Wagner-Söldner droht der Konkurrenzkampf – „Kreml wird sich nicht von einer Gruppe abhängig machen“
Der Kreml plant offenbar den Aufbau weiterer privater Militärfirmen im Ukraine-Krieg. Ein Experte erklärt im Gespräch mit Merkur.de die Hintergründe.
München – Die Gruppe Wagner ist im Ukraine-Krieg zu einem der wichtigsten Werkzeuge Russlands geworden. Die berüchtigten Söldner erlangten vor allem durch ihr rücksichtsloses Vorgehen in der Ostukraine größere Bekanntschaft in der breiteren Öffentlichkeit. Bei den seit Monaten andauernden Kämpfen um die Stadt Bachmut inszenierte sich Wagner-Finanzier Jewgeni Prigoschin als russischer Feldherr und beanspruchte jegliche offensive Erfolge für sich und seine Söldner.
Geheimdienstberichten zufolge könnte Prigoschin und seinen Söldner aber ausgerechnet jetzt degradiert werden. Der Kreml beschäftigt sich offenbar mit der Förderung und dem Aufbau alternativer PMCs. Hat die Wagner-Gruppe in Russland ausgedient?
Ukraine-Krieg: Kreml will offenbar Konkurrenz zur Wagner-Gruppe stärken
Das britische Verteidigungsministerium hatte am Dienstag in seinem Ukraine-Update berichtet, dass der Kreml trotz der durch die Söldner erreichten Erfolge Alternativen zur Wagner-Gruppe anstrebe. „Russland ist wahrscheinlich bestrebt, alternative private Militärunternehmen (PMCs) zu sponsern und zu entwickeln, um schließlich die Wagner Gruppe in ihrer bedeutenden Kampfrolle in der Ukraine zu ersetzen“, gab das Ministerium auf Twitter bekannt. Droht der Wagner-Gruppe nun die Degradierung durch den Kreml?

„Grundsätzlich ist es überhaupt kein neues Phänomen, dass der Kreml mit mehreren Gruppen zusammenarbeitet“, erklärte Andreas Heinemann-Grüder im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA. Moskau habe bereits in Syrien und zu Beginn des Ukraine-Konflikts 2014/15 diverse verschieden PMCs für Kampfhandlungen eingesetzt. Heinemann-Grüder ist Politikwissenschaftler und Professor an der Uni Bonn, sowie Senior Researcher am Bonn International Centre for Conflict Studies. Dort beschäftigt er sich hauptsächlich mit Politik und Konflikte im postsowjetischen Raum – unter anderem auch mit der Wagner-Gruppe.
Konkurrenz für die Wagner-Gruppe – Experte Heinemann-Grüder erklärt die Hintergründe
Als Erklärung für die Entscheidung des Kremls auf mehrere private Militärfirmen zu setzen, nannte Heinemann-Grüder zunächst auch taktische Gründe. „Diese Gruppen können immer nur lokal eingesetzt werden. Das heißt, sie können nicht flächendeckend eine ganze Armee ersetzen“, erklärte der Experte. „Wagner ist jetzt im Wesentlichen in Soledar und Bachmut aktiv, aber sie können eigentlich in dem Rest, der russisch kontrollierten Gebiete nicht aktiv werden. Insofern verbreitert man sozusagen die Truppen, in dem man mehrere davon hat.“
Vor wenigen Wochen gab es bereits Berichte, dass der Kreml die Zusammenarbeit mit der PMC Redut verstärken wolle, um sich unabhängiger von Wagner zu machen. Auch der russische Staatskonzern Gazprom plant nach Berichten des US-Thinktanks ISW offenbar den Aufbau einer privaten Sicherheitsfirma. Ob diese jedoch für Kampfeinsätze in der Ukraine oder lediglich zum Schutz von Pipelines und Gastankern angedacht ist, ist aktuell unklar. Nach Ansicht von Heinemann-Grüder konkurrieren diese Gruppierungen in Russland um die Gunst des Kremls. Dieser hatte Prigoschin und der Wagner-Gruppe im Ukraine-Krieg bislang eine Sonderrolle eingeräumt.
Prigoschin durfte sich demnach immer wieder mit kritischen Aussagen über die Taktik des Verteidigungsministeriums und die ausbleibenden Erfolge der russischen Armee profilieren. Doch damit könnte nun Schluss sein.
„Instrument für den Kreml“: Wagner-Gruppe könnte zunehmende Konkurrenz in der Ukraine bekommen
„Eine Gruppe wie Wagner wird auch im politischen System Russlands immer vorgeführt als lizenzierter Kritiker des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs. Insofern sind sie auch ein Instrument für den Kreml“, führte Heinemann-Grüder weiter aus. „Wagner könnte Verteidigungsminister Schoigu nicht kritisieren, ohne dass es dafür die Duldung vom Kreml gäbe. Um aus diesem Spiel, das der Kreml mit dem Verteidigungsministerium treibt, herauszukommen, ist es besser, wenn man noch weitere Truppen hat und nicht immer die Speerspitze von Wagner auf sich gerichtet sieht.“
Söldner-Armeen in der Ukraine: „Der Kreml wird sich nicht von einer Gruppe abhängig machen“
Bei dieser Art von Konkurrenzkampf sieht der Experte eine Analogie zum Stalinismus. Die Sowjetunion habe schon früher davon profitiert, „dass es immer eine gewisse Konkurrenz zwischen den verschiedene Sicherheitsapparaten gegeben hat“, sagte Heinemann-Grüder. „Diese Art von Ausspielen von verschiedenen Akteuren gegeneinander ist Teil der Betriebsweise. Es wäre aus Sicht von Wladimir Putin fatal, wenn er sich jetzt von einem andern Akteur gänzlich abhängig macht. Er wird immer Bälle im Spiel halten und mit denen jonglieren und sie gegeneinander ausspielen.“
„Die Konkurrenz ist funktional für das System. Weil man dadurch immer jemanden hat, mit dem man den anderen unter Druck setzten, kann“, erklärte der Experte. „Der Kreml wird sich nicht abhängig machen von einer Gruppe. Insofern wird Wagner Teil des Spiels bleiben und man wird sie hochziehen und wieder runterschicken. Dass eine Gruppe wie Wagner mal steigt und mal fällt, ist absolut normal.“
Prigoschin und seine Söldner werden also voraussichtlich auch weiterhin an den Kampfaktionen im Ukraine-Krieg beteiligt sein. Ihre Stellung als „Vorzeige-Söldner“ des Kremls könnten sie jedoch vorerst verlieren. Solange, bis sie für Präsident Putin wieder von Nutzen sein können. (fd)