Urteil zum Polizeigesetz: Hessen verteidigt Software-Einsatz

Der hessische Innenminister Beuth verweist auf die Ermittlungserfolge mithilfe der Software. Die SPD beklagt einen „vorsätzlichen Verfassungsverstoß“.
Wiesbaden – Kaum war das Urteil in Karlsruhe gesprochen, da ging es politisch rund in Hessen. „Die hessische Landesregierung macht den vorsätzlichen Verstoß gegen die Verfassung zu ihrem Markenzeichen“, polterte der SPD-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Günter Rudolph. Von einer „krachenden Niederlage für die Landesregierung“ sprach der FDP-Innenpolitiker Jörg-Uwe Hahn. Er verlangt eine Sondersitzung des Innenausschusses.
In Hamburg, dessen Gesetz ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen worden war, fiel die Kritik milder aus – auch weil die dort oppositionelle CDU es wichtig findet, „dass das Ermittlungsinstrument bleibt“, wie ihr Innenpolitiker Dennis Gladiator sagte.
Palantir in Hessen: Bundesverfassungsgericht mit Leitplanken
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte, er nehme diese „Leitplanken des Bundesverfassungsgerichts“ dankbar auf. „So wie ich es in der Kürze der Zeit interpretiere, sagt Karlsruhe: Wenn die Polizei konkrete Hinweise auf eine große Gefahr für die Menschen in unserem Land hat, dann kann sie polizeilich erfasste Daten ganz überwiegend auch nutzen, damit sie die Gefahr abwehren kann.“ Er könne nachvollziehen, „dass das höchste deutsche Gericht verlangt, dass wir diese ‚Einsatzregeln‘ entweder in einem Gesetz oder einer Verwaltungsvorschrift für die Polizei klar und umfassend darstellen.“ Die Praxis müsse nur „konkretisiert und verschriftlicht“ werden.

Das sehen nicht alle so. Etwa die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), welche die Klagen gegen die Polizeigesetze zusammen mit anderen eingereicht hatte. „Unsere Verfassungsbeschwerde hat das Risiko deutlich reduziert, dass unbescholtene Bürger:innen in das Visier der Polizei geraten“, freute sich die GFF. Das Urteil strahle aus, denn viele Länder und der Bund arbeiteten darauf hin, „vergleichbare technische Möglichkeiten einsetzen zu können – oder tun es sogar bereits, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen“.
Palantir in Hessen: Grüne zeigen sich zurückhaltend
Auch die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die ebenfalls zu den Kläger:innen gehörte, freute sich über das Urteil. „Es stärkt die Bürgerrechte und setzt der polizeilichen Datenanalyse Grenzen“, betonte sie.
Beuths grüner Koalitionspartner zeigte sich zurückhaltender als der Minister. „Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzt diesem Instrument enge Grenzen, bestätigt aber auch, dass die Polizei unter bestimmten Rahmenbedingungen damit arbeiten darf“, sagte die hessische Grünen-Innenpolitikerin Eva Goldbach.
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Ihre Parteifreund:innen auf Bundesebene äußerten sich kritischer. „Dass die klassische Polizeiarbeit zunehmend durch automatisierte, also auf künstlicher Intelligenz beruhender Datenerhebung, -verknüpfung und -auswertung ersetzt wird, ist eine rechtsstaatlich fragwürdige Entwicklung“, urteilten die Grünen-Bundestagsabgeordneten Misbah Khan und Konstantin von Notz in einer gemeinsamen Stellungnahme. Diese „naive Technikgläubigkeit“ schlage sich „in mehreren polizeigesetzlichen Novellen verschiedener Bundesländer der letzten Jahre nieder“, formulierten sie – ein Seitenhieb auf die Landes-Grünen, die in Hessen und Hamburg mitregieren.
Palantir in Hessen: Die hessische Polizei arbeitet seit Jahren damit
Die Palantir-Software „Gotham“ ermöglicht es, in Sekundenschnelle Informationen aus verschiedenen Datenbanken abzugleichen und damit Beziehungsgeflechte aufzuzeigen. Während die hessische Polizei schon seit Jahren damit arbeitet, wurde in Hamburg „die strittige Norm bisher nicht angewendet“, wie Innensenator Andy Grote (SPD) betonte. Die Länder haben jetzt Zeit bis September, um ihre Gesetze verfassungskonform auszugestalten.
Minister Beuth und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ließen keine Zweifel daran, dass sie den Einsatz der Analyse-Software weiterhin für wichtig halten zur Aufklärung von schweren Straftaten. Der hessische GdP-Chef Jens Mohrherr verlangte aber „Polizeigesetze, die rechtlichen Bedenken wirksam begegnen und auch für die Polizeibeschäftigten anwendbar und durchsetzbar sind“.
Beuth betonte, mit Hilfe der Software seien „herausragende Ermittlungserfolge erzielt“ worden. So sei 2018 der terroristische Anschlag eines 17-jährigen Verdächtigen aus Eschwege verhindert worden. Zwei Jahre später sei eine Gruppe von Pädokriminellen durch die schnelle Zusammenführung von Erkenntnissen durch Palantir dingfest gemacht worden. Im Zuge der jüngsten Razzia gegen „Reichsbürger“ sei die Software dienlich gewesen, um das „Beziehungsgeflecht der beteiligten Personen rund um einen der Hauptverdächtigen“ zu erkennen. (Pitt von Bebenburg)