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Weltklimarat: Heutige Entscheidungen haben Folgen in den nächsten Tausend Jahren

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Von: Christian Mihatsch, Jörg Staude

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Ohne einen radikalen Klimaschutz steuert die Welt auf drei Grad zu.
Ohne einen radikalen Klimaschutz steuert die Welt auf drei Grad zu. © Christian Ditsch/epd

Die Emissionen müssen in den kommenden Jahren drastisch sinken, schreibt der Weltklimarat in seiner Zusammenfassung. Und er zeigt, wie das gehen kann.

Der erste Bericht des Weltklimarats erschien im Jahr 1990. Hätte man damals mit ehrgeiziger Klimapolitik begonnen, wäre Zeit gewesen, die Emissionen langsam abzusenken. Doch das ist nicht passiert und jetzt müssen die Emissionen umso schneller sinken.

„Die Entscheidungen und Maßnahmen, die in diesem Jahrzehnt umgesetzt werden, werden sich jetzt und in den nächsten Tausenden von Jahren auswirken.“ Das ist der Schlüsselsatz der Zusammenfassung des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC), der am Montag im Schweizer Ferienort Interlaken vorgestellt wurde. Fast alle Szenarien für den kurzfristigen Treibhausgas-Ausstoß der Menschheit sagten eine Erderwärmung um 1,5 Grad im Zeitraum 2030 bis 2035 voraus.

Die Menschheit hat nur noch ein sehr begrenztes CO2-Budget, wenn die Klimaerwärmung bei 1,5 oder bei zwei Grad gestoppt werden soll. Um die Erwärmung bei 1,5 Grad mit Münzwurfwahrscheinlichkeit zu stoppen, darf sie ab diesem Jahr nur noch 380 Milliarden Tonnen CO2 emittieren. Dieses „Guthaben“ ist allerdings in weniger als zehn Jahren aufgebraucht, wenn die Emissionen auf dem aktuellen Niveau von 40 Milliarden Tonnen pro Jahr verharren. Folglich ist dieses Jahrzehnt entscheidend.

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Der Synthesebericht sollte eigentlich schon am Freitag vorliegen. Schließlich wurde die knapp 40-seitige Zusammenfassung für politische Entscheider:innen erst am gestrigen Sonntagnachmittag fertig. Für Mitautor Oliver Geden ist das ein normales Prozedere. Letztlich sei der Synthesebericht ein diplomatisches Dokument zwischen den Regierungen, sagt der Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das im Bericht Festgehaltene gelte dann als unbestritten, darüber werde in den Klimaverhandlungen nicht mehr wirklich diskutiert. Insofern stelle der Bericht einen „privilegierten Input“ dar, erläutert Geden.

Das verleiht dem Syntheseberichts auch einen besonderen Stellenwert. Auf seiner Grundlage müssen die UN-Staaten bis 2025 neue eigene Klimaziele, sogenannte „Nationally Determined Contributions“ (NDC) vorlegen. Die neuen NDCs werden dabei vor allem auf dem Zeitraum bis 2035 ausgerichtet sein. Im Synthesebericht sind deswegen erstmals auch globale Reduktionsziele für 2035 prominent aufgeführt. Damit gebe es erstmals eine Art Benchmark, einen Maßstab für die nötige Emissionsminderung bis 2035, erläutert Geden.

Für die 1,5-Grad-Grad-Grenze müssen die globalen CO2-Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts um 48 Prozent unter ihrem heutigen Niveau liegen, im Jahr 2050 netto-null erreichen und anschließend muss der Atmosphäre sogar CO2 entzogen werden. Wenn die Erwärmung erst bei zwei Grad gestoppt werden soll, hat die Menschheit noch ein wenig mehr Zeit. In diesem Fall müssen die Emissionen bis zum Jahr 2040 halbiert werden und bis 2070 auf netto-null sinken. Konkret bedeutet das, dass ein Teil der bekannten Vorkommen an Öl, Kohle und Gas im Boden bleiben muss, denn: „Die prognostizierten CO2-Emissionen aus der bestehenden Infrastruktur für fossile Brennstoffe würden das verbleibende Kohlenstoffbudget für 1,5 Grad überschreiten.“

Was ist der IPCC?

Der Weltklimarat ist das führende internationale Gremium zu wissenschaftlichen Fragen und Antworten rund um die Klimakrise. Mit seinen Berichten sorgt er immer wieder für Aufsehen. Seit seiner Gründung im Jahr 1988 veröffentlichte der Rat mit Sitz in Genf bislang fünf große Sachstandsberichte und mehrere Sonderreporte zum Klimawandel, etwa zu dessen Auswirkungen auf die Landnutzung.

Der abschließende Bericht des sechsten Berichtszyklus des Weltklimarats wurde am Montag veröffentlicht. Der sogenannte Synthesebericht beruht auf insgesamt sechs Berichten, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden. In dem Synthesebericht sollen die in den Teil- und Sonderberichten enthaltenen Erkenntnisse auch mit Blick auf die politische Entscheidungsfindung zusammengefasst werden.

In die Papiere des Gremiums fließen die Erkenntnisse Hunderter Fachleute zur Erderwärmung ein. Die Dokumente geben Handlungsempfehlungen an die Politik und gelten als wichtige Grundlage für die internationalen Klimaverhandlungen. Meinungsunterschiede sollen in den Berichten benannt werden.

Vor der Veröffentlichung der Berichte werden die zentralen Aussagen mit Vertreter:innen von Regierungen diskutiert. Das stößt auf Kritik, weil Politiker:innen Einfluss nehmen können. Der abschließende Synthesebericht gilt als besonders umstritten.

Gegründet wurde der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Weltorganisation für Meteorologie.

Derzeit sind 195 Länder Mitglied des IPCC. Zudem sind insgesamt etwa 170 UN-Institutionen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen als Beobachter akkreditiert. Als Nächstes plant der Weltklimarat einen Bericht zum Thema Klimawandel und Städte. epd

Derart schnelle Emissionsreduktionen seien aber möglich, sagt Alden Meyer vom britischen Thinktank E3G: „Die gute Nachricht des Berichts ist, dass wir immer noch die Möglichkeit haben, den Kurs des Raumschiffs Erde zu korrigieren und auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen.“ Der Bericht zeigt, dass das sowohl technisch als auch wirtschaftlich machbar ist. Im letzten Jahrzehnt sind die Kosten für Solarstrom um 85 Prozent, für Windstrom um 55 Prozent und für Batterien um 85 Prozent gesunken. Das hat zur Folge, dass viele Schritte für mehr Klimaschutz niedrigere Kosten haben als ihre herkömmlichen Alternativen.

Trotzdem müssen die Investitionen in den Klimaschutz steigen. Für die 1,5-Grad-Grenze müssen sie bis zum Ende des Jahrzehnts um das Sechsfache erhöht werden. Dieses Geld sei aber vorhanden: „Angesichts der Größe des globalen Finanzsystems gibt es genügend Kapital, um die globalen Investitionslücken zu schließen.“

Der Bericht des Weltklimarats beschäftigt sich auch mit CO2-Entnahme

Aber selbst wenn es zu dieser Kurskorrektur kommt, werden die Schäden in Folge des Temperaturanstiegs weiter zunehmen. Dazu gehören mehr Hitzetote, eine Zunahme von Krankheiten und psychischen Problemen, ein Rückgang der Artenvielfalt, mehr Überschwemmungen und in manchen Regionen ein Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge. „Die Risiken sowie die damit verbundenen Verluste und Schäden durch den Klimawandel eskalieren mit jedem Zehntelgrad an zusätzlicher Erwärmung“, stellt der Bericht trocken fest. Doch wenn die Emissionen einmal bei netto-null stabilisiert wurden, nehmen die Erwärmung und die damit verbundenen Folgen zumindest nicht weiter zu. Dies gilt allerdings nicht für den Meeresspiegel. Selbst wenn die Erwärmung bei 1,5 Grad gestoppt wird, wird der Meeresspiegel – über einen sehr langen Zeitraum – um zwei bis drei Meter steigen.

Während aktuell der Fokus auf schnell umsetzbaren Emissionsreduktionen liegen muss, rückt der Bericht aber auch ein Thema ins Blickfeld, das erst längerfristig relevant wird: die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Denn „in naher Zukunft wird die globale Erwärmung selbst beim Szenario mit sehr niedrigen Treibhausgasemissionen wahrscheinlich 1,5 Grad erreichen“. Das bedeutet, dass die Temperatur die 1,5-Grad-Grenze überschreiten wird und anschließend wieder gesenkt werden muss, indem man der Atmosphäre Kohlenstoff entzieht. Für die CO2-Entnahme gibt es verschiedene Optionen wie Aufforstung, die Ausbringung von Biokohle auf Äckern oder von Gesteinsmehl auf dem Meer. Ob das im nötigen Ausmaß gelingen kann, hängt aber wiederum von den Emissionen der nächsten Jahre ab. Denn „je höher und je länger“ die Temperaturgrenze überschritten wird, desto mehr negative Emissionen sind anschließend nötig. mit afp

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