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Wahlkampf ohne Visionen

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Von: Jana Ballweber

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Nino Haase, der nun parteilos zur Mainzer OB-Wahl antritt, war 2019 noch Kandidat der CDU.
Nino Haase, der nun parteilos zur Mainzer OB-Wahl antritt, war 2019 noch Kandidat der CDU. © Andreas Arnold/dpa

Im Kampf um das Mainzer Rathaus hat der parteilose Kandidat Nino Haase in der Stichwahl deutlich bessere Chancen als sein Konkurrent von den Grünen Eine Analyse von Jana Ballweber

In der Demokratie ist es oft das immerselbe Spiel: Vor Wahlen versprechen die Kandidierenden der Wählerschaft das sprichwörtlich Blaue vom Himmel, im Kleingedruckten steht der Finanzierungsvorbehalt. Geld scheint immer Mangelware zu sein, an Geld scheitern Wahlversprechen, Projekte und Karrieren.

Nicht so in Mainz. Eine beinahe paradiesische Ausgangslage bot sich im Wahlkampf für alle, die angetreten waren, um die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt zu regieren. Dank der Firma Biontech, die von Mainz aus Milliarden Corona-Impfdosen in die ganze Welt verteilte, sprudeln die Einnahmen aus der Gewerbesteuer seit kurzem tüchtig. Mainz, vor der Pandemie für einen hochverschuldeten Haushalt berüchtigt, hatte plötzlich Geld wie Heu. Selbst bei teuren und aufwendigen Transformationsprojekten zu Klimaschutz oder Digitalisierung wäre die Einhaltung von Wahlversprechen ein realistisches Szenario gewesen. Eine paradiesische Ausgangslage – theoretisch.

Denn von den sieben Kandidierenden für das Oberbürgermeisteramt kam im Wahlkampf überraschend wenig. Seltsam blass kamen die fünf Männer und zwei Frauen daher, die die Nachfolge von Ex-Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) antreten wollten. Politische Zukunftsvisionen? Fehlanzeige.

Es war eine Wahl außer der Reihe, die nötig wurde, weil Ebling als neuer Innenminister in die rheinland-pfälzische Landespolitik wechselte. Sein Vorgänger, Roger Lewentz, war im vergangenen Oktober zurückgetreten, nachdem er wegen seiner Rolle in der Flutkatastrophe im Ahrtal unter Druck geraten war im Untersuchungsausschuss des Landtags.

Ebling waren schon länger politische Ambitionen nachgesagt worden, die über Mainz hinausgehen. Für die Landespolitik im Südwesten scheint er wie gemacht: Er ist Sozialdemokrat, er kann gleichzeitig schillernd und volksnah agieren, er erfreut sich großer Beliebtheit. Entsprechend groß ist die Lücke, die er im Rathaus für die Mainzer SPD hinterlassen hat. Das muss Ministerpräsidentin Malu Dreyer klargewesen sein, als sie ihren Parteifreund beförderte, um die vakante Stelle im Innenministerium schnell adäquat zu besetzen. Dreyer opferte die Landeshauptstadt, um angesichts der Querelen um mögliches politisches Versagen in der Flutnacht gar nicht erst den Eindruck einer Regierungskrise aufkommen zulassen.

Dass die Sozialdemokratin Mareike von Jungenfeld die Lücke, die Ebling hinterlässt, nicht schließen kann, ist seit dem ersten Wahlgang Mitte Februar klar. Gerade einmal 13,3 Prozent der Stimmen konnte die 41-Jährige erringen – ein Desaster für die SPD, die in Mainz seit 1949 den Oberbürgermeister stellte.

Als Desaster darf die Wahl auch für die CDU bezeichnet werden. Mit 13,4 Prozent landete Manuela Matz, bisher Wirtschaftsdezernentin in Mainz, nur knapp vor ihrer SPD-Konkurrentin. Auch Matz fiel, ähnlich wie von Jungenfeld, im Wahlkampf nicht durch ein Übermaß an Charisma auf. Ihre Aufgabe war aber auch undankbar: Bei der vergangenen Wahl im Jahr 2019 wartete die CDU gar nicht erst mit einem eigenen Kandidaten auf, sondern unterstütze den parteilosen Nino Haase, der sich – mittlerweile kommunalpolitisch profiliert – nun auch 2023 wieder zur Wahl stellte und als großer Gewinner aus dem Wahlabend hervorging.

Haase trat 2018 zum ersten Mal kommunalpolitisch in Erscheinung. Eine von ihm gegründete Initiative verhinderte den Bau des sogenannten Bibelturms, einer geplanten Erweiterung des Gutenberg-Museums. Die Initiative erzwang den ersten Bürgerentscheid in der Mainzer Geschichte, der zu Ungunsten der Stadtregierung um Ex-OB Ebling ausging. Das Projekt „Bibelturm“ war tot, Haase hatte sich in der Stadt einen Namen gemacht. 2019 verlor der im hessischen Obertshausen aufgewachsene Chemiker die Stichwahl gegen Ebling; 2023 konnte er im ersten Wahlgang über 40,2 Prozent der Stimmen jubeln.

Beobachter:innen sehen den 39-Jährigen vor der Stichwahl am Sonntag deutlich im Vorteil gegenüber seinem verbliebenen Konkurrenten Christian Viering (Grüne). Denn obwohl die CDU – anders als die SPD, die nun Viering unterstützt – keine offizielle Wahlempfehlung für Haase ausgesprochen hat, gilt dieser als verwurzelt und vernetzt im bürgerlichen Lager und dürfte einen Großteil der CDU-Wähler:innen auf seine Seite ziehen. Viering, der im ersten Wahlgang 23,7 Prozent erhielt, hofft auf die Stimmen von SPD- und Linken-Wähler:innen. Der 38-jährige Betriebsrat und Gewerkschafter lag bislang aber nur im studentisch geprägten Stadtteil Neustadt vor seinem Konkurrenten.

Wer auch immer die Wahl am Sonntag gewinnt, steht trotz des sanierten Stadthaushalts vor immensen Aufgaben. Das zarte Pflänzchen der erstarkenden Biotech-Industrie gilt es am Leben zu erhalten. Besonders Platzprobleme machen den expansionswilligen Unternehmen zu schaffen. Doch angesichts der steigenden Mieten konkurrieren Gewerbe- und Wohngebiete um den knapp bemessenen städtischen Raum. Das Radwegnetz ist mindestens ausbaufähig, ebenso wie anderweitig klimarelevante Infrastruktur. Kitaplätze und Erzieher:innen fehlen. Die Digitalisierung der Verwaltung steht an – eine Mammutaufgabe für jede Kommune.

Erkannt haben diese Probleme in Mainz alle, Wählerschaft wie Kandidierende. Sie sind im Alltag schwer zu übersehen. Angesichts eines blassen Wahlkampfs warten die Bürger:innen auf die konkreten Lösungsansätze des Siegers weiter mit Spannung.

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