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Riskanter Machtpoker in USA: Die Folgen vom Streit um die Schuldenobergrenze einfach erklärt

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Von: Johanna Soll

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Warum streiten die Demokraten mit den Republikanern so erbittert um das Schuldenlimit? Sollte Joe Biden einen Alleingang wagen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Washington, D.C. – Schon seit Wochen tobt in den USA zwischen den regierenden Demokraten und den oppositionellen Republikanern ein heftiger Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze. Immer wieder werden Verhandlungsfortschritte gemeldet und kurze Zeit später heißt es, eine kurzfristige Einigung sei doch nicht in Sicht. Dabei drängt die Zeit, denn schon Anfang Juni könnten die USA zahlungsunfähig werden – mit katastrophalen Folgen. Was heißt das? Alle Fragen und Antworten im Überblick:

Was hat es mit der Schuldenobergrenze in den USA auf sich?

Die USA geben mehr Geld aus als sie einnehmen und sind daher verschuldet. In unregelmäßigen Abständen legt der Kongress ein neues Kreditaufnahmelimit für die Neuverschuldung fest – die Schuldenobergrenze. Seit sie 1917 eingeführt wurde, wurde die Schuldenobergrenze mehr als hundertmal erhöht. Derzeit liegt sie bei 31,4 Billionen Dollar (rund 29 Billionen Euro) und ist bereits seit Mitte Januar erreicht. Seitdem greift US-Finanzministerin Janet Yellen auf „außergewöhnliche Maßnahmen“ zurück, um die Schulden der USA zu bedienen, weil keine neuen aufgenommen werden können. Am 1. Juni, so Yellen, werden die letzten Notreserven aufgebraucht sein, sodass den USA erstmals in ihrer Geschichte ein Zahlungsausfall droht, der „default“.

Der Zahlungsausfall ist nicht zu verwechseln mit der Haushaltssperre, dem „government shutdown“. In den vergangenen dreißig Jahren kam es bereits viermal zum „shutdown“. Dem ging ein Haushaltsstreit im Kongress voraus, mit der Folge, dass Beamtinnen und Beamte vorübergehend nicht bezahlt werden und Nationalparks zeitweise schließen. Allerdings werden notwendige Aufgaben noch immer übernommen, auch wenn die Staatsbediensteten übergangsweise nicht bezahlt werden, bis sich die Regierung auf einen Haushalt einigt. Ein „default“ hätte nach Experteneinschätzungen weitaus gravierendere Folgen.

US-Präsident Joe Biden (r.) verhandelt mit Kevin McCarthy, dem republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, über die Anhebung der Schuldenobergrenze
US-Präsident Joe Biden (r.) verhandelt mit Kevin McCarthy, dem republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, über die Anhebung der Schuldenobergrenze © SAUL LOEB / AFP

Warum streiten Demokraten und Republikaner über die Anhebung der Schuldengrenze?

Bisher haben sich beide Parteien immer darauf geeinigt, das Schuldenlimit der USA per Gesetz anzuheben. Allein während der Amtszeit von Ex-US-Präsident Donald Trump wurde die Schuldenobergrenze dreimal angehoben, mithilfe der Demokraten und ohne Bedingungen. Das entsprechende Gesetz muss sowohl das Repräsentantenhaus als auch den Senat passieren und vom Präsidenten unterzeichnet werden. Die Republikaner, die eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, nutzen diesmal die Schuldenobergrenze, um „die Wirtschaft als Geisel zu nehmen“, wie Präsident Joe Biden es ausdrückt.

Die Republikaner um den Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, wollen die Staatsverschuldung mit Austeritätspolitik verringern. Sie wollen diverse Sparmaßnahmen durchboxen und nutzen den drohenden Zahlungsausfall der USA als Versuch, ihre rechtslibertäre Agenda durchzusetzen, die andernfalls im Kongress keine Chance hätte, weil die Demokraten die Mehrheit im Senat haben.

Was wollen die Demokraten?

Die Forderung der Demokraten ist einfach: Sie wollen ein Gesetz, das ausschließlich eine neue Schuldenobergrenze festlegt, damit die USA ihre Rechnungen auch weiterhin bezahlen können. Ein solcher „clean bill“ würde keine Regelungen zu Budgetkürzungen oder andere Sparmaßnahmen enthalten.

Was fordern die Republikaner?

Nach Auffassung der Republikaner sollen vor allem Arme und Menschen mit mittlerem Einkommen dafür herangezogen werden, die Staatsverschuldung zu senken. Steuererhöhungen für Reiche und große Unternehmen sowie Kürzungen bei den Militärausgaben schließen die Republikaner hingegen aus. Sie stellen folgende Bedingungen für eine Anhebung der Schuldenobergrenze:

Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner ein Gesetz verabschiedet, das als Grundlage für die Verhandlungen zwischen Biden und McCarthy dient. Gibt Biden nach, wäre ein Großteil seiner politischen Errungenschaften dahin, und mit ihnen möglicherweise auch seine Wiederwahlchancen bei der Präsidentschaftswahl 2024.

Was passiert, wenn sich die Parteien nicht rechtzeitig einigen?

Yellen hat kürzlich nochmals betont, dass es sich beim 1. Juni um eine „harte Deadline“ handelt. Fachleute warnen bei einem US-Zahlungsausfall vor einer Rezession der weltgrößten Volkswirtschaft, die auch zu einer globalen Finanzkrise führen könnte. Die genauen Folgen sind nicht absehbar, da es noch nie einen selbst herbeigeführten Zahlungsausfall in den USA gab. Zu erwarten wären Beben an den Finanzmärkten und ein Abverkauf amerikanischer Staatsanleihen, da diese dann nicht länger als sicher gälten.

Das US-Finanzministerium müsste priorisieren, welche Zahlungen mit staatlichen Einnahmen vorgenommen werden und welche nicht. Ausländische Gläubiger wie China würden wahrscheinlich Zahlungen erhalten, US-Unternehmen mit öffentlichen Aufträgen oder Rentnerinnen und Rentner eventuell nicht. Fachleute gehen davon aus, dass im Fall eines „defaults“ in den USA vor Gericht darüber gestritten würde, wer Geld erhalten soll.

Unter US-Präsident Barack Obama kam es 2011 zu einem drohenden Zahlungsausfall der USA, weil sich der Kongress nicht auf eine neue Schuldenobergrenze einigen konnte. Damals drohte die Ratingagentur Standard & Poor‘s den USA im Fall der Zahlungsunfähigkeit mit einer radikalen Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit. Damals einigten sich die Parteien gerade noch rechtzeitig und verhinderten einen „default“.

Gibt es eine Alternative zur Einigung?

Es sind insbesondere die rechtsextremen Republikaner im Kongress, die sich gegen eine Einigung mit den Demokraten stemmen und auf ihren Forderungen nach Ausgabenkürzungen bei gleichzeitiger steuerlicher Verschonung von Reichen und Konzernen beharren. Doch es gäbe auch eine Alternative für die Demokraten zu Verhandlungen mit den Republikanern: ein Alleingang Bidens.

Dazu müsste er sich auf den 14. Zusatzartikel der Verfassung berufen, der die USA dazu verpflichtet, ihre Staatsschulden zu bedienen. Der linke parteilose Senator Bernie Sanders und auch progressive Demokraten, wie der Senator von Pennsylvania, John Fetterman und die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez drängen darauf. Manche Verfassungsexperten sind der Ansicht, der 14. Zusatzartikel setze die gesetzliche Schuldenobergrenze außer Kraft und ermöglicht somit, ohne Zustimmung des Kongresses neue Kredite aufzunehmen.

Allerdings besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Republikaner gerichtlich gegen einen solchen Alleingang Bidens vorgehen würden. Schlussendlich müsste dann der Supreme Court, mit seiner rechten Mehrheit von sechs zu drei Richterinnen und Richtern darüber entscheiden, ob Biden verfassungsgemäß gehandelt hat. Bis zu einer Entscheidung und möglicherweise auch darüber hinaus bestünde weiterhin Unsicherheit über die Zahlungsfähigkeit der USA. (Johanna Soll)

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