Ukraine-Krieg: Vom Donbass bald auf die Krim?
Die Kämpfe in der Ukraine sind zäh, der Krieg zieht sich dadurch nur in die Länge. Derweil nennt Wolodymyr Selenskyj die Befreiung der Krim als ein Ziel.
Sjewjerodonezk – Die Schlacht um Sjewjerodonezk nähert sich ganz offensichtlich ihrem Ende: Die russische Armee hat Brücken der letzten drei Zufahrtsstraßen zu der Stadt zerstört; damit sind die nur noch in Randgebieten des Trümmerfeldes kämpfenden ukrainischen Verbände praktisch abgeschnitten von allem Nachschub. Um ein zweites Asowstal wie in Mariupol zu verhindern, werden sie wohl sehr bald versuchen müssen, auszubrechen. Wie viele Zivilpersonen sie mitnehmen können – und ob – das wird man bestenfalls wissen, wenn alles vorbei ist.
Es bleibt auch unklar, ob die ukrainischen Truppen sich überhaupt werden zurückziehen können. Nach Aussagen des Donbass-Gouverneurs Serhij Hajda beherrscht die russische Artillerie das Schlachtfeld. Die ukrainischen Stäbe und Frontkommandeure betteln schon beinahe um schnellstmögliche Lieferung westlicher Geschütze.

Ukraine-Konflikt: Kiew wünscht sich deutsche Panzerhaubitzen
Munition scheint weiterhin in Mengen vorhanden, nur die Kanonen nicht. Die russische Luftwaffe hat in den zurückliegenden Monaten wiederholt feste Artilleriestellungen der Ukrainer zerstören können. Auch daher kommt der Ruf Kiews nach den deutschen Panzerhaubitzen 2000, die neben anderen Vorteilen auch den haben, ihren Standort schneller wechseln zu können, als russische Beobachter sie orten können.
Und so entwickelt sich dem Ende entgegen, was der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj just als „die brutalste Schlacht in Europa“ seit dem Zweiten Weltkrieg deklariert hat: Sjewjerodonezk würde so in die Geschichtsbücher eingehen. Der Kampf um die strategisch fast bedeutungslose Stadt hat auch angesichts des absurden, sich ineinander Verbeißens der Kontrahenten dort alles Zeug dazu, zu einem Sinnbild des sinnlosen Krieges zu werden.
Ukraine-Konflikt: Sjewjerodonezk als Sinnbild des sinnlosen Krieges
Ein trauriges Sinnbild mehr in der Ukraine. Nach Babyn Jar und anderen von vor 1945 nun Butscha, Mariupol, Charkiw, Sjewjerodonezk... Die Liste wird sich auf unbestimmt fortsetzen.
In den vergangenen Tagen gab es einen eigentümlichen verbalen Kampf weltweit darum, wie lange der Konflikt noch andauern würde. Der optimistischste Fall wäre der kommende Herbst – das scheint mit jedem weiteren Kriegstag immer weniger real. Russische Militärplaner sollen ihren schon mehrfach verschobenen Sieg mit irgendwann 2023 datieren.
Ukraine-Konflikt: Selenskyj kündigt Befreiung der Krim an
Kiew bleibt dabei, dass Spekulationen um ein Enddatum unanständig sind. Dafür überrascht Selenskyj einmal mehr, indem er ein ukrainisches Kriegsziel benennt, das weit über den zuletzt genannten Frontverlauf von vor dem 24. Februar hinausreicht: Befreiung der Krim. Eine Befreiung wäre das tatsächlich – im Gegensatz zu der „Befreiung“ der Ukraine durch Russland.
Befreiung oder „Befreiung“ – beides scheint an diesem 112. Tag des Krieges vermessen. Russland schickt ungeübte Freiwillige und Reservisten an die Front und entmottet veraltetes Kriegsgerät. Die Ukraine versucht den steten Verlust an Menschen und Material irgendwie auszuhalten. Im Donbass ermüdet gerade der Krieg. Was ihn leider keinen Deut weniger blutig macht. (Peter Rutkowski)