1. Startseite
  2. Politik

„Wächter und Korrektiv“

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Joachim Wille

Kommentare

In Feierlaune: In München freut sich die Anti-Atomkraft-Bewegung über das Ende des Atomzeitalters in Deutschland. Imago Images
In Feierlaune: In München freut sich die Anti-Atomkraft-Bewegung über das Ende des Atomzeitalters in Deutschland. © Imago

Wolfgang Ehmke, ein Atomgegner der ersten Stunde, über die künftige Rolle der Anti-AKW-Bewegung und die Suche nach einem Endlager.

Herr Ehmke, Sie sind einer der führenden Köpfe der Anti-Atom-Bewegung und haben den Protest mehr als vier Jahrzehnte lang als Gegner des Endlagers Gorleben mit angeführt. Nun sind die letzten drei AKW abgeschaltet worden. Wie haben Sie den Tag erlebt?

Ich war auf der Kundgebung in Neckarwestheim in Baden-Württemberg und habe dort gesprochen. Es war eine große Freude, den Tag an einem der letzten AKW, die dann heruntergefahren werden, mitzuerleben. Aber es bleibt, nach einem halben Jahrhundert Auseinandersetzung um die Atomkraft, mehr als ein Haar in der Suppe. Die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen sind bekanntlich vom Atomausstieg ausgeschlossen. Und die Politik klammert sich immer noch an den Schacht Konrad bei Salzgitter als Atommülllager für die schwach- und mittelaktiven Abfälle, der aus unserer Sicht dafür nicht geeignet ist. Außerdem gibt es den Sanierungsfall des Atomlagers Asse II.

Wie stark ist die Bewegung überhaupt noch? Nach dem Ausstiegsbeschluss von 2011, der von einer CDU-Kanzlerin Merkel angeführt wurde, war die Luft doch ziemlich raus …

Die Höhepunkte liegen in der Vergangenheit, keine Frage. In Wyhl schon in den 1970er Jahren, gefolgt von der Brokdorf-Auseinandersetzung in den 1980ern, parallel dazu entbrannten die Konflikte um Gorleben und Wackersdorf. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde aus dem Anti-Atom-Protest eine Massenbewegung, denn plötzlich war klar, dass das „Restrisiko“ beim Reaktorbetrieb nicht hypothetisch, sondern höchst real war. In Bürgerbewegungen gibt es immer ein Auf und Ab, und die Menschen engagieren sich nicht mehr, wenn sich die Sache mehr oder weniger erledigt hat. Der Widerstand gegen die Castor-Transporte nach Gorleben allerdings war mehr als 40 Jahre lang aktiv.

Aber jetzt ist Gorleben abgehakt.

Den Staffelstab haben wir an die jüngere Generation weitergereicht, die sich für Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzt. Das gelbe Widerstands-X aus dem Wendland ist weitergewandert, unter anderem nach Lützerath.

Braucht es die Anti-AKW-Bewegung hierzulande jetzt überhaupt noch?

Es braucht nicht nur an den genannten Brennpunkten, sondern auch an den 16 atomaren Zwischenlager-Standorten Initiativen, die sich als Wächter und Korrektiv verstehen. Ihre Aufgabe ist es, Öffentlichkeit herzustellen.

Warum? Keiner glaubt ernsthaft, dass am Atomausstieg noch einmal gerüttelt wird, auch wenn FDP, Union und AfD dafür plädieren – und obwohl Bayerns Ministerpräsident Söder AKW nun sogar in Eigenregie des Landes betreiben will.

Söder weiß wohl selbst, dass das keine Chance hat. Aber trotzdem: Jetzt anzunehmen, dass Behörden- und Firmenhandeln ausreicht, um die Atommüll-Frage zu klären, wäre naiv. Ein Beispiel: Da die Endlagersuche sich so lange verzögert, wie es sich jetzt abzeichnet, muss der hochradioaktive Atommüll in den Lagerhallen an den AKW-Standorten rund 100 Jahre aufbewahrt werden. Das setzt völlig neue Maßstäbe für die Sicherheit und den Schutz der Zwischenlager vor Sabotage oder möglichen Terrorschlägen. Und im Kriegsfall könnte man sowieso nichts machen als zu hoffen, dass diese Anlagen nicht angegriffen werden – da reicht ein Blick in die Ukraine nach Saporischschja, wo selbst die internationale Atombehörde IAEO hilflos agiert.

Wieso war die Anti-AKW-Bewegung hierzulande erfolgreich, in vielen anderen Ländern dagegen nicht?

Das hat mit der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tun. Die Anti-Atom-Initiativen entwickelten sich in der Tradition der vom Zweiten Weltkrieg geprägten Bewegungen gegen Remilitarisierung, Atombewaffnung und später dann den Nato-Doppelbeschluss. Zugang zum Nuklearsektor zu bekommen, war ja für die Unionsparteien zu Zeiten von Kanzler Adenauer und seinem ersten Atomminister Franz-Josef Strauß eine starke Triebfeder gewesen. Das staatliche Atomprogramm wurde der Energiewirtschaft förmlich aufgezwungen. Die Anti-AKW-Bewegung stritt dafür: Deutschland sollte keine Atommacht werden, auch nicht über den Umweg Kernkraft.

„Es war eine große Freude“, sagt Atomkraftgegner Wolfgang Ehmke – hier bei einer Protestaktion 2016 – zur Abschaltung der AKW. epd
„Es war eine große Freude“, sagt Atomkraftgegner Wolfgang Ehmke – hier bei einer Protestaktion 2016 – zur Abschaltung der AKW. © epd

Zur Person

Wolfgang Ehmke (75) ist langjähriger Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, er engagiert sich seit der Standortbenennung Gorlebens 1977 in der Anti-Atom-Bewegung. Aufgewachsen im Wendland, war er Lehrer an einem beruflichen Gymnasium in Hamburg sowie von 2004 bis 2008 Fachberater Deutsch an der deutschen Botschaft in Ankara. Ehmke ist heute Dozent in Sprachkursen für Geflüchtete und Lehrbeauftragter der Leuphana Universität in Lüneburg.

Seine Erfahrungen im Gorleben-Protest hat er in seinem jüngst erschienenen Buch „Das Wunder von Gorleben. Der Beitrag des Wendlands zur Energiewende“ (Köhring Verlag,9,80 Euro) niedergelegt. jw

In anderen Ländern, in den es ebenfalls eine starke Bewegung gab, wird der beschlossene Ausstieg nun sogar zurückgedreht, in den Niederlanden und Schweden zum Beispiel. Beschreitet Deutschland hier nicht einen Weg, der es zunehmend isoliert?

Deutschland ist überhaupt nicht isoliert. In Europa betreiben nur 13 der 27 EU-Staaten Atomkraftwerke, also weniger als die Hälfte. Und ich sage voraus: Der deutsche Atomausstieg wird Schule machen, weil die Zukunft den erneuerbaren Energien gehört.

Hierzulande ist die Suche nach einem Endlager 2013 neu gestartet worden. Läuft das gut?

Die Bürgerbeteiligung muss besser geregelt werden. Aber dass der Salzstock Gorleben schon im ersten Untersuchungsschritt aufgrund der geologischen Analyse herausfiel, hat die Glaubwürdigkeit des Verfahrens gestärkt.

Droht nicht trotzdem überall ein neues Gorleben, wo ein Standort ausgewählt wird?

Eine Haupt-Triebkraft der Anti-Atom-Bewegung war ja die ungelöste Entsorgungsfrage, während die Reaktoren in Betrieb liefen und permanent neuen Nuklearmüll produzierten. Der Atomausstieg hat es möglich gemacht, dass auch Atomgegner:innen und die großen Umweltverbände bereit waren, sich bei der Endlagersuche mit einzubringen. Trotzdem: Es wird Abwehr und Proteste geben, sobald klar wird, welche Regionen im Fokus der Endlagersuche stehen.

Was muss geschehen, damit die betroffenen Bürger:innen ein Endlager akzeptieren können?

Es braucht Transparenz, Mitsprache, Klagerechte, und vor allem müssen betroffene Regionen, Gemeinden und die Zivilgesellschaft in die Lage versetzt werden, wissenschaftliche Gutachten zu ihren Fragestellungen in Auftrag zu geben.

Letze Frage: Ist bei sich zuspitzender Klima- und Energiekrise für Sie ein Szenario denkbar, in dem Deutschland doch wieder auf Atomkraft setzt? Falls es einmal Reaktoren gibt, die völlig sicher und preiswert sind und vielleicht sogar Nuklearmüll vernichten?

Nein, einfach nein. Solche Reaktoren wird es, nach allem, was bekannt ist, nicht geben. Den Klimaschutz erreichen wir am schnellsten und preiswertesten, wenn wir die Energie- und Mobilitätswende voranbringen, Das ist in jedem Fall enkeltauglicher als Atomkraft.

Auch interessant

Kommentare