„Wir haben andere Aufgaben“: Bundeswehr gegen Reaktivierung der Wehrpflicht

Die Bundeswehr kämpft derzeit mit Mangel an Personal und Ausrüstung. Eine Reaktivierung der Wehrpflicht würde sie vor weitere Herausforderungen stellen.
Berlin – Der Ukraine-Krieg hat die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht angestoßen. In der Politik werden Forderungen nach einer Reaktivierung der Wehrpflicht lauter. Doch im Verteidigungsministerium gibt es Zweifel, ob eine Wehrpflicht gerade mit Blick auf den Personalmangel der Bundeswehr überhaupt effizient ist. „Die Reaktivierung würde für Unterbringung und Ausbildung Wehrpflichtiger viele Ressourcen und vor allem Personal binden“, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums zu FR.de von IPPEN.MEDIA.
„Wir haben andere Aufgaben“ – Bundeswehr spricht sich Reaktivierung der Wehrpflicht aus
Die kurzfristige Reaktivierung der Wehrpflicht würde die Bundeswehr vor kaum zu bewältigende Herausforderungen stellen, so die Sprecherin. „Wir haben andere Aufgaben, für deren Erfüllung gut ausgebildetes und spezialisiertes Personal gebraucht wird. Wir haben andere Strukturen, andere Kapazitäten und eine andere Einsatzrealität.“
Jüngst hatte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zur Wehrpflicht geäußert und für Aufsehen gesorgt: „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen,“ so Pistorius. Gleichzeitig hat er sich gegen eine Reaktivierung der Wehrpflicht ausgesprochen – vielmehr halte er eine Debatte um eine sogenannte Dienstpflicht für sinnvoll.
Pistorius stößt Debatte um Wehrpflicht an – Reservistenverband für Reaktivierung
Hingegen hatte sich der Reservistenverband der Bundeswehr klar für eine Wehrpflicht ausgesprochen. Verbandschef Patrick Sensburg sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, die ureigenste Aufgabe der Bundeswehr sei die Landesverteidigung. „Das erfordert anderes Material und viel mehr Personal.“
Realistisch betrachtet würden für die Verteidigung der Bundesrepublik eine aktive Truppe von 350.000 Soldaten sowie etwa 1,2 Millionen Reservisten benötigt, legte Sensburg dar. „Es wird ohne Wehrpflicht meiner Meinung nach also nicht gehen“, resümierte der Präsident des Reservistenverbands.
Könnte die Personalnot der Bundeswehr Einsätze im Ukraine-Krieg beeinträchtigen?
Medienberichten zufolge ist jeder sechste Dienstposten bei der Bundeswehr nach Angaben des Verteidigungsministeriums derzeit nicht besetzt. Aktuell befänden sich beispielsweise mehr als 30.000 Soldatinnen und Soldaten in der Ausbildung und damit deutlich mehr als planerisch für dieses Jahr vorgesehen, so die Sprecherin des Verteidigungsministeriums zu FR.de. Auch die Bundeswehr spüre, dass es am Arbeitsmarkt schwieriger werde, insbesondere Fachkräfte zu gewinnen. Die Bundeswehr arbeitet auf Hochtouren, um noch mehr Personal anzuwerben. „Um das Einstellungsniveau zu halten, werden wir in unseren Anstrengungen zur Personalwerbung und -gewinnung nicht nachlassen“, sagte die Sprecherin.
Auf die Frage, ob der Personalmangel Aufträge der Bundeswehr und die Bündnisverteidigung der Nato-Ostflanke beeinträchtigen könnte, heißt es: „Die Bundeswehr erfüllt alle Verpflichtungen im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung.“ Im Zuge des Ukraine-Kriegs hat die Nato Verteidigungsmaßnahmen in Osteuropa verstärkt. Auch die Bundeswehr beteiligt sich maßgeblich an den Nato-Missionen zum Schutz der östlichen Bündnispartner.
Bundeswehr hat zudem Probleme bei der Ausrüstung – Högl fordert vereinfachtes Vergaberecht
Der Personalmangel ist derzeit nicht die einzige Herausforderung der Bundeswehr. Neben der Personalknappheit gibt es auch Nachschubprobleme bei der Ausrüstung. Bundeswehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hat angesichts dessen gefordert, schnell Produktionskapazitäten in der Industrie aufzubauen. Dafür brauche die Industrie „auch Zusagen aus der Politik, dass das finanziert wird – und zwar über den Bundeshaushalt 2024 hinaus“, sagte Högl dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Ferner müssten – angefangen beim europäischen Vergaberecht – die gesetzlichen Hürden und die Rechtsvorschriften vereinfacht werden. (bohy)