Putins Truppe fürs Schmutzige

Die Söldner der russischen Wagner-Gruppe stärken immer mehr umstrittenen afrikanischen Herrschern den Rücken. Moskau versucht so, seinen Einfluss zu erweitern.
Bamako/Moskau – Verkehrte Welt. Während in Europa Hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um gegen die russische Invasion in der Ukraine zu protestieren, drücken in Bamako, der Hauptstadt Malis, Tausende Demonstrierende ihre Genugtuung über die „Militäraktion“ aus. Auf dem „Platz der Märtyrer“ halten sie Poster mit dem trotzigen Gesicht Wladimir Putins in die Höhe, schwenken das weiß-blau-rote Banner Russlands und lassen die blau-weiß-roten Flaggen Frankreichs in Flammen aufgehen. Auf Schildern steht „Merci Wagner“, und irgendwo kommt auch ein Bild des Komponisten Richard Wagner zum Vorschein. Was, um Gottes Willen, hat der Tannhäuser mit dem westafrikanischen Unruhe-Staat zu tun?
Dimitry Utkin, ehemaliger russischer Geheimdienstoffizier, hat seiner Söldner-Truppe den Namen des nationalistischen Gesamtkünstlers verpasst: Utkin werden Nazi-Sympathien nachgesagt, und Wagner war Hitlers Lieblingskomponist. Die von „Putins Koch“, Gastronomieunternehmer und graue Eminenz Jewgeni Prigoschin, finanzierte Truppe ist in zahlreiche heiße Konflikte der Welt verwickelt: Einst in Tschetschenien, dann im Donbass, schließlich in Syrien und Libyen. Seit Anfang des Jahres sind rund Tausend der insignienlosen Kämpfer auch in Mali aktiv, weswegen Frankreich die 5000 Fremdenlegionäre seiner Barkhane-Mission aus Mali abzieht. Die Militärherrscher des von islamischen Extremisten geplagten Staats bestreiten die Präsenz der russischen Profi-Kämpfer: Es handele sich lediglich um „militärische Ausbilder“, heißt es Bamako.
Wagner-Truppe: Brutales Vorgehen gegenüber Zivilbevölkerung
Doch inzwischen häufen sich die Berichte von brutalen Vorgehen der malischen Streitkräfte gegenüber der Zivilbevölkerung, die auf die Beteiligung der Wagner-Truppe an den Militäraktionen zurückgeführt werden. Die Armee will Ende der vergangenen Woche mehr als 200 islamistische Extremisten in der zentralmalischen Region Moura südlich der Provinzstadt Mopti getötet haben: In den sozialen Netzwerken wird behauptet, dass sich darunter auch zahlreiche Zivilpersonen, Frauen und Kinder befunden hätten.
Gut 100 Kilometer weiter südwestlich soll es bereits vor zwei Wochen zu einem Massaker in der Region um die Provinzstadt Segou gekommen sein: Dort hätten von den überwiegend blonden und blauäugigen Söldnern unterstützte malische Soldaten Dörfer überfallen und Zivilisten exekutiert, meldeten die französischen TV-Sender rfi und France 24: Bei einem besonders brutalen Überfall seien mehr als 30 Dorfbewohner:innen, darunter auch Kinder, gefesselt, mit Benzin übergossen und angezündet worden. Die Fernsehsender wurden von Bamakos Militärchefs daraufhin vom Netz genommen, ein UN-Bericht, der den Vorwürfen nachging, wird unter Verschluss gehalten. Ein deutsches Polizeikontingent, das unter dem Mandat des Staatenbunds in Mopti stationiert war, wurde jetzt aus Sicherheitsgründen abgezogen. Und die im Auftrag der UN-Mission Minusma tätigen Deutschen müssen ihre Drohnenflüge inzwischen mit einem dreitägigen Vorlauf in Bamako anmelden. Auf diese Weise solle verhindert werden, dass den Aufklärern Bilder von russischen Söldnern in die Hände geraten, ist ein deutscher Beobachter in Mali überzeugt.
Der Wagner-Truppe kommt ihr Ruf als gnadenlose Terminatoren gerade recht. Jetzt kann sie sich in Bamako als effiziente Anti-Terror-Einheit feiern lassen, die schon in Wochen erreicht habe, was den Franzosen in einer Dekade nicht gelang. Dass die tausend Söldner den Trümmerstaat tatsächlich befrieden können, gilt allerdings als ausgeschlossen.
Doch darauf käme es ihren Hintermännern auch gar nicht an, meint der deutsche Mali-Kenner. Der Kreml suche vor allem seinen Einflussbereich in Afrika zu vergrößern, um Russlands Großmacht-Anspruch wieder Gewicht zu verschaffen.
Russland: Kreml will Einfluss auf afrikanischem Kontinent vergrößern
Um anzudocken, pflegen die Kreml-Strategen afrikanische Staaten ins Visier zu nehmen, die entweder von Militärs regiert werden oder in Trümmern liegen. Wie Libyen, wo die Wagner-Truppe den Rebellengeneral Khalifa Haftar unterstützte; oder die Zentralafrikanische Republik (ZAR), in der sie den umstrittenen Präsidenten Faustin-Archange Touadéra im Sessel hält. Im Sudan stärken sie die Junta, die brutal gegen die demokratische Opposition vorgeht. Und in Mosambik wollte sie die Rebellen ausschalten, die sich den Erdgasinteressen der Regierung in den Weg gestellt hatten.
Allen diesen Staaten ist gemein, dass sie vom Westen gemieden werden, weil ihre Regierungsführung weder demokratischen noch den Prinzipien der Transparenz entspricht. Damit hat Putins Truppe fürs Schmutzige weniger Probleme: Ihr kommt es auf ihren Ruf als effiziente „Sicherheits-Profis“, auf die Etablierung russischer Brückenköpfe in Afrika – sowie auf ihre Bezahlung an. Weil die meisten der Trümmerstaaten über kein Bargeld verfügen, lässt sich die Wagner-Truppe über Schürfrechte honorieren: Der Geologe Sergei Laktionow reist im Auftrag der Wagner-Truppe meist schon vor der Vertragsunterzeichnung in das anvisierte Land, um dessen Bodenschätze zu inspizieren. In Mali und dem Sudan ist es vor allem Gold, in der ZAR sind es Diamanten, in Mosambik Edelsteine und Erdgas. In Zentralafrika sollen die russischen Söldner außerdem Abgaben auf Kaffee-Exporte erheben, wie das vor ihnen die heimischen Rebellentruppen taten – dem Ansehen der Wagner-Truppe hat das nicht geholfen.
Dabei ist den Russen ihre Reputation eigentlich so wichtig, dass sie sich mit den Vertreter:innen westlicher Staaten regelrechte PR-Schlachten liefern. 2019 schaltete Facebook zwei russische Netzwerke und ein französisches ab, weil sie „Manipulationskampagnen“ geführt hätten. Wie schon 2016 in den USA mischt sich die russische Troll-Armee gerne in Wahlkämpfe ein: Laut Facebook soll sie bei den Abstimmungen in acht afrikanischen Staaten „mitgewirkt“ haben. Der Name, der in diesem Zusammenhang am häufigsten fällt: Wagner-Finanzier Jewgeni Prigoschin und seine „Agentur für Internet-Erforschung“.
In der ZAR ließ sich Putins Koch etwas Besonderes einfallen. Er finanzierte zwei Kinofilme, in denen die Wagnerianer als Helfer mit beachtlicher Feuerkraft verherrlicht werden: Als größte Filmproduktionen, die in der ZAR jemals verwirklicht wurden, sorgten „Tourist“ und „Granit“ für Aufsehen. Die Premiere von „Tourist“ fand mit mehr als zehntausend Zuschauer:innen und im Beisein des Präsidenten im Stadion der Hauptstadt Bangui statt: Es habe sich um den Höhepunkt einer ganzen Dekade gehandelt, berichtet die britische Financial Times.
Die Botschaft der russischen PR ist simpel: Die Bösen sind die ehemaligen Kolonialnationen, vor allem Frankreich, die noch immer nur die Ausplünderung Afrikas im Auge hätten, während den Erben der sozialistischen Sowjetrepubliken an der Entwicklung des Kontinents gelegen sei. Mit der Wirklichkeit hat solche Propaganda nicht viel zu tun: Wenn es ein Gebiet gibt, in dem Russland in Afrika führend ist, dann der Waffenhandel. Rund ein Drittel des auf dem Kontinent verbreiteten Kriegsgeräts stammt aus dem Reich Putins: Dessen afrikanischen Freunde – Militärherrscher und Kriegsfürsten – liegt das Wohl ihrer Bevölkerung kaum mehr am Herzen als dem russischen Präsidenten die Zukunft der Ukraine.
Einem Bericht des britischen Geheimdienstes zufolge, kämpfen derzeit auch rund eintausend Wagner-Söldner in der Ukraine. Sie sollen auch den Auftrag erhalten haben, Präsident Wolodymyr Selenskyj zu töten. Gelungen ist das den gemieteten Kämpfern bislang bekanntlich nicht: Genauso wenig waren sie in Libyen und in Mosambik erfolgreich, wie sie ihre Missionen unverrichteter Dinge abbrechen mussten.
Ukraine-Krieg: Verändert Putins Invasion die Beziehungen nach Afrika?
Wie Putins Überfall auf die Ukraine seine Beziehungen in Afrika verändern wird, ist derzeit noch offen. Selbst nach Kriegsbeginn reiste der sudanesische Milizenführer und Vizepräsident, Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti), noch nach Moskau – gefolgt vom malischen Verteidigungsminister Sadio Camara und Luftwaffenchef Alou Boi Diarra. Die beiden Junta-Führer wurden einst in Moskau ausgebildet, ihre Russland-Liebe hat den Zusammenbruch des Sowjetreichs überdauert. Ihr derzeitiges Ziel ist, sämtliche noch in Mali stationierten westlichen Soldaten so schnell wie möglich loszuwerden. Vergangene Woche landeten drei malische Raketen direkt neben einem britischen Militärlager – „eine Warnung“, meint der deutsche Beobachter in Bamako. Noch sind mehr als eintausend Bundeswehrsoldaten in Mali stationiert: Ihre Zukunft wird sich spätestens im Mai entscheiden, wenn der Bundestag über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UN-Mission Unisma abstimmt.
Wie sich die malische Bevölkerung selbst ihre Zukunft vorstellt, bleibt – wie so oft auf dem Kontinent – im Dunkeln. Eine Meinungsumfrage soll ergeben haben, dass sich „mehr als 87 Prozent“ der Malier:innen von der Wagner-Truppe beschützen lassen wollen: Die Umfrage war allerdings von Prigoschins PR-Armee durchgeführt worden. Auch die eingangs erwähnten prorussischen Demonstrationen in Bamako werden Medienberichten zufolge von Malis Militärs inszeniert. Aller Voraussicht nach wird die Reputation der Wagnertruppe ungefähr jener Kurve folgen, wie sie der Reporter der „Financial Times“ aus der ZAR beschrieb: „Erst herrschte riesige Hoffnung, dann Ehrfurcht vor der Professionalität der Truppe, gefolgt von Enttäuschung und schließlich: blankes Entsetzen.“ (Johannes Dieterich)