Was ist die „Global Assembly“ und warum ist sie so wichtig?

Schwächelnde Demokratie, soziale Not, Ausbeutung - für all diese Probleme kann es nur globale Lösungen geben. Stephan Hebel beantwortet die häufigsten Fragen zur „Global Assembly“.
Am Sonntag ist es soweit: In der Frankfurter Paulskirche wird die Globale Versammlung für Menschenrechte, Demokratie und globale Gerechtigkeit eröffnet, kurz „Global Assembly“ genannt (zu Ablauf und Anmeldung siehe die Infobox auf dieser Doppelseite). Ich habe das Vergnügen, im Auftrag der FR dem Initiativkreis anzugehören, der das Treffen vorbereitet hat. Deshalb möchte ich die heutige Folge von „Hebel meint“ nutzen, um Antworten auf die wichtigsten Fragen zu geben.
Die Eröffnung des Paulskirchen-Parlaments vor 175 Jahren gilt allgemein als Aufbruch zu nationaler Einheit mit demokratischen Rechten für alle. Was hat eine globale Versammlung damit zu tun?
Es stimmt, dass es 1848 in Deutschland vor allem darum ging, aus mehr oder weniger kleinen Ländern und Fürstentümern einen Nationalstaat zu machen und innerhalb seiner Grenzen gleiche Rechte für alle zu gewährleisten (wenn auch mit den Einschränkungen der Epoche, etwa was die Beteiligung von Frauen betrifft). Insofern wird die Nationalversammlung mit Recht als Aufbruch gefeiert, der zwar zunächst scheiterte, sich aber in der deutschen Verfassungsgeschichte bis heute positiv auswirkt – auch wenn manche der Diskussionsthemen von damals, etwa soziale Rechte, heute noch genauso umstritten sind.
Aber schon 1848 wäre das deutsche Geschehen ohne die Entwicklungen in ganz Europa und darüber hinaus nicht denkbar gewesen. Und vor allem sind die Initiator:innen der Global Assembly überzeugt, dass in Zeiten der Globalisierung auch die Frage des gleichen Rechts für alle global gestellt werden muss. Die über den Globus vernetzten politischen und ökonomischen Kräfte, die zur Verweigerung oder Einschränkung dieser Rechte beitragen, sind nur durch einen neuen, demokratischen Aufbruch „von unten“ zu bändigen mit dem Ziel, bestehende Rechte zu verteidigen, womöglich in ihrer Ausformung zu kritisieren und bei Bedarf auszubauen. Es gibt Gründe, diesen Ansatz angesichts bestehender Machtverhältnisse für utopisch zu halten. Aber war nicht auch die Idee, absolutistischer Willkürherrschaft eine Herrschaft des Rechts entgegenzusetzen, vor 200 Jahren eine Utopie?
Was ist die Global Assembly?
Der Initiativkreis und die Nichtregierungsorganisationen, die das Projekt mittragen, haben 50 Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt eingeladen, um über geografische und inhaltliche Grenzen hinweg Kontakte zu knüpfen und über die Verteidigung grundlegender Rechte in einem zunehmend autoritären Umfeld zu diskutieren. 45 der Eingeladenen haben zugesagt und werden sich nach dem Auftakt am Sonntag zu einer dreitägigen Klausur in der Evangelischen Akademie treffen. Sie stammen aus etwa 40 Ländern und den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen (siehe Infobox).
Wer ist der Initiativkreis?
Als die Idee zur Global Assembly entstand, waren lediglich die Organisationen und Institutionen beteiligt, die in Frankfurt seit Jahren zusammen mit Einzelpersonen die Reihe „Der utopische Raum“ veranstalten: die Stiftung Medico international (Ramona Lenz und Thomas Gebauer), das Institut für Sozialforschung (Sidonia Blättler) und die FR, vertreten durch meine Wenigkeit. Schnell wurde klar, dass wir das Vorhaben alleine nicht würden stemmen können. Folgende Personen sind nun schon seit Längerem zusätzlich dabei: Cornelia Füllkrug-Weitzel, ehemalige Präsidentin von „Brot für die Welt“; Barbara Unmüßig, bis 2022 Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung; der Schriftsteller Ilija Trojanow; und last but not least Rainer Weitzel, der als Organisator von Kirchentagen über reichhaltige Erfahrungen bei der praktischen Durchführung international besetzter Veranstaltungen verfügt. Nicht zu vergessen das unermüdlich aktive Büroteam mit Clara Hebel, Aïda Roumer und Lukas Sauer.
Wie sind die Einladungen zustande gekommen, ist die Zusammensetzung repräsentativ?
Die an der Planung und Vorbereitung beteiligten, global aktiven Nichtregierungsorganisationen (siehe Infobox) haben mit ihren Auslandsbüros Vorschläge zusammengestellt, aus denen dann in Kooperation mit dem Initiativkreis die endgültige Einladungsliste entstand. Repräsentativ im parlamentarischen Sinne ist sie sicher nicht, das war auch nicht der Anspruch. Es ging – abgesehen von Kriterien wie Gender – vielmehr darum, ein möglichst breites Spektrum an Erfahrungen aus der Basisarbeit auf unterschiedlichen Themenfeldern zusammenzustellen. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, vornehmlich zivilgesellschaftliche Akteur:inner und nicht Funktionsträger:innen nationaler oder internationaler Institutionen einzuladen.
Globale Versammlung
Mit einem öffentlichen Auftakt in der Frankfurter Paulskirche beginnt am Sonntag, 14. Mai die „Global Assembly für Menschenrechte, Demokratie und globale Gerechtigkeit“. Das Treffen mit 45 Aktivistinnen und Aktivisten aus 40 Ländern findet aus Anlass des 175. Jahrestages der Nationalversammlung in der Paulskirche statt. Nach dem Auftakt wollen die Teilnehmenden drei Tage lang in Klausur darüber beraten, wie trotz zunehmender autoritärer Tendenzen in der Welt die Grund- und Menschenrechte verteidigt und womöglich ausgebaut werden können.
Die Versammlung ist aus der Überzeugung entstanden, dass die Frage nach Demokratie und Menschenrechten, um die 1848 auf nationaler und europäischer Ebene gerungen wurde, in Zeiten der Globalisierung nur transnational diskutiert werden kann.
Die Idee der „Global Assembly“ stammt von der Initiative „Der utopische Raum“, einer Kooperation der Stiftung Medico international, des Instituts für Sozialforschung und der Frankfurter Rundschau. Aktiv beteiligt sind außerdem Brot für die Welt, Medico, Misereor, Reporter ohne Grenzen, die Friedrich-Ebert-, die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Evangelische Akademie Frankfurt ist Gastgeberin für die dreitägige Klausur, die auf die Eröffnung folgt. Gefördert wird das Ganze von der Stadt Frankfurt, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine Fortsetzung mit regionalen Aktivitäten und einer weiteren, größeren Versammlung im März 2024 ist geplant.
Der öffentliche Auftakt findet auf Einladung der Stadt Frankfurt am Sonntag, 14. Mai um 18 Uhr in der Paulskirche statt. Begrüßt werden Teilnehmende, die sich mit Themen wie Frauen- und Minderheitenrechten, Ökologie und Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit oder Meinungsfreiheit beschäftigen. Außerdem gibt es eine Diskussion zwischen dem Schriftsteller Navid Kermani und der Sozialanthropologin Shalini Randeria über Fragen globaler Demokratie, dazu Musik von Mitgliedern des Ensemble Modern. FR-Autorin Bascha Mika moderiert den Abend.
Anmeldung bis spätestens 10. Mai per Mail unter protokoll@stadt-frankfurt.de
Was soll dabei herauskommen?
Die Global Assembly ist als Prozess angelegt, der bis zum März 2024 dauert, wenn sich die Verabschiedung der Paulskirchen-Verfassung zum 175. Mal jährt. Dann soll es eine zweite, größere Versammlung mit etwa 100 Teilnehmenden geben. Die Klausur in der Evangelischen Akademie stellt also eine Art Vorversammlung dar, bei der Kontakte geknüpft, zentrale Fragen für den weiteren Prozess definiert und Vereinbarungen für den weiteren Arbeitsprozess getroffen werden sollen.
Soll das heißen, dass die Öffentlichkeit erst einmal gar nichts erfährt?
Keineswegs. Zum einen wird es vom Auftakt in der Paulskirche einiges zu berichten geben, und auch in den Tagen danach sind Gespräche von Medienvertreter:innen mit Beteiligten nicht ausgeschlossen. Zum anderen wird das Treffen in der kommenden Woche von vier Chronistinnen und Chronisten begleitet, die ihre Eindrücke anschließend in Berichten, Essays oder literarischen Texten verarbeiten werden. Das sind die Schriftstellerin Katerina Poladjan, ihr Kollege Ilija Trojanow, die Sozialanthropologin Shalini Randeria und der afghanische Exil-Autor Baktash Siawash.
Wie geht es nach dem Treffen weiter?
Bis zum Frühjahr 2024 wird es eine Reihe von Veranstaltungen in Frankfurt und anderswo geben, die sich mit Themen der Global Assembly befassen. Auch der Austausch unter den Teilnehmenden der ersten Versammlung soll fortgesetzt werden. Welche Beschlüsse die große Versammlung im März 2024 fasst und ob der Prozess darüber hinaus fortgesetzt wird, obliegt den Beteiligten selbst.
Aber worauf können wir hoffen?
Vielleicht geht es weniger um die Frage, welche Erklärungen oder Pamphlete am Ende der Global Assembly stehen. Wichtiger erscheint es unter den Bedrohungen von Nationalismus und Autoritarismus, so etwas wie einen demokratischen, am gleichen Recht für alle orientierten „Kosmopolitismus von unten“ zunächst für die Beteiligten und dann für die Öffentlichkeit erfahrbar zu machen. Noch funktioniert der Rechtsstaat in Deutschland zumindest gut genug, um eine freie Diskussion ohne akut drohende Repression möglich zu machen. Ein großer Erfolg wäre es, wenn unter diesen Bedingungen der gegenseitige Austausch zur weiteren Ermutigung für die vielen Menschen beitragen würde, die trotz allem und unter schwierigsten Bedingungen für Menschenrechte, Demokratie und Gerechtigkeit kämpfen.