehmend zum gesellschaftlichen Rückgrat der modernen Welt wird? Und: Wenn Facebook zur Grundbedingung gesellschaftlicher Partizipation wird, darf es dann noch zur wirtschaftlichen Gewinnerzielung verwendet werden? Es drängt sich die Antwort auf, dass Zuckerberg, der Politiker, in letzter Konsequenz die Demokratisierung und Entkommerzialisierung seines Netzwerks akzeptieren müsste.

Schließlich ist die Rolle von Facebook ohnehin seit Jahren ausgesprochen umstritten. Im vergangenen US-Wahlkampf wurden Vorwürfe laut, dass das Unternehmen mit seinen Algorithmen die Wahlergebnisse beeinflusst habe. Auf den chinesischen Markt will Zuckerberg wiederum mit Hilfe eines Zensurmechanismus zurückkehren. In Deutschland steht das Unternehmen stark in der Kritik, weil es das Recht auf „freie Rede“ lange Zeit prinzipiell über deutsche Gesetze gestellt hat. Einen Aufschrei löste auch aus, dass das Netzwerk bei dem Versuch, Fotos von nackten Kindern grundsätzlich zu löschen, auch das ikonische Bild „The Terror of War“ aus dem Vietnam-Krieg entfernt hatte. Inzwischen wurde diese Entscheidung rückgängig gemacht.

Zuckerbergs Manifest schürt nun auch wieder Gerüchte, ob er nicht doch in die Politik wechseln wird. Möglicherweise ist das aber die falsche Frage, möglicherweise ist der Wechsel in die Politik längst vollzogen. Ohne politisches Amt. Dass er gleichwohl auch ein solches anstreben könnte, dafür hat es immer wieder Indizien gegeben. Bis zum Ende dieses Jahres will er zum Beispiel jeden US-Bundesstaat bereist haben. Er sei gespannt darauf, sein Land zu entdecken und möchte mit Bürgern zusammenkommen, teilte er zum Jahresanfang mit. „Meine Arbeit ist es, die Welt miteinander zu verbinden und jedem eine Stimme zu geben.“ Dazu möchte er Menschen in Rathäusern, Vereinen und Universitäten treffen. Ist das seine erste Wahlkampftour?

Immerhin wurde Ende vergangenen Jahres im Zuge eines Gerichtsprozesses auch bekannt, dass Zuckerberg wohl tatsächlich an einen Wechsel in ein politisches Amt denkt. Er tauschte sich darüber mit seinem Mentor, dem Facebook-Aufsichtsrat Marc Andreessen, aus. Kleine Brötchen schien Zuckerberg dabei nicht backen zu wollen. Es ging um die – zumindest zeitweise – Besetzung eines Regierungsamts. Zuckerberg und Andreessen versuchten offenbar auszuloten, ob es gelingen kann, dass Zuckerberg dennoch die Kontrolle über Facebook behalten kann. In diese Beratungen war den Unterlagen zufolge auch Aufsichtsrat Erskine Bowles involviert. Bowles konnte hier Spezialwissen einbringen, denn er war von 1996 bis 1998 Bill Clintons Stabschef im Weißen Haus.

Neuerdings bekennt sich Zuckerberg, der zuvor nie eine Religion auf Facebook angegeben hat und deshalb als Atheist galt, zudem zu seinen religiösen Wurzeln. „Ich wurde jüdisch erzogen, und dann bin ich durch eine Zeit gegangen, in der ich Dinge hinterfragt habe.“ Diese Äußerung wird deshalb als politisch bewertet, weil Untersuchungen des PEW-Instituts ergeben haben, dass Atheismus in den Vereinigten Staaten eines der größten Hindernisse für eine politische Karriere ist.

Möglicherweise ist sein Manifest deshalb tatsächlich der Auftakt einer solchen.

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