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Weil Verdi 10,5 Prozent fordert: Ist das die neue Messlatte für alle Gehaltsgespräche?

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Von: Max Müller

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Auch die Kleinsten machen mit: Ende Februar ziehen mehrere Tausend Streikende des öffentlichen Diensts durch die Wuppertaler Innenstadt.
Auch die Kleinsten machten mit: Ende Februar zogen mehrere Tausend Streikende durch die Wuppertaler Innenstadt. © Thomas Banneyer/dpa

10,5 Prozent mehr Geld fordert Verdi, mindestens aber 500 Euro. Kann man das auf die freie Wirtschaft übertragen? Ein Ökonom sieht dabei vor allem eine Gefahr. 

Köln – Verdi-Chef Frank Werneke gibt sich selbstbewusst: „Wir machen keinen Bückling vor den Arbeitgebern und werden nicht einknicken“, sagte er der Augsburger Allgemeinen. Acht Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 300 Euro und eine Einmalzahlung von 3.000 Euro: Das reicht der Gewerkschaft nicht. Nach Ende der Schlichtung sollen die Tarifverhandlungen am 22. April fortgesetzt werden.

Es sind nicht die einzigen Lohnverhandlungen, die aktuell geführt werden. Jeden Tag fragen Angestellte, ob, wann und wie viel mehr Gehalt sie bekommen können. Für diejenigen dürfte sich die Frage stellen: Sind die 10,5 Prozent eine realistische Orientierungsgröße?

Lohnerhöhungen: Es kommt auf die Branche an

Karl Brenke kann wenig Hoffnung machen. „Die allerwenigsten Betriebe sind in der Lage, 10,5 Prozent mehr Lohn zu zahlen“, sagt der Experte für Arbeitsmarkt- und Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Nehmen wir die Industrie, da gab es bereits im letzten Jahr mit vier Prozent mehr Lohn moderate Erhöhungen. Viel wichtiger ist aber: Die Industrie-Gewerkschaften wissen, dass ihnen mit Blick auf den internationalen Wettbewerb die Hände gebunden sind. Wenn sie 10,5 Prozent durchsetzen würden, kämen Teile der deutschen Industrie enorm unter Druck. Das würde Arbeitsplätze kosten.“

Etwas anders sehe es im Bereich der Dienstleistungen aus. „Da ist der internationale Wettbewerb nicht so stark. Insofern können Arbeitnehmer wesentlich breitbeiniger auftreten“, sagt Brenke. „Zur Wahrheit gehört ja auch, dass viele Beschäftige im Öffentlichen Dienst wenig verdienen. Durch die Forderung, dass es 500 Euro mehr sein sollen, würden hier einige sogar mehr als 10,5 Prozent Lohnsteigerung bekommen.“

„Damals haben auch einige gedacht: Zehn Prozent mehr möchte ich auch haben“

Brenke erinnert die Diskussion an die schrittweise Erhöhung des Mindestlohns. Der lag Ende 2021 noch bei 9,60 Euro. Seit 1. Oktober 2022 beträgt er 12 Euro, eine Steigerung um 25 Prozent. „Damals haben auch einige gedacht: 25 Prozent sind vielleicht etwas viel, aber zehn Prozent mehr möchte ich auch haben. Das ist aber eine Illusion. Von diesen Zahlen geht kein Signal aus, weil wir einfach über ein niedriges Grundniveau sprechen.“ Insofern sei auch keine groß angelegte Abwanderung in den Öffentlichen Dienst zu befürchten. „Wem es ums Geld geht, der arbeitet nicht im Öffentlichen Dienst“, sagt Brenke.

Trotz Lohnerhöhungen, wie hoch sie auch immer ausfallen mögen, bleibt die bittere Erkenntnis: Im Schnitt hat jeder Deutsche weniger in der Tasche. Das ist angesichts von 7,9 Prozent Inflation im Jahr 2022 und nur 3,5 Prozent Lohnsteigerung einfache Mathematik. „Insofern sind die 10,5 Prozent absolut nachvollziehbar, das ist nicht mehr als ein Inflationsausgleich“, sagt Brenke. „In der Schuldfrage, sofern man sie überhaupt stellen kann, sollte der Finger nach Berlin und Brüssel zeigen. Wir erleben gerade die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen. Energie ist so teuer wie nie, das trifft die gesamte Wirtschaft extrem. Das sind wirtschaftliche Einschnitte, die absehbar waren.“

Der Ökonom ist noch wegen einer anderen Entwicklung alarmiert. „Wir müssen eine Preis-Lohn-Spirale unbedingt verhindern. Wenn nämlich die Löhne jetzt weiter steigen, könnten die Preise wieder nachziehen – und dann schaukelt sich das immer weiter hoch. Dann verdienen Angestellte bei Post und Bahn zwar mehr, aber die Tickets und das Porto ziehen auch an. Und dann heißt es: Wir müssen die Löhne wieder anheben, weil alles so teuer geworden ist“, sagt Brenke.

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