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Wahl in Russland: Verdächtiges Ergebnis für „Einiges Russland“

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Von: Stefan Scholl

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Die Staatsduma in Moskau.
Die Staatsduma in Moskau. © AFP

Die Staatspartei siegt bei der Duma-Wahl trotz zahlreicher Beschwerden. Nach Einschätzung eines Politologens ist Putins Russland damit zur „puren Dikatur“ geworden.

Moskau - Die Handgreiflichkeiten gingen auch gestern weiter. Am Morgen wollte Boris Wischnewski, oppositioneller Stadtratsabgeordneter, bei der Verwaltung des Petersburger Zentralbezirks Protest gegen verdächtige Wahlergebnisse einlegen. Aber er wurde vor dem Gebäude von vier athletischen jungen Männern angerempelt, sie entrissen ihm seine Beschwerdepapiere. Ein nahebei stehender Polizist erklärte dem Politiker, er sei für so etwas nicht zuständig.

Die von Skandalen überschatteten Duma-Wahlen in Russland endeten wie erwartet mit einem deutlichen Sieg der Staatspartei „Einiges Russland“ (ER). Nach Auszählung von 99,7 Prozent der abgegebenen Stimmen lag Putins ER mit 49,8 Prozent vorne, ein Verlust von über vier Prozentpunkten, gefolgt von der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF) mit knapp unter 19 Prozent. Die Kommunisten legten fast fünf Prozentpunkte zu. Aber bei einer Wahlbeteiligung von offiziell 51,7 Prozent hielten sich die „Einheitsrussen“ offenbar in 195 der 225 Direktwahlkreise schadlos. Dort lagen ihre Kandidat:innen nach Angaben der Zentralen Wahlkommission (ZIK) gestern Nachmittag vorne. Und laut Interfax kann ER hoffen, mit voraussichtlich 315 Abgeordneten die Zweidrittelmehrheit im dem 450-Sitze-Haus zu verteidigen.

Duma-Wahl in Russland: Manipulationen haben schon Tradition

Die zwei anderen Parlamentsparteien „Liberaldemokratische Partei Russlands“ (LDPR) und „Gerechtes Russland für die Wahrheit“ lassen beide Federn und müssen sich mit 7,5 Prozent und 7,4 Prozent zufriedengeben. Dafür meistert die vergangenes Jahr gegründete Partei „Neue Leute“ mit 5,3 Prozent knapp die Fünf-Prozent-Hürde. Die übrigen neun teilnehmenden Parteien scheitern dagegen deutlich an dieser Hürde, auch die „Jabloko“-Partei, die als letzte liberale Oppositionskraft gilt.

Auch sämtliche Direktkandidat:innen des demokratischen Spektrums in Moskau blieben erfolglos. Unklar ist noch, ob einzelne Bewerber:innen kleinerer systemtreuer Wahlvereine wie der „Bürgerplattform“ oder der „Partei des Wachstums“ in die Duma gelangen. Aber nach Ansicht des Moskauer Politologen Juri Korgonjuk werden sie dort ebenso wie die „Neuen Leute“ kaum für Diskussionen sorgen. „Wenn sich ein Abgeordneter querstellt, wird ihm das Mandat erzogen.“

Ebenso traditionell wie der Sieg der Staatspartei sind inzwischen die Manipulationen, mit denen sie errungen werden. Bei der Wählerrechtsgruppe Golos gingen allein am dritten Tag der Abstimmung bis 20 Uhr 3281 Beschwerden wegen Wahlverstößen ein, davon 329, von denen Wahlbeobachtende, Journalist:innen oder Mitglieder der Wahlkommissionen betroffen waren. Laut Golos bemühten sich die Wahlbehörden, kritische Augenzeug:innen mit Hilfe der Polizei, aber auch gewalttätiger Kampfsportler:innen aus den Abstimmungslokalen zu beseitigen. ZIK-Leiterin Ella Pamfilowa gab bekannt, man habe über 25 000 Stimmzettel für ungültig erklärt. Und in Petersburg, wo der Druck auf die Wahlbeobachtenden besonders hoch war, schloss sie eine Annullierung der Ergebnisse in sechs bis sieben Wahllokalen nicht aus.

Wahl in Russland: Alexey Nawalnys App brachte keinen Erfolg für die Opposition

Die Hoffnung vieler Oppositioneller, es könne zu Protestwahlen kommen, bewahrheitete sich nicht. Wenig Erfolg zeigte auch die in den liberalen Medien lautstark als demokratische Geheimwaffe beschworene „Kluge Abstimmung“. Mit ihr wollten die Anhänger des Oppositionellen Alexej Nawalny die oppositionelle Wählerschaft in den Direktwahlkreisen für die stärksten Konkurrent:innen der ER-Kandidat:innen mobilisieren, vor allem für KPRF-Bewerber:innen. Aber gerade dort schnitten die Kommunisten und andere Oppositionelle noch schlechter ab als bei der Listenwahl.

In Moskau aber klemmte gestern der Computer, der das Ergebnis der elektronischen Wahlen hätte ausspucken sollen, angeblich hatten über zwei Millionen Hauptstädter:innen im Internet abgestimmt. 20 Stunden nach der Schließung der Wahllokale gab ZIK-Chefin Pamfilowa schließlich bekannt, man verschiebe die Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses auf Freitag. Oppositionelle befürchten massive digitale Manipulationen. Und der Sender TV Doschd veröffentlichte Screenshots des ZIK-Monitors: Danach machte Galina Chowanskaja, eine zurückliegende Kandidatin der Staatsmacht, bei der Auszählung der letzten 0,5 Prozent der Stimmen über sieben Prozent gut und entriss ihrer unabhängigen Konkurrentin Brjuchanowa so den Sieg.

Die ebenfalls benachteiligten Kommunisten wollen das Ergebnis der elektronischen Abstimmung in der Hauptstadt nicht anerkennen. Die Moskauer Stadtverwaltung ihrerseits gab gestern bekannt, sie werde drei von den Kommunisten beantragte Demonstrationen nicht gestatten. Anlass für das Verbot ist das ansonsten in Russland eher schlaff bekämpfte Coronavirus. Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow verkündete, man müsse das Wahlergebnis verteidigen, wie 1941 die Offiziersschüler der Roten Armee Moskau. Aber er riskierte keinen Aufruf, ohne Genehmigung der Behörden auf die Straße zu gehen. „Bisher war Putins Russland eine elektorale Diktatur“, sagt Politologe Korgonjuk. „Jetzt ist es zur puren Diktatur geworden.“ (Stefan Scholl)

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