Weit entfernte Häfen: NGOs klagen gegen Italien

Weil italienische Behörden ihren Schiffen weit entfernte Häfen zuweisen, verklagen Seenotrettungs-Organisationen die Regierung von Italien: „Das Vorgehen verschärft das Sterben im Mittelmeer“.
Die deutschen Seenotrettungsorganisationen SOS Humanity, Mission Lifeline und Sea-Eye klagen vor einem Zivilgericht in Rom gegen die Praxis der italienischen Regierung, zivilen Rettungsschiffen sehr weit entfernte Häfen in Mittel- und Norditalien zuzuweisen. Das Vorgehen widerspreche internationalem Seerecht. Italien habe im Dezember 2022 mit dieser Praxis begonnen, nachdem Rettungsmissionen zuvor oft tage- oder wochenlang keine Anlaufhäfen zugewiesen wurden. Die Klage der Helfenden richtet sich gegen die drei Ministerien, die für die entsprechenden Verordnungen verantwortlich sind.
Einen besonders drastischen Fall der neuen Handhabe erlebe Organisationen zufolge aktuell die Besatzung des Schiffes „Humanity 1“ und 69 Menschen, die von ihr in der Nacht auf Donnerstag in internationalen Gewässern vor der Küste von Libyen aus Seenot gerettet wurden. Ihnen wurde Ravenna als Hafen zugewiesen: 1600 Kilometer und fünf Tage Überfahrt vom Standort des Schiffes zum Zeitpunkt der Entscheidung entfernt, während Häfen in Sizilien deutlich näher wären. Für die Schiffbrüchigen bedeutet das nach der hochgefährlichen Überfahrt weitere Strapazen. „Eine fünftägige Fahrt nach Ravenna bedeutet, den geschwächten, unterkühlten und seekranken Geretteten eine bessere medizinische Versorgung an Land vorzuenthalten“, zitiert SOS Humanity den Kapitän der „Humanity 1“. Im aktuellen Fall sei die Lage besonders schwierig, weil schlechtes Wetter, das noch Tage lang anhalten wird, die Probleme noch verstärke.
Verfahren soll Druck auf rechte Regierung erhöhen
Die Hilfsorganisationen hoffen daher, dass die Klage den Druck auf die italienischen Behörden erhöht, auch in diesem Fall ihre Entscheidung zu ändern. Eingereicht wurde die Klage aber schon in der vergangenen Woche vor dem aktuellen Fall und unabhängig davon.
„Es geht um eine grundsätzliche Entscheidung zur systematischen Praxis und den Gesetzen der italienischen Regierung“ sagt Wasil Schauseil, Sprecher von SOS Humanity der Frankfurter Rundschau. Es solle ein Präzedenzfall geschaffen werden um zu zeigen, dass Italiens Vorgehen rechtswidrig ist. Die rechte Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni habe gezeigt, „dass sie immer neue Wege sucht, um Seenotrettung zu behindern“, sagt Schauseil.
Die Organisation SOS Humanity listet einschließlich des aktuellen 25 Fälle auf, in denen Rettungsmissionen mit Schiffbrüchigen entfernte Häfen auf dem italienischen Festland statt solcher in Sizilien zugewiesen wurden. Ravenna ist der am weitesten nördlich gelegene der dabei zugewiesenen Häfen, darunter sind aber auch Carrara und La Spezia in der Toskana. Sea-Eye und SOS Humanity waren demnach bisher je zweimal von den Zuweisungen und langen Wegen betroffen.
Italienische Behörden „verschärfen das Sterben im Mittelmeer“
Das Argument, die Aufnahmeorte in Sizilien seien überlastet und Umwege deshalb nötig, mit dem die italienischen Behörden in der Öffentlichkeit ihr Vorgehen rechtfertigen, lässt Wasil Schauseil nicht gelten. Auch nach der Landung in den nördlichen Häfen würden Geflüchtete in der Regel mit Bussen in andere Regionen transportiert, sagt er der FR. Das sei auch möglich, wenn Kapazitäten in Sizilien ausgelastet seien. Ohnehin begründeten die Behörden den Rettungsorganisationen gegenüber die Entscheidungen nicht, auch nicht auf Nachfrage. Wie Annika Fischer-Uebler, Sprecherin von Sea-Eye sagt, kosten die langen Wege die Rettungsschiffe auch viel Zeit, im Gefahren gebiet aktiv zu sein: „Die Praxis der italienischen Behörden verschärft also das Sterben im Mittelmeer.“
Einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration nach wurden 2023 im ersten Quartal 441 Todesfälle von Flüchtenden im Mittelmeer registriert, das ist die höchste Zahl in dieser Jahreszeit seit 2017.