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Welche Rolle spielt jetzt noch Diplomatie?

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„Russland muss etwas angeboten werden, damit Putin gesichtswahrend (...) aus diesem Krieg herauskommt.“ SPUTNIK/AFP
„Russland muss etwas angeboten werden, damit Putin gesichtswahrend (...) aus diesem Krieg herauskommt.“ © afp

Christopher Daase, Ko-Direktor des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, erklärt, warum es so wichtig ist, trotz allem miteinander im Gespräch zu bleiben.

Schon zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben Politiker gesagt, es sei jetzt nicht die Zeit für Diplomatie, sondern für Krieg. Aber die Diplomatie endet nicht, wenn der Krieg beginnt. Die Vorstellung, Krieg und Diplomatie seien Gegensätze und schlössen sich aus, ist falsch. Auch im Krieg kommunizieren die Kriegsparteien miteinander, und das ist wichtig, damit Gelegenheiten für Verhandlungen, für einen Waffenstillstand und für eine Beendigung des Krieges erkannt werden.

Diplomatie im Krieg findet auf zwei Wegen statt. Zum einen direkt zwischen den Kriegsparteien, wie bei den Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine in Belarus oder der Türkei. Zum anderen läuft sie über Dritte – so genannte Mediatoren –, die mehr oder weniger unparteiisch sind. In diese Kategorie fallen die Gespräche, die Bundeskanzler Scholz und Staatspräsident Macron mit Putin geführt haben, wobei beide natürlich nicht neutral waren. Auch die Reise des österreichischen Bundeskanzlers Nehammer gehört in diese Kategorie, und Österreich ist sogar formal „neutral“, wenn auch in der Sache kritisch gegenüber Russland eingestellt.

Reisediplomatie muss allerdings gut vorbereitet und breit abgestimmt sein, um Erfolg zu haben. Oft erweckt sie den Anschein, als wolle ein Politiker sich vor allem selber in Szene setzen. Man denke an die jüngsten Bilder von Boris Johnson, wie er mit offenem Hemd an der Seite Selenskyjs durch Kiew spaziert. Das ist mehr Werbung in eigener Sache als politischer Beistand, auch wenn die symbolische Geste der Unterstützung nicht unterzubewerten ist. Aber dem Wettlauf zu Selenskyj braucht sich Scholz trotzdem nicht anzuschließen.

Der Autor, die Serie

Christopher Daase ist Professor für Internationale Organisationen an der Goethe-Universität Frankfurt und Ko-Direktor des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

In der Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten nach Antworten auf viele drängende Fragen. Die Menschen in der Ukraine brauchen Frieden, aber es herrscht Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen?

Die Beiträge erscheinen in loser Folge in der Frankfurter Rundschau. Alle Artikel finden sich auch auf unserer Homepage unter www.fr.de/friedensfragen

In der Substanz haben die Reisen zu Putin und die Telefonate mit ihm wenig gebracht. Im Gegenteil sieht es so aus, als genösse es Putin, die politischen Bittsteller aus dem Westen vorzuführen, sie zu demütigen, so als wolle er seine eigene und die Demütigung Russlands, von der er gerne spricht, rächen. Aber selbst wenn Kriegsdiplomatie unerfreulich und unergiebig ist, selbst wenn meist nur Maximalpositionen ausgetauscht werden, ist es wichtig im Gespräch zu bleiben, damit die Kriegsparteien die jeweiligen Kriegsziele und Forderungen kennen.

Manchmal kommt es aber auch zu Positionsveränderungen, die sich in Nuancen der diplomatischen Sprache ausdrücken. So hatte Russland zu Beginn des Krieges die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine gefordert. Heute spricht man von Neutralität und zählt die vielen militärischen Installationen auf, die zerstört worden seien, um behaupten zu können, dass die Kriegsziele praktisch erreicht seien. Das könnten erste Anzeichen für eine gewisse Verhandlungsbereitschaft sein. Gleichzeitig sehen wir aber die Neuformierung der russischen Streitkräfte, die sich auf eine neue Offensive gegen die Ost-Ukraine vorbereiten.

Putin wird erst dann zu substantiellen Verhandlungen bereit sein, wenn er merkt, dass er durch Diplomatie mehr erreichen kann als durch Krieg. Solange er glaubt, dass die Fortsetzung des Kriegs ihm selber und Russland Vorteile bringt, wird er den Krieg fortsetzen. Ziel des Westens muss es deshalb sein, die Kosten des Krieges für Russland möglichst hoch zu treiben, durch die Befähigung der Ukraine zu effektiver Verteidigung, durch ökonomische Sanktionen und diplomatischen Druck. Und gleichzeitig muss der Nutzen einer politischen Einigung so deutlich gemacht werden, dass Putin bereit ist, zu verhandeln. Das heißt, auch Russland muss etwas angeboten werden, damit Putin gesichtswahrend, und das heißt über Verhandlungen, aus diesem Krieg herauskommt. Denn militärisch besiegen wird die Ukraine Russland wohl nicht.

Und hier kommt wieder die Diplomatie ins Spiel. Denn am Rande des Krieges wird längst über Sicherheitsgarantien für die Zeit nach dem Krieg gesprochen, und zwar für beide Seiten. Die Ukraine braucht Sicherheitsgarantien gegen die anhaltende Bedrohung durch Russland. Aber auch Russland verlangt Sicherheitsgarantien gegenüber der als feindselig wahrgenommenen Nato. Es wäre fatal, jetzt einzelne Optionen, die in der Vergangenheit diskutiert worden sind, vom Tisch zu nehmen und ganz auf eine militärische Lösung zu setzen. Nur ein Verhandlungsfrieden hat Aussicht, einigermaßen dauerhaft zu sein. Für Diplomatie gibt es keinen Ersatz, auch in Kriegszeiten.

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