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Welche Kraft hat der Pazifismus noch?

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„Waffen, noch mehr Waffen“, beklagt Käßmann. „Leopard“-Exporte waren schon vor der Zeitenwende umstritten.
„Waffen, noch mehr Waffen“, beklagt Käßmann. „Leopard“-Exporte waren schon vor der Zeitenwende umstritten. © imago

Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, findet: Der Pazifismus widerspricht der militärischen Logik. Und die offenbart doch gerade ihre ganze Hilflosigkeit.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges schrieb Stefan Zweig von der „fast zernichtende(n) Tragik des Pazifismus, daß er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos ist und in der Kriegszeit hilflos“.

Das bleibt mehr als hundert Jahre später zutreffend. Und doch sehe ich den Pazifismus in diesen Tagen nicht als hilflos an. Sicher, diffamierende Abwertungen gibt es reichlich: „Lumpenpazifisten“ (Sascha Lobo), „Vulgärpazifimus“, der „feige“ sei (Robert Habeck) oder mit Blick auf alle, die sich an Ostermärschen beteiligen: „Fünfte Kolonne Putins“ (Alexander Graf Lambsdorff). Es heißt: „Unsere Waffenlieferungen schützen Leben“ (Annalena Baerbock). Oder: „Ich bin die Ausreden, warum wir keine Panzer liefern können, so was von leid“ (Marie-Agnes Strack-Zimmermann).

Margot Käßmann
Margot Käßmann © Julia Baumgart

Pazifismus ist geprägt von der Überzeugung, dass nicht Aufrüstung Zukunft schafft, sondern wir als langfristiges Ziel Abrüstung brauchen, damit auch zukünftige Generationen auf dieser Erde leben können. Der militärischen Logik wird widersprochen. Und die offenbart doch gerade ihre ganze eigene Hilflosigkeit. Waffen, noch mehr Waffen, Gerede von „Tapferkeit“ und „heldenhaft“, gar von „Blutzoll“, der für eine gute Verhandlungsposition erhöht werden müsse.

Ach ja, und von „Sieg“ ist wieder großspurig die Rede. Wer diese Reden in Deutschland schwingt, tut dies übrigens genauso vom Sofa aus wie Pazifistinnen und Pazifisten. Auch Anton Hofreiter wird keinen „Leopard“-Panzer eigenhändig in der Ukraine zum Einsatz bringen.

Der Pazifismus kennt andere Narrative als die militaristischen. Da geht es um Mediation, Diplomatie, gewaltfreie Konfliktbewältigung und zivilen Widerstand. Kurzfristige Lösungen, den entsetzlichen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beenden, hat die Friedensbewegung nicht. Aber die Bellizisten und Waffenlobbyisten haben sie auch nicht.

Pazifistinnen und Pazifisten geht es darum, schnellstens die Waffen zum Schweigen zu bringen und dann zu verhandeln. „Die Waffen nieder!“ hieß der berühmte Roman der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner und genau darum geht es uns heute.

Zur Person und zur Serie

Margot Käßmann war Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Käßmann zählt zu den Unterzeichnerinnen des „Manifests für den Frieden“, das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert wurde.

Die Menschen in der Ukraine brauchen Frieden, aber es herrscht Krieg. Welche Wege können zum Frieden führen? Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen?

In der Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten nach Antworten auf viele drängende Fragen. Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der Frankfurter Rundschau entsprechen. Auf unserer Homepage unter www.fr.de/friedensfragen finden sich alle Beiträge. FR

Inzwischen gibt es ein breites Bündnis von Deutscher Friedensgesellschaft, christlichen Gruppen, Attac, Naturfreunde Deutschland, Bund für soziale Verteidigung und anderen, die für das Wochenende 24.-/26. 2. zu Aktionen im Land aufrufen (stoppt-das-toeten.dfg-vk.de).

Die Initiative verbindet viele, die mit großer Sorge sehen, wie die Spirale der Gewalt eskaliert. Hat Deutschland im Konflikt anfangs Helme geliefert, so wurden es später Verteidigungswaffen, jetzt sind es Angriffspanzer. Die Spirale setzt sich schon fort, wenn Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe gefordert werden und die Gefahr besteht, dass Deutschland Kriegspartei wird, ja dass Atomwaffen alle Zukunft für unseren Kontinent vernichten. Diese Spirale wollen Pazifistinnen und Pazifisten unterbrechen.

Persönlich bin ich geprägt von den Erfahrungen meiner Eltern. Mein Vater war 18, als der Zweite Weltkrieg begann, wurde sofort zur militärischen Ausbildung beordert und hat bis zum Alter von 25 Jahren nur Krieg erlebt. Er hat den Krieg verabscheut. Meine Mutter war Krankenschwester, als die Bomben auf Berlin fielen, musste fliehen, hat zwei Jahre in einem dänischen Internierungslager verbracht, ohne zu wissen, ob Eltern und Geschwister noch leben. Sie hat den Krieg gehasst. Und ich bin Christin. „Steck das Schwert an seinen Ort!“ sagte Jesus, als ihn ein Freund verteidigen wollte. Und auch: „Liebet Eure Feinde!“.

Margot Käßmann zum Pazifismus: Wir können es uns nicht einfach machen

Der Friedensnobelpreisträger und Baptistenpfarrer Martin Luther King hat gesagt, das sei das schwerste, was Jesus uns hinterlassen habe. Das stimmt, gerade auch in diesen Tagen. Aber ich kann es nicht ignorieren, wenn ich mich als Christin verstehe.

Als ich mit einer Freundin den Nachlass ihres Vaters sortiert habe, fanden wir ein „Gebetbuch für den deutschen Soldaten im Felde“. Dort waren auch die Zehn Gebote aufgeführt. Unter dem fünften, „Du sollst nicht töten“, stand in Klammern: „Gilt nicht im Kriegsfall“. So einfach können wir es uns nicht machen, denke ich. Darum bin und bleibe ich Pazifistin. Dabei habe ich die Demut, zu wissen, dass ich schuldig werde an Menschen, die sich mit der Waffe verteidigen wollen. Ich habe auch Verständnis für den Ruf nach Waffen. Aber in einer Demokratie nehme ich mir das Recht heraus, bei meiner Position zu bleiben.

Zuletzt: Als Großmutter von sieben Enkelkindern bin ich zutiefst überzeugt, dass die Kraft des Pazifismus mehr für ihre Zukunft gestalten kann als all die Aufrüstungsprogramme unserer Zeit.

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