Gut vorbereitete Polizei-Zeugen

Der Verteidiger eines Angeklagten in einem G20-Prozess erhebt schwere Vorwürfe: Beamte aus Hessen sollen ihre Aussagen vor Gericht unerlaubt abgesprochen haben.
Die umstrittene Öffentlichkeitsfahndung der Hamburger Polizei nach mutmaßlichen Tätern der G20-Ausschreitungen sorgt weiter für Streit. Längst beschäftigen aber auch Prozesse zu den Geschehnissen die Gerichte der Hansestadt. Jetzt erhebt der Verteidiger eines russischen Angeklagten schwere Vorwürfe: Polizisten sollen sich auf unerlaubte Weise auf ihre Zeugenaussagen vorbereitet haben.
Während der Befragung der Beamten im Prozess vor dem Hamburger Amtsgericht sei deutlich geworden, dass sie vorab Zugriff auf Protokolle ihrer eigenen Vernehmung als Zeugen hatten, bestätigte der Rechtsanwalt Alexander Kienzle der FR. Zuerst hatte die „taz“ über den Fall berichtet.
Die Beamten einer hessischen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) aus Mühlheim am Main sollten vor Gericht ihren Einsatz im Sommer schildern. Ein Polizist habe eingeräumt, dass das Hamburger Landeskriminalamt Beamten, die als Zeugen aussagen mussten, ihre Vernehmungsprotokolle mitgab und er diese und andere Unterlagen in einer „Privatakte“ gesammelt habe, sagt Kienzle. „Das ist systemwidrig“, kritisiert er. „Damit wird die Beweisaufnahme manipuliert.“ Vor Gericht käme es ja gerade darauf an, Aussagen auf Widersprüche abzuklopfen und die Erinnerungsfähigkeit von Zeugen zu prüfen. Das sei aussichtslos, wenn diese sich derart vorbereiten können. Der Polizist habe selbst eingeräumt, dass er wohl gegen den hessischen Aktenführungserlass verstoßen habe.
Ein anderer Polizist habe zudem von einem Ordner berichtet, der in der hessischen Dienststelle angelegt worden sei und in dem alle Vernehmungen der Polizisten und andere Akten aus dem Verfahren allen zugänglich waren, sagt Kienzle. Der Vorgesetzte des Zeugen habe später betont, dass es gegen die Dienstordnung verstoße, wenn Beamte auch die Aussagen ihrer Kollegen hätten lesen können. Genau das sei aber passiert, ist Kienzle aufgrund der Aussage der Beamten überzeugt. Strafbar ist das aber wohl nicht.
Dem Angeklagten in dem Prozess wird vorgeworfen, bei den G20-Protesten Flaschen in Richtung von Polizisten geworfen zu haben und sich bei seiner Festnahme und der erkennungsdienstlichen Behandlung gewehrt zu haben. Darüber sollten die hessischen Beamten Auskunft geben. Der erste Anklagepunkt sei bereits fallengelassen, sein Mandant nach viereinhalb Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden, sagt Kienzle.
Kriminologe: Polizisten für Justiz besonders glaubwürdig
Polizeizeugen würden sich häufig besonders auf ihre Aussage vor Gericht vorbereiten, weil sie oft in vielen verschiedenen Verfahren gehört werden, sagt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum. Absprachen liefen aber dem Zweck der Wahrheitsfindung zuwider. „Allein der Verdacht ist schon problematisch.“ Die Justiz neige ohnehin dazu, Aussagen von Polizisten als besonders glaubwürdig einzustufen und unterschätze, dass bereits kollegiale Gespräche die Erinnerung verfälschen könnten.
Das hessische Innenministerium und das zuständige Polizeipräsidium wollten sich unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht zu dem Fall äußern.
Seit Montag fahndet die Hamburger Sonderkommission „Schwarzer Block“ online mit Fotos nach mehr als 100 Verdächtigen in Zusammenhang mit den G20-Krawallen. Bis Mittwochmittag seien mehr als 90 Hinweise eingegangen und sechs Verdächtige identifiziert worden, sagte eine Polizei-Sprecherin der FR.
An dem Vorgehen wird aber auch Kritik laut: Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke monierte etwa, „Steckbriefe wie zu Zeiten der RAF-Hysterie und Telefonhotlines öffnen Denunziantentum Tür und Tor“. Die Polizei wolle so von eigenen Verfehlungen ablenken.
Die richterlich genehmigte Fahndung sei „die richtige Antwort auf die brutalen Gewalttäter“, sagte hingegen Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßte das Vorgehen. Der hessische Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft teilte unterdessen mit, Beamte hätten „Angst um ihre Sicherheit“, weil aus der linken Szene Fotos von Polizisten online gestellt wurden.