US-Atombomben bleiben

Außenminister Westerwelle hatte den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland zu einem Kernziel seiner Außenpolitik erklärt. Jetzt knickt die Bundesregierung bei der Nato ein. Die Waffen bleiben nicht nur, sie werden sogar modernisiert.
Von Bettina Vestring
Außenminister Westerwelle hatte den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland zu einem Kernziel seiner Außenpolitik erklärt. Jetzt knickt die Bundesregierung bei der Nato ein. Die Waffen bleiben nicht nur, sie werden sogar modernisiert.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich in aller Stille von einem ihrer wichtigsten außenpolitischen Ziele verabschiedet: Dem Abzug der US-Atombomben aus Deutschland. In der Nato erklärte sich Berlin in aller Form damit einverstanden, dass die amerikanischen Waffen im Land bleiben und sogar mit Milliarden-Aufwand modernisiert werden. Zudem will die Bundeswehr etwa 250 Millionen Euro ausgeben, um ihre Tornado-Kampfflugzeuge, von denen die US-Atombomben im Kriegsfall abgeworfen werden sollen, noch bis zum Jahr 2024 einsatzfähig zu halten.
Diese Kehrtwende in der deutschen Abrüstungspolitik ist vor allem für Außenminister Guido Westerwelle schmerzhaft. Der Abzug der US-Atombomben aus Deutschland war die vielleicht wichtigste außenpolitische Initiative des FDP-Politikers, die er 2009 sogar im Koalitionsvertrag verankerte. Insgesamt haben die USA in Europa noch schätzungsweise 180 bis 200 Atombomben gelagert, davon sollen sich 10 bis 20 auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel befinden.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist völlig unklar, gegen wen diese Waffen jemals eingesetzt werden sollen; die USA selbst reduzierten ihre Anzahl bereits in den 90er Jahren um rund 90 Prozent. Dennoch wehrten sich vor allem Frankreich, die Türkei und die osteuropäischen Nato-Staaten gegen den Abzug der letzten Atombomben, weil sie dadurch den Zusammenhalt der Allianz gefährdet sehen. Andere Mitgliedsstaaten bestehen darauf, dass zunächst Russland sein noch sehr viel umfangreicheres Arsenal an taktischen Atomwaffen reduzieren müsse.
Kernkomponente der Abschreckung
Wie die Berliner Zeitung von Militärexperten erfuhr, gab die Bundesregierung ihre Position bereits beim Nato-Gipfel Ende Mai in Chicago auf. Dort erklärten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Westerwelle in einer gemeinsamen Erklärung der 28 Nato-Staaten damit einverstanden, dass die Nato an den taktischen Atomwaffen festhält.
„Nuklearwaffen sind eine Kernkomponente der Nato-Gesamtkapazität zur Abschreckung und Verteidigung, neben konventionellen Waffen und dem Raketenschild“, heißt es Punkt 8 dieses Dokuments. „Die Überprüfung hat gezeigt, dass die derzeitige Nuklearwaffen-Aufstellung der Allianz den Kriterien einer effektiven Abschreckung und Verteidigung gerecht wird.“
„Damit ist der Abzug dieser Waffen in weite Ferne gerückt“, sagte der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler der Berliner Zeitung. Westerwelles wiederholte Ankündigung, dass diese Waffen aus Deutschland verschwinden sollten, habe sich als Luftnummer erwiesen.
Gewundene Diplomaten-Sprache
Das Auswärtige Amt betonte dagegen, die Nato habe sich zur Abrüstungspolitik bekannt. "Beim NATO-Gipfel hat sich die NATO auf das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt und Anstrengungen verpflichtet, um weitere Abrüstungsfortschritte zu erreichen“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Dafür stehen die Verstetigung des Rüstungskontroll- und Abrüstungsausschusses und die erklärte Bereitschaft, nach den Fortschritten bei strategischen Nuklearwaffen auch andere Waffenarten wie die substrategischen Waffen in die Abrüstungsanstrengungen einzubeziehen."
Der Forschungsdirektor des Nato Defense College in Rom, Karl-Heinz Kamp, führte mehrere Gründe an, warum die deutsche Initiative gescheitert sei: „Generell ist die Euphorie bei der nuklearen Abrüstung verflogen. Auch das Verhältnis zwischen Russland und den USA hat sich wieder abgekühlt. Und mit seinem öffentlichen Vorstoß hat Westerwelle die Verhandlungen in der Nato nicht leichter gemacht.“
Die Formulierungen, auf die sich die Diplomaten in Chicago in langwierigen Verhandlungen einigten, sind gewunden - der Inhalt ist dennoch klar. Punkt 11 der Erklärung verpflichtet die Nato-Mitglieder zur Modernisierung von Bomben und Trägersystemen: „Während sie danach streben, die Bedingungen für weitere Reduktionen der nicht-strategischen nuklearen Waffen zu schaffen und die Optionen dafür erwägen, werden die betroffenen Verbündeten sicherstellen, dass alle Komponenten der nuklearen Abschreckung der Nato so lange sicher, zuverlässig und effektiv bleiben, wie die Nato eine nukleare Allianz bleibt.“
SPD will Debatte im Bundestag
„Was nicht mehr heutigem Stand der Technik entspricht, muss also modernisiert werden“, sagte Kamp. Nach seinen Angaben wollen die USA bis 2023 etwa vier Milliarden Dollar aufwenden, um die Atombomben vom Typ B-61 sicherer zu machen. Bisher handelt es sich um reine Abwurfbomben; die neue Version soll ein Steuerungssystem erhalten. Kritiker sagen, damit würden sie zu präzisionsgesteuerten Fernwaffen umgebaut.
„Mit der Modernisierung dieser Waffen durch die USA droht die strikte Trennung von taktischen und strategischen Waffen aufgehoben zu werden“, sagte der SPD-Außenpolitiker Erler. „Für künftige Abrüstungsverhandlungen bedeutet dies eine schwere Hypothek.“ Die SPD werde das Thema im Herbst im Bundestag aufgreifen und die Bundesregierung auffordern zu erläutern, welche Schritte sie nun plane, um dem Ziel des Abzugs der US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa näher zu kommen.